Titelparty in Paris: Frankreich feiert die Überflieger
War es mehr als eine Million, die am Sonntag und Montag die Pariser Prachtavenue Champs-Élysées füllte, um den Sieg der „Bleus“ ekstatisch zu feiern? Waren es gar mehr als 1998, als Frankreichs Elf, schon damals ein Spiegelbild der vielfältigen Einwandererströme, die WM erstmals gewann? Wie auch immer: das Land durchlebte soeben einen Freudentaumel, der auch Menschen mitriss, die zuvor weder Fußball noch Patriotismus groß geschrieben hatten.
„Das letzte Mal, dass ich einen derartigen Massenaufmarsch erlebte, war nach den Terror-Anschlägen (gegen die Redaktion des Satire-Magazins Charlie-Hebdo und den jüdischen Supermarkt 2015)“, erinnert sich Guillaume, ein Lehrer, der mit seiner Familie eigens aus Nordfrankreich angereist war, um gestern einen Blick auf die Fußballer im oben offenen Doppeldecker-Bus am Weg zum Präsidentenpalais zu erhaschen: „Diesmal feiern wir – und noch dazu gemeinsam. Das tut so gut“.
Tolerante Polizei
Nichts anderes sagt der Handelshochschul-Student Ahmed, der aus dem Vorort Bondy, mit acht Freunden im überladenen PKW nach Paris kam – er mit seiner Freundin im offenen Kofferraum hockend: „Normalerweise halten einen die Flics (umgangssprachlich: Kieberer) an, schon wenn man auf einem Mofa ohne Helm sitzt. Und wenn man, wie ich, arabisch aussieht, sind sie nicht immer höflich. Aber heute haben sie uns strahlend zugewunken. Dieses Fußballteam hat ganz Frankreich vereint, und unser Land hatte so einen Impuls bitter nötig.“
Seine Freundin, die ein kleines französisches Fähnchen in ihren üppigen Lockenkopf gesteckt hat, wandelt die Devise der Republik ab. Auf jedem Amtsgebäude prangt: „Liberté, Egalité, Fraternité“ (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). Aber sie sagt: „Wir sind die Generation Liberté, Egalité, Mbappé“ – in Anspielung auf Kylian Mbappé. Das erst 19-jährige Wunderkind des französischen Fußballs stammt ebenfalls aus Bondy, einer der ärmsten Gemeinden Frankreichs: „Kylian und seine Familie sind Vorbilder. Mit Ehrgeiz und Disziplin kann man weit kommen“.
Tatsächlichen kennt fast jeder in Bondy die Mbappés: den Vater Wilfried, der aus einer Familie aus Kamerun stammt und als Trainer in Bondy die halbe Ortsjugend an die Kandare nahm. Und die berüchtigt-strenge Mutter Fayza, die in einer algerischen Familie geboren wurde, Profi-Handballerin war und Kylian während seiner ganzen Schulzeit bis zur Matura nichts durchgehen ließ.
Erfolg für Macron
Solche Lebensläufe passen zum Credo von Emmanuel Macron. Der junge liberale Staatschef predigt Eigenverantwortung, Fleiß, Durchsetzungswillen und Ehrgeiz, in einer Weise, die einem Teil der Bevölkerung schon unangenehm aufstößt.
Aber gestern brauchte Macron, als er die strahlenden Heimkehrer im Elysée-Palast empfing, seine Glaubenssätze gar nicht erst betonen. War doch der Werdegang der aktuellen Mannschaft von französischen Medien als Beispiel für Bescheidenheit, Fleiß und Disziplin gewürdigt worden – im Gegensatz zu vormaligen französischen Teams, die eher ungesittet und überheblich gewirkt hatten.
Auch die andere Schlagseite Macrons, nämlich sein Eintreten gegen den Nationalpopulismus und für ein integrierendes Frankreich fand zumindest vorerst im Erfolg dieser Mannschaft eine symbolische Bestätigung. Während die „Patrouille de France“ (Frankreichs prominente Kampfliegerstaffel) gestern den Jubelkorso auf den Champs-Élysées überflog, feierte die Menge gleichermaßen „ Kiki“ (also den Vorstädter Kylian Mbappé) und „Grisi“ (dem aus der Provinzstadt Macon stammenden Stürmer Antoine Griezmann).
So konnte sich der Staatschef, der mit dem Vorwurf der „Arroganz“ zu kämpfen hat, diesmal vor allem ganz auf seine demonstrative Körpersprache verlassen: also alle Spieler der Reihe nach herzen und mit ihnen scherzen.
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