Elf Meter zwischen Kult und Angst
Für die Fans ist es Spannung pur und das würdige Finale eines Fußballspiels. Für die Spieler ist es der reinste Stress und ein nervenaufreibender Kampf gegen Versagensängste und den inneren Schweinehund. Für den Fußball an sich ist es schlicht ein Segen und der Punkt, an dem Mythen entstanden sind und Helden wie Versager geboren wurden – das
Elfmeterschießen.
Die EM ist mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem jetzt wieder vom Elfmeterpunkt die Entscheidungen über Sieg und Niederlage fallen können. Kein Fan kann sich heute den Fußball ohne das Elfmeterschießen vorstellen, dabei gehört das Hochspannungselement zu den jüngeren Reformen im Regelwerk.
Münzwurf
Bei der EM 1968 etwa war Italien gegen Russland noch durch einen Münzwurf ins Endspiel eingezogen, nachdem die Partie nach 120 Minuten torlos geendet hatte.
Durch Münzwurf!
Man stelle sich heute nur einmal vor: das Viertelfinale Deutschland – Griechenland, und eine Münze befördert die armen Griechen ins EM-Aus, womöglich auch noch eine EURO-Münze – die nächste Währungsdiskussion wäre in Griechenland wohl vorprogrammiert.
Einem Friseur aus Penzberg in Oberbayern ist es zu verdanken, dass diese haarige, weil unfaire Angelegenheit des Fußballs im Sinne der Gerechtigkeit geregelt wurde. Karl Wald, Coiffeur und Hobbyschiedsrichter, erfand 1970 das Elfmeterschießen und machte damit den Sport weit fairer und spannender. "Alles andere war doch keine Lösung."
Bei der EM 1976 ist das Elferschießen erstmals bei einem Großereignis zur Anwendung gekommen. Und das nur, weil der deutsche Verband einen entsprechenden Antrag gestellet hatte, um den Spielern bei der Urlaubsplanung entgegenzukommen.
Prompt wurde das Finale zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei vom Elferpunkt entschieden: Der Rest ist Panenka, Hoeneß und Geschichte.
Klischees
42 Jahre Elfmeterschießen genügten zur Legendenbildung und zum Schaffen immer neuer Klischees und Gerüchte. So weiß mittlerweile jeder Fan, dass Engländer am Elfmeterpunkt fast immer einen Strich in der Hose haben und kläglich scheitern. Andererseits hat der FC Chelsea aus London eben erst im Elfmeterschießen die Champions League gewonnen.
Oder, der gefoulte Spieler solle tunlichst nie selbst den Elfmeter schießen. Noch so eine Binsenweisheit, deren Wahrheitsgehalt den Statistiken nicht standhält: Die Trefferquote ist konstant bei 75 Prozent, egal, wer nun zum Strafstoß antritt.
Der Elfmeter ist seit jeher Hauptdarsteller vieler Untersuchungen, dabei konnten die Sportwissenschaftler bei ihren Analysen interessante Details herausfiltern. So hat der Deutsche Roland Loy, Autor des Buches "Das Lexikon der Fußballirrtümer" 3000 Partien aufgearbeitet und dabei den perfekten Penalty entdeckt: Hoch mitten aufs Tor. Diese Variante hat nahezu eine hundertprozentige Trefferquote.
Gewaltakt
Eine weitere Erkenntnis der Untersuchungen: Nicht etwa Präzision ist vom Elfmeterpunkt gefragt, sondern vielmehr rohe Gewalt. "Einfach draufhauen", ist die effizientere Variante, stellte Roland Loy fest. Scharfschützen sind demnach um fünf Prozent erfolgreicher als Präzisionsarbeiter. Und überhaupt: 28 Prozent der Fläche des Tores liegen in Bereichen, in denen der Tormann den Ball bei einem normalen Elfmeter nicht abwehren kann.
Alles nackte Theorie, viele trockene Zahlen. Wenn’s wirklich drauf ankommt, dann bringen es selbst die Superstars nicht immer auf den Punkt. Und dann wird das Elfmeterschießen zu einer ähnlichen Lotterie wie seinerzeit der Entscheid per Münzwurf.
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