Deutschland kommt einem spanisch vor

Deutschland kommt einem spanisch vor
Turnierfavorit: Das junge deutsche Team begeistert mit Spielkultur à la Spanien und Toren am Fließband.

Der Titelverteidiger muss gewarnt sein. Bitte nicht schon wieder. Joachim Löw verdreht die Augen. Er kann diese Frage langsam nicht mehr hören. Seit zwei Jahren, seit dem 0:1 im WM-Semifinale gegen Spanien, vergeht kaum ein Interview, in dem er nicht auf den Welt- und Europameister angesprochen wird: "Herr Löw, bitte einen kurzen Kommentar zu Spanien." "Herr Löw, wie beurteilen Sie die Leistung von Torres?"

Und die allerallernervigste Frage überhaupt: "Wie kann man gegen Spanien gewinnen? Oder auch: Was würden Sie heute gegen die Spanier anders machen? Wenn du das ständig hörst, beginnt es irgendwann nur mehr zu nerven", erklärt Joachim Löw dem KURIER. Dabei müsste die Frage eigentlich doch längst lauten: Wie kann man gegen Deutschland gewinnen?

Siegesserie

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Denn tatsächlich ist es die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, die mittlerweile praktisch unbezwingbar scheint. Seit Sommer 2010, seit der Niederlage gegen – erraten – Spanien haben die Deutschen kein Bewerbsspiel mehr verloren. Mehr noch: Der hochverdiente, phasenweise sogar hochklassige 4:2-Erfolg im EM- Viertelfinale gegen Griechenland war schon der 15. Pflichtspielsieg in Folge – Weltrekord. "Wir können wirklich stolz sein", meinte Löw, "das ist das vierte Turnier hintereinander, bei dem wir im Halbfinale stehen."

Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Den Rest der Geschichte unterschlägt der Coach, möglicherweise auch ganz bewusst. Denn Konstanz und Siegesserien in allen Ehren, den großen Coup konnte Löw trotzdem noch nicht landen. Zwar heimsten die Deutschen für ihren attraktiven Spielstil zunehmend Lob und Sympathien ein, aber bislang hatte sich noch bei jedem Turnier ein deutscher Stolperstein gefunden: 2006 waren’s die Italiener, 2008 und 2010 zuletzt Löws heißgeliebte Spanier.

Aura der Unbesiegbarkeit

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Diesmal scheint die Zeit freilich reif für den ersten Titel einer deutschen Nationalmannschaft seit dem EM-Gewinn vor 16 Jahren. Das belegen die bisherigen Auftritte bei dieser EM, das bestätigt auch das neue Selbstbewusstsein und Selbstverständnis dieser Mannschaft. "Der EM-Titel geht nur über uns", verkündet Marco Reus, einer dieser jungen Wilden, die den neuen Spirit und Stil verkörpern.

Joachim Löw hatte den Aufsteiger der letzten Bundesliga-Saison zur Überraschung aller für das Viertel­finale gegen Griechenland nominiert. Mehr noch: Der Bundestrainer führte das eiserne Fußballgesetz "Never change a winning team" völlig ad absurdum und verbannte nach drei Gruppensiegen mit Gomez, Podolski und Bender sogar alle bisherigen EM-Torschützen auf die Bank. "Die Zeit war reif, ich hatte das Gefühl, etwas verändern zu müssen", erklärt Löw seine unorthodoxe und nicht ganz unmutige Rochade.

Der starke Offensivauftritt gegen, zugegeben, schwache Griechen, bestätigte den Bundestrainer in seinem Wirken. Er hatte vollkommen Recht, nicht zum ersten Mal in seiner Ära. Als er seinerzeit Altstar Michael Ballack ins Abseits gestellt hat, wurde er öffentlich kritisiert. Heute redet längst keiner mehr von Ballack. Als er bei dieser EM den unerfahrenen Bender zum Außenverteidiger umfunktionierte, erntete er Kopfschütteln. Prompt erzielte Bender das 2:1 gegen Dänemark.

So viele richtige Entscheidungen verleihen Löw eine Aura der Allwissenheit und Unbesiegbarkeit. Nachvollziehbar, dass die Spieler seinen Weg bedingungslos und zielstrebig mitgehen. "Wir vertrauen dem Trainer fast schon blind. Alles, was er macht, hat Hand und Fuß", schwärmt Sami Khedira.

Großes Ziel

So siegessicher wie 2012 haben sich Jogis Jungs noch bei keinem der letzten Turniere präsentiert. "Wir haben einen sensationellen Kader", gibt Kapitän Philipp Lahm zu verstehen. Auf dem Mannschaftsbus steht für alle Gegner sichtbar die deutsche Mission geschrieben. "Von Spiel zu Spiel zum großen Ziel!"

Zuversicht und Euphorie kennen jedenfalls keine Grenzen. In Berlin feierten 500.000 Fans den Einzug ins Semifinale, in Umfragen hat Deutschland den Titelverteidiger Spanien bereits überflügelt. Nebengeräusche, die Joachim Löw nicht interessieren. Er hat anderes im Kopf, er sucht nach einer Antwort auf die ungeliebte Frage. Wie kann man gegen Spanien gewinnen? Denn Löw weiß nur zu gut: "Wir müssen trotzdem zugestehen, dass die Spanier technisch überragend sind."

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