Unterwegs in Russland: Ein Fest für das Geschäft

Alles ist genau und gewinnbringend organisiert – der Fußball sowieso, seine Anhänger und ihre Feiern auch.

Die Menschenschlange bewegt sich in die aufblasbare Verkaufshalle, und sie reißt nicht ab. Für viele ist es der Eingang in den offiziellen Fanshop der FIFA, für einige ist es das Tor zum Glück.

Das Geschäft muss auch heute wieder in bunten Farben blühen, die internationale Fangemeinde will schließlich noch in paar Jahren erinnert werden an diese WM, damals, 2018, in Russland. Sie prüfen die Stoffe von Fantrikots aus 32 Ländern, befingern T-Shirts, Schlüsselanhänger und Handyhüllen, oder sie wundern sich über Dinge, die die Menschheit eigentlich nicht braucht.

In einem Regal liegen in Plastik verschweißte, zu WM-Maskottchen degradierte Wölfe, die sich weich anfühlen, alle gleich – nämlich Sabiwaka („kleiner Torschütze“) – heißen und 42 Euro kosten. Das Doppelte ist für das Leibchen der jeweiligen Lieblingsmannschaft hinzublättern. Ob Senegal, Panama, Brasilien oder Deutschland, die Preisgestaltung macht keine Unterschiede.

Immerhin.

Zwangsbeglückt

Gezahlt wird in bar oder mit Karte, auf der „Visa“, der Name eines WM-Sponsors, stehen muss. Alles andere ist inakzeptabel. Sie boomt wieder, die industrielle Verwertung des Fußballs und seiner Liebhaber, die sich eingefunden haben auf der Fanmeile, die offiziell als „FanFest“ zur täglichen Feierstunde lädt. Direkt vor der staatlichen Lomonossow-Universität, einem von sieben im Zuckerbäckerstil geformten Gebäuden Moskaus, oben in den Sperlingsbergen. 25.000 Menschen zählt die potenzielle Kundschaft, die sich bei publikumswirksamen Spielen zum kollektiven Fußballschauen vor den Großleinwänden versammelt.

Schätzungen zufolge wird die FIFA in Russland nach Ausschöpfung all ihrer Einnahmequellen rund 5,2 Milliarden Euro gewonnen haben. Größer, teurer und lukrativer – vor vier Jahren waren es in Brasilien noch 3,3 Milliarden, 1,7 Milliarden davon hat der Weltverband nach eigenen Angaben wieder investiert.

Aufgemuckt

Und vor allem wichtig ist, dass die Maschinerie ins Laufen kommt. Egal, wo. Schon vor einigen Tagen haben Studenten ihren Protest gegen das lautstarke Treiben vor der Uni auf Plakate geschrieben. „Nein zur Fanmeile“, so das Ansinnen. Umsonst. Einziger Erfolg: Rektor Wiktor Sadownitschi hat sich dafür eingesetzt, dass der Initiator der Aktion nur mit einer Geldstrafe belegt worden ist. Doch es soll zur Einschüchterung und einer von höchster Stelle ausgehenden Aufforderung zur gegenseitigen Überwachung innerhalb der Studentenschaft gekommen sein. Auf dem Campus herrscht Ruhe. Universitätsfremden ist der Zutritt zum Hauptgebäude untersagt. „Ich habe keine Meinung zu diesen Vorfällen, und ich weiß auch nichts darüber.“ Erwartbar sinnlos ist es, irgendwelche Fragen an Studenten zu richten.

So wandert die Masse den Hügel hinunter zur Metrostation Worobjowy Gory auf der Brücke über die Moskwa, die natürlich offizielle Ein- und Ausstiegsstelle für das bis ins kleinste Detail organisierte Fest. Hinaus aus dem streng reglementierten Konsumverhalten, hinein in den Kanal, der von in regelmäßigen Abständen aufgestellten uniformen Sicherheitskräften gebildet wird. Eingeschränkt ist die Bewegungsfreiheit, fast eine halbe Stunde dauert der Marsch. Zwischen zwei Bäumen hockt ein Mann und stanzt gar nicht offiziell mit einem Hammerschlag den WM-Pokal in Kupfermünzen. Geschäftstüchtige Gegenbewegung im großen Business.

Freiwillig

Wie hoch der Anteil der Sicherheitskräfte bei dieser WM ist, bleibt ein Staatsgeheimnis. Die Anzahl der Volunteers, der Freiwilligen, die einen geordneten Ablauf der Weltmeisterschaft ermöglichen, ist hingegen bekannt. 17.040, auf ganz Russland verteilt. Sie sind überall, geben Verirrten Orientierung, tun dies mit Worten oder mit unübersehbaren gestreckten Schaumstoff-Fingern, und sie sitzen in den Medienzentren der Stadien. Wie man denn zu solch einem Job kommt und was man denn damit verdienen könne? „Darüber dürfen wir nicht reden“, bedauert das Mädchen hinter dem Ticketschalter. Zu erfahren ist: Die Verpflegung und das einheitliche Outfit gibt es umsonst, Unterkunft und Anreise müssen sich die meist jungen Leute selbst bezahlen, stammen sie nicht aus den jeweiligen Austragungsorten. Als ehrenvoll erachtet die FIFA solch ein ehrenamtliches Engagement.

Alles hat seine Ordnung. Und alles ist sauber. Rund um das Luschniki-Stadion lauern indes die Reinigungskräfte an spielfreien Tagen hinter rauchenden Journalisten, um zumindest einen Zigarettenstummel zu ergattern, den sie auf ihre Schaufel kehren können.

Pure Beschäftigungstherapie? Wahrscheinlich.

Aber sie kostet mit Sicherheit nicht viel.

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