Die größten Überraschungen der EM-Geschichte

Wer sein Geld zwei Wochen vor Beginn der EM 1992 auf Dänemark setzen wollte, konnte dies gar nicht tun.

Gastgeber Frankreich, Weltmeister Deutschland und Titelverteidiger Spanien sind bei der EURO 2016 die großen Favoriten. England, das noch auf den ersten EM-Titel wartet, und Belgien gelten als stärkste Herausforderer, doch auch krasse Außenseiter dürfen bei der am Freitag beginnenden Fußball-Europameisterschaft in Frankreich mit einem Blick auf die Vergangenheit vom großen Coup träumen.

Denn im Unterschied zu Weltmeisterschaften hat es bei Europameisterschaften schon zweimal echte Sensationssieger gegeben. Das Team aus Dänemark sprang 1992 in Schweden nach dem Ausschluss von Jugoslawien kurzfristig ein, trommelte die Spieler aus dem Urlaub zusammen und holte sich schließlich mit einem 2:0-Finalsieg über Deutschland den Titel. 2004 in Portugal führte Otto Rehhagel Griechenland ins Finale und dort zu einem 1:0-Erfolg über die Gastgeber.

Wer sein Geld zwei Wochen vor Beginn der EM 1992 auf Dänemark setzen wollte, konnte dies gar nicht tun. Es war schlicht nicht möglich, weil die Dänen gar nicht qualifiziert waren. Das Team von Trainer Richard Möller Nielsen hatte in der Gruppe 4 der Qualifikation den zweiten Platz hinter dem von Ivica Osim trainierten Jugoslawien belegt. Doch die UEFA schloss das zerfallende Land wegen des Balkan-Kriegs vom Turnier aus.

"Haben viel Bier getrunken und gelacht"

Möller Nielsen wollte zu Hause gerade eine Küche einbauen, als er von der EM-Teilnahme erfuhr. Viele seiner Spieler weilten auf Urlaub. Improvisation lautete die Devise in der Vorbereitung, Spaß das Motto bei den eiligst aus den Ferien eingerückten Spielern. "Wir haben viel Bier getrunken und gelacht, wir haben Minigolf gespielt und sind im McDonald's essen gegangen", sagte Stürmer Flemming Povlsen später im Rückblick auf das Turnier.

Nur zehn Tage war das Team vor dem Start zusammen. Frei von Druck und Erwartungen und ohne den Gedanken an die "Überraschung des Jahrhunderts" (L'Equipe) startete sie ins Turnier. Nach den ersten beiden Gruppenspielen deutete immer noch wenig auf den dänischen Durchmarsch hin.

Nach einem 0:0 gegen England und einem 0:1 gegen Gastgeber Schweden stellte das Team um Bayern-Spielmacher Brian Laudrup und Manchester Uniteds Torhüter Peter Schmeichel mit einem 2:1 gegen Frankreich die Weichen auf Erfolg. England und Frankreich schieden aus, Schweden und Dänemark zogen ins Halbfinale ein, in dem die Dänen überraschend Titelverteidiger Niederlande nach einem 2:2 mit 5:4 im Elfmeterschießen bezwangen.

Auch im Finale verblüfften die dänischen "Spaßfußballer", die Möller Nielsen am Tag vor dem geschichtsträchtigen Spiel ins Fast-Food-Restaurant geschickt hatte. Ein früher Treffer von John Jensen (19.) und ein später von Kim Vilfort (79.) sorgten am 26. Juni in Göteborg für den 2:0-Finalsieg der "Big-Mac-Truppe".

Rehhakles

Zwölf Jahre später wiederholte sich die Sensation mit einem griechischen Märchen. Griechenland, eine Truppe ohne große Stars, ließ die Teams um Superstars wie Andrea Pirlo, Cristiano Ronaldo, Raul, David Beckham oder Zinedine Zidane verdutzt zurück.

Der Star der Griechen saß auf der Bank: Otto Rehhagel. Der damals 65 Jahre alte Deutsche verpasste seinem Team ein antiquiertes System mit einem hünenhaften Libero Traianos Dellas (Rehhagel: "Koloss von Rhodos") und Manndeckung und brachte die Favoriten mit seiner Defensivtaktik zur Verzweiflung. "Modern ist, wenn man gewinnt", so sein Credo. "Der griechische Triumph zeigte dem Rest von Europa, dass mit harter Arbeit, Selbstvertrauen, einem unbändigen Willen und natürlich auch Glück alles möglich ist", schrieb die UEFA danach auf ihrer Homepage.

Schon im Eröffnungsspiel schockte die hochdiszipliniert agierenden Truppe die Fußball-Welt mit einem 2:1-Sieg über die von Luis Figo und Cristiano Ronaldo angeführten Gastgeber. Auch die Spanier bekamen danach die griechische Fußball-Philosophie a la Rehhagel zu spüren (1:1), ein knappe Niederlage gegen Russland (1:2) zum Abschluss der Gruppenphase reichte zum Aufstieg auf Kosten der Spanier. Mit Erfolgen über Frankreich (1:0) und Tschechien (1:0 nach Silver Goal) ging es ins Finale gegen Portugal, das Angelos Charisteas mit seinem Kopfballtor (57.) entschied.

Die größten Überraschungen der EM-Geschichte
epa000226759 Greek striker Angelos Charisteas (left) scores the 1-0 lead during the Euro 2004 final between Portugal and Greece at Luz stadium in Lisbon on Sunday, 04 July 2004. EPA/ANTONIO SIMOES NO MOBILE PHONE APPLICATIONS
Das deutsche Team schaffte in Portugal nicht einmal einen Sieg, am Ende jubelte aber doch ein Deutscher. Rehhagel wurde zu "Rehakles" oder "König Otto II." geadelt . Er wurde zum "Bürger der Stadt Athen" ernannt und als erster Ausländer als "Grieche des Jahres" ausgezeichnet.

Schnell hatte Rehhagel bei seiner Amtsübernahme erkannt, woran es bei seinem neuen Team vor allem haperte. "Ich habe in 40 Jahren als Spieler und Trainer noch niemals eine so kämpferisch schwache Mannschaft gesehen", sagte er nach einer 1:5-Pleite bei seinem Debüt gegen Finnland. Schnell lehrte er den Spielern aus dem Land der Philosophen die deutschen Tugenden - mit Erfolg.

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