Blanchard: "Ich muss sagen, Wien fehlt mir"

Blanchard: "Ich muss sagen, Wien fehlt mir"
Jocelyn Blanchard wurde mit der Austria einmal Meister und gewann viermal den Cup.

Jocelyn Blanchard spielte sieben Jahre lang in der österreichischen Bundesliga. Mit der Wiener Austria wurde er einmal Meister und gewann vier Mal den Cup.

Aktuell ist der 43-jährige Franzose zurück in seiner Heimat und Sportdirektor beim Zweitligisten Lens.

Monsieur Blanchard, wir machen dieses Interview auf Französisch, dabei sprechen Sie doch ganz gut Deutsch.

Jocelyn Blanchard: Nun, als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich gedacht, ich werde ein, höchstens zwei Jahre bleiben. Mein damaliger Trainer, Joachim Löw, hat darauf bestanden, dass ich Kurse nehme, um schneller Deutsch zu lernen. Er sagte, man weiß ja nie, vielleicht bleibst du doch länger ... und, naja, das ist ja dann auch eingetreten. Am Anfang wollte ich weder Karriere noch Verantwortung, ich wollte bloß Fußball spielen. Und dann bin ich Kapitän geworden (lacht). In dieser Funktion hat man natürlich bestimmte Aufgaben, unter anderem die, vor der Gruppe zu sprechen und sie nach außen zu vertreten. Da war Deutsch unumgänglich! Man sagte mir, dass ich Deutsch wie ein Franzose spreche, also mit starkem Akzent. Ich muss sagen, dass ich mit Österreich in einem Land lebte, wo sich die Leute sehr bemüht haben, mich zu verstehen. Das hat mir geholfen.

Und wie geht es Ihren Deutschkenntnissen heute so?

Ab und zu spreche ich noch mit Kollegen, aber Interviews geb’ ich lieber keine auf Deutsch. Ich habe Angst, dass ich missverstanden werde.

Haben Sie noch Kontakt zu österreichischen Spielern von damals?

Blanchard: "Ich muss sagen, Wien fehlt mir"
31 . 05 . 2009 Wien Horrstadion , Fussball , Bundesliga Austria Wien - Austria Kaernten Jocelyn Blanchard Copyright DIENER / Georg Swoboda Marktgasse 3-7/4/5/21 A-1090 Wien Telefax +43 1 955 32 35 Mobil +43 676 629 98 51 BA-CA Bank Nr. 12000 Account Nr. 00712 223 783 e-mail: agentur@diener.at Datenbank: www.diener.at
Hin und wieder spreche ich mit ehemaligen Kollegen von der Austria, unter anderem mit dem früheren Co-Trainer Josef Michorl.

Welche Erinnerungen haben Sie an Österreich?

Wunderbare. Als ich hierher kam, dachte ich zunächst nur ans Fußballspielen. Joachim Löw hat mich ja geholt. Ich bin gekommen, um ein Jahr zu bleiben. Es wurden sieben daraus. Daraus können Sie also schließen, dass ich Österreich sehr mag.

Was mochten Sie besonders hier?

Ich habe ein wunderbares Land entdeckt, ich war bei einem tollen Klub, wir haben viele Siege geholt, ich hatte großartige Kollegen. Darüber hinaus durfte ich eine neue Kultur und eine neue Sprache entdecken. Ganz besonders beeindruckt hat mich Wien. Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt. Alles in allem: eine formidable Zeit am Ende meiner aktiven Karriere.

Wenn Sie heute an Österreich denken: Vermissen Sie etwas?

Nun, heute lebe ich in einer Provinzstadt, das ist im Vergleich zu Wien etwas langweilig. Ja, ich muss sagen, Wien fehlt mir.

Haben Sie sich auch für die Kulturstadt Wien interessiert? Haben Sie die Oper besucht?

Ja, ich war in der Oper, ich bin viel ins Museum gegangen. Im ersten Monat, als ich nach Wien kam, war meine Familie noch nicht bei mir, ich hatte auch noch keine fixe Wohnung. Da bin ich viel allein durch die Stadt gestreift und hab’ mir die Sehenswürdigkeiten angeschaut. Das waren außergewöhnliche Momente.

Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie während der EURO vorhaben, die Österreicher in ihrem Hotel in der Provence zu besuchen?

