Der Torjäger, der den Jubel nicht hört

Der Torjäger, der den Jubel nicht hört
Simon Ollert ist von Geburt an taub. Nach der Matura will der 19-jährige Deutsche dennoch als Fußball-Profi Karriere machen.

Simon Ollert träumt. Es ist der ganz normale Traum eines Nachwuchsfußballers. Einmal, hofft er, in einem großen Finale beim entscheidenden Elfmeter zu stehen. "Dann würde ich meine Hörgeräte rausnehmen. In diesem Moment bin ich in meiner ganz eigenen Welt." Nichts und niemand kann ihn dann noch ablenken. "Und dann hau’ ich ihn rein."

Simon Ollert ist von Geburt an taub. Sich mit ihm zu unterhalten, ist jedoch ein Leichtes. Er liest gekonnt von den Lippen ab. Ohne Hörgeräte hört er keinen einzigen Laut. Das hindert ihn aber nicht daran, richtig gut Fußball zu spielen. Mit 19 Jahren stürmt er für die A-Junioren des FC Ingolstadt. Und wie seine Kollegen hat auch er das Ziel, Profi zu werden. Eigentlich war er das schon.

Erster Profivertrag

"Ich hatte mit 17 Jahren einen Profivertrag bei Unterhaching in der 3. Liga." Der Verein ist dann aber abgestiegen und Simon Ollert wechselte in die Jugend von Ingolstadt. "Auf den ersten Blick mag das wie ein Rückschritt aussehen. Für mich ist es aber ein Fortschritt, weil ich dadurch die Schule fertig machen kann. Ich bin gerade in der Abitur-Phase."

Trotz Schulstress machte der junge Mann aus Schongau in Oberbayern am Donnerstag einen Abstecher nach Wien, wo der dreiminütige Film ("Leben ohne Einschränkungen") über sein Leben bei den 27. Internationalen Wirtschaftsfilmtagen mit Gold ausgezeichnet wurde.

Den Film zu drehen, hat Simon Ollert besonderen Spaß gemacht. "Nicht nur mir, auch meiner Familie, der ich so viel zu verdanken habe, weil sie mir alles ermöglicht hat." Seine Mutter etwa hat ihm hartnäckig das Sprechen beigebracht. "Dieser Film jetzt war sehr emotional für uns und hat uns als Familie noch enger zusammengeschweißt."

Bemerkenswert ist nicht nur der Film, sondern auch wie der junge Mann seine Schwäche erfolgreich kompensiert. Im täglichen Leben, wie auch auf dem Fußballplatz.

Gelbe Karten

Einen Pfiff des Schiedsrichters hört er nicht. Da kann es schon einmal vorkommen, dass er aus Abseitsposition auf den Tormann zuläuft und einfach weiterläuft, obwohl er längst zurückgepfiffen wurde. "Da bleibe ich erst stehen, wenn ich merke dass rund um mich auch alle anderen stehen bleiben." Die eine oder andere Gelbe Karte hat er sich dafür schon eingefangen. "Dann hab’ ich dem Schiri aber erklärt, dass ich taub bin und er hat die Gelbe Karte zurückgenommen." Heute geht er schon vor dem Spiel immer zum Unparteiischen, um ihn aufzuklären.

Das Zusammenspiel mit den Mitspielern funktioniert. Dabei helfen ihm vor allem seine guten Augen. "Dadurch, dass ich schlecht höre, sehe ich besser. Ich studiere schon im Training die Bewegungen der Mitspieler und auch die Gestik des Trainers. Ich schau’ dann im Match öfters raus zu ihm und weiß anhand seiner Handbewegung, was er mir sagen will." Daher ist es auch kein Problem, wenn er einmal gar nichts hört. Auch nicht die Laute, die ihm die Hörgeräte mitteilen. "Wenn es stark regnet, muss ich sie rausnehmen, weil sie sonst kaputt werden. Das macht aber nichts. Diese Spiele waren mitunter meine besten."

Auch, weil er einen weiteren Blickwinkel entwickelt hat. "Meine große Stärke ist es, Räume schneller zu erkennen. Dadurch tauche ich oft dort auf, wo mich keiner erwartet." Das bestätigt auch sein Berater Christian Nerlinger. "Das periphere Sehen und das Erahnen von Möglichkeiten, die sich Simon bieten, sind herausragend. Er wird immer seine Tore machen", sagt der einstige Profi und Sportchef des FC Bayern München, der Simon Ollert als "sehr intelligenten und technisch versierten spielerischen Goalgetter" beschreibt.

Klingt ein wenig nach Thomas Müller. Der Bayern-Stürmer ist auch das große Idol von Ollert. Ihn kennenzulernen, vielleicht sogar einmal mit ihm zu trainieren, ist auch so ein kleiner Traum.

Plan B

Und wenn es mit der Profi-Karriere nichts wird? "Dann möchte ich Sportpsychologie studieren, auch die Trainerprüfung machen und mich dafür einsetzen, dass auch andere Schwerhörige Fußball spielen können. Ich will Brücken schaffen." Doch daran verschwendet Simon Ollert derzeit noch nicht allzu viele Gedanken. "Mein Traum ist es, Bundesliga oder vielleicht sogar Champions League zu spielen." Und dann zum entscheidenden Elfmeter anzutreten.

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