Ja, das habe ich vor. Denn ich verfolge den österreichischen Fußball nach wie vor. Das österreichische Nationalteam hat erstaunliche Fortschritte gemacht in den vergangenen Jahren.

Als Sie in Österreich lebten, war die Performance des Nationalteams kaum der Rede wert. Jetzt hat sich das stark gewandelt. Hätten Sie das damals für möglich gehalten?

Durchaus. Als ich Österreich verließ, hatte die Mannschaft ja auch schon Frankreich geschlagen (2008 im Happel-Stadion, Anm.). Und sämtliche Spieler, die heute in der Nationalmannschaft sind, waren damals aufstrebende Talente, die inzwischen Erfahrung, oft im Ausland, gesammelt und sich zu wirklichen Qualitätsspielern entwickelt haben. Bei vielen hat man damals schon erkannt, was aus ihnen werden würde. Das war etwa bei David Alaba so. Den hab’ ich schon als Bursch gekannt. Die meisten der heutigen Nationalspieler waren damals schon sehr vielversprechend.

Ist Fußball in Frankreich noch immer der Nationalsport schlechthin?

Ja, absolut. Für uns ist das sehr wichtig. Was Österreich anbelangt, würde ich sagen: Euer Sport Nummer eins hinsichtlich des Erfolgs ist das Skifahren. Aber Fußball bringt einfach mehr Leute zusammen als das Skifahren, und wenn die Nationalmannschaft spielt, dann berührt das sehr viele Leute. Das ist in vielen Ländern so. Auch wenn man nicht die beste Fußballnation ist, ist Fußball an und für sich ein echter Volkssport.

Aber in Österreich gibt es doch noch immer einen Unterschied zwischen der Popularität dieses Sports und dem Erfolg, den wir damit haben. Auch wenn es in den letzten Jahren steil bergauf gegangen ist.

Ja, aber man muss schon bei den Tatsachen bleiben: Österreich hat nicht einmal achteinhalb Millionen Einwohner. Und es muss sich mit Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Spanien messen. Mit Ländern, die bis zu zehn Mal so viele Einwohner haben. Und gerade deshalb ist es beeindruckend, dass sich Österreich, auch im Lauf der Fußballgeschichte gesehen, immer ganz gut geschlagen hat.

Welche Chance geben Sie den Österreichern bei der EURO?

Schon in der Qualifikation hat Österreich viele überrascht. Jetzt muss die Mannschaft ihren Status unter Beweis stellen. Auf den Überraschungseffekt kann Österreich dann nicht mehr setzen, denn die Gegner wissen jetzt, mit wem sie es zu tun haben. Österreich wird also stark sein müssen.

Wie ist denn jetzt die Atmosphäre in Frankreich in Hinblick auf die EURO? Ist man aufgeregt? Nervös? Ängstlich?

Ich glaube, wir werden uns der Tragweite dieses Events erst bewusst, wenn die EURO tatsächlich beginnt. Und wenn Sie mit Ängsten die Gefühle nach den Terroranschlägen meinen: Die Menschen haben keine Angst. Für uns geht das Leben weiter, und Fußball ist ein Fest, das wir feiern wollen.

Sie erinnern sich bestimmt an die geplanten Attentate im Stadion von Hannover im vergangenen November nach den Anschlägen von Paris. Es gab ganz konkrete Hinweise auf einen Anschlag beim Deutschland-Spiel. Wie war damals Ihre Reaktion? Was denkt man in solch einer extremen Situation?

Als Spieler ist man in so einer Situation auch nichts anderes als ein ganz gewöhnlicher Bürger. Wir nehmen zur Kenntnis, was passiert, wir sind berührt, wir haben Angst. Aber wir haben auch unseren Stolz. Wir lassen uns nichts gefallen, und wir lassen uns auch in einer solchen Situation nicht unterkriegen. Und darüber hinaus: Ganz Europa wird auf Frankreich schauen. Gerade da werden wir unsere Stärke zeigen. Wer auch immer versucht, das zu zerstören: Es wird ihm nicht gelingen.

Sie arbeiten heute als Sportdirektor. Fehlt Ihnen Ihre aktive Zeit?

Wenn man so lange wie ich Fußballer war, dann hat man auch nach zwanzig Jahren noch Lust zu spielen. Ich habe allerdings heute einen Job, der mir viel abverlangt und Freude macht. Ich hab’ nicht immer Zeit, um noch zu spielen. Aber ich werde in meinem Herzen immer ein Fußballer bleiben.

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