Eine K.o.ryphäe für den Boxverband

Eine K.o.ryphäe für den Boxverband
Hagen Doering ist Europas wichtigster Box-Matchmaker. In Österreich will er beim Olympia-Aufbau mithelfen.

Der österreichische Boxverband (ÖBV) peilt mit hohen Ambitionen und potenter Unterstützung aus Deutschland eine erfolgreiche Zukunft an.

Dem erklärten Ziel, bei Olympia 2016 vertreten zu sein, ist man bereits am Wochenende ein Stück näher gerückt. Verbandspräsident Roman Nader konnte bei seiner Wiederwahl einen der wichtigsten Männer im europäischen Boxsport als Vizepräsidenten präsentieren. Hagen Doering ist Sportdirektor bei Marcos Naders deutschem Boxstall Sauerland und war bereits an rund 80 WM-Kämpfen beteiligt. Wie viele es genau waren, weiß der viel beschäftigte und weltweit vernetzte Berliner selbst nicht.

Im ÖBV wird er sich um die beiden "Profi"-Schienen des Amateur-Weltverbandes AIBA kümmern, die World Series of Boxing (WSB) und die im Aufbau befindliche APB (AIBA Professional Boxing). In beiden wird über längere Distanzen geboxt, außerdem fallen der Kopfschutz und die Leibchen weg. Die WSB ist eine internationale Liga, die APB soll in wenigen Jahren den vier großen Profi-Verbänden Konkurrenz machen.

Im ausführlichen KURIER-Interview spricht Doering über seine Ziele in Österreich, seinen Job als Europas wichtigster Matchmaker und die jüngsten Aufreger im Profiboxen. Den Leistungsstand des heimischen Amateurlagers kann er bereits am Freitag und Samstag in der Wiener PAHO-Halle (1100, Jura-Soyfer-Gasse 3, Beginn 18:00 Uhr) überprüfen, wenn Österreich beim Vierländerturnier auf Deutschland, Israel und Tschechien trifft.

KURIER: Neben Ihrer Tätigkeit als Sportdirektor bei Sauerland sind Sie nun auch im ÖBV aktiv. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Hagen Doering: Präsident Nader und ich, wir kennen uns bereits seit acht Jahren. Irgendwann hat er mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, in diese Funktion zu schlüpfen.

Der Verband hat seine Statuten geändert, um perspektivisch in den neuen Formaten der AIBA vertreten zu sein. Wie kann der heimische Boxsport von Ihrer Person profitieren?
In erster Linie durch jede Menge Sachverstand, meine Erfahrung und mein internationales Netzwerk. Ich bin schon lange im Business, kenne viele Funktionäre und Boxer.

Worum geht es für Sie?
Ich kann verfolgen, wie sich die neuen Projekte der AIBA entwickeln. Durch meine Erfahrung kann ich abschätzen, was umsetzbar ist und was nicht.

Sollen österreichische Boxer in diesen neuen Formaten antreten?
Erst einmal geht es darum, am Informationsfluss beteiligt zu sein. Wenn einer so weit ist und dort mithalten kann, ist es unsere Aufgabe, ihn gut zu vertreten. In naher Zukunft wird Österreich aber keine eigene WSB-Mannschaft haben.

Gibt es konkrete Zielsetzungen?
Zunächst muss ich mich aus Verbandsperspektive intensiv mit beiden Serien beschäftigen und beobachten, wie sie sich entwickeln. Auf Biegen und Brechen wollen wir keinen Österreicher in einer WSB-Mannschaft unterbringen. Die Perspektive muss für den Sportler und den Verband stimmen. Warten wir einmal ab, was nach den Olympischen Spielen im Sommer passiert und wer ins Profilager wechselt.

Matchmaker

Sie gelten als Europas wichtigster Matchmaker. Was machen Sie bei Sauerland eigentlich genau?
In erster Linie geht es darum, für das Publikum interessante Kampfpaarungen zusammenzustellen. Außerdem frage ich mich, ob mein Boxer davon profitieren kann. Es lohnt sich nicht, einen fortgeschrittenen Mann gegen Fallobst boxen zu lassen. Es geht darum, Gegner zu finden, gegen die er sich fortlaufend strecken muss, um schlussendlich Welt- und Europameisterschaften boxen zu können.

Was umfasst Ihr Job für Aufgabengebiete?
Die Lektüre der Ranglisten gehört zu meinen täglichen Aufgaben. Dazu kommt, sich die Boxer mit eigenen Augen anzusehen. Es vergeht keine Woche im Jahr, wo ich nicht irgendwo live beim Boxen bin. Du musst die Szene kennen. Die Gegner meiner Leute habe ich vorher zumindest einmal selbst gesehen.

Es geht also darum zu erkennen, ob der Gegner für den eigenen Mann schlagbar ist?
Man muss die Stärken und Schwächen beider Boxer kennen. Bei Sauerland konzentrieren wir uns auf die fünf Gewichtsklassen vom Mittelgewicht aufwärts. Dort kenne ich jeden Boxer aus den Top 50 der Welt. Das ist meine Stärke.

Wie viele Kämpfe sehen Sie pro Jahr?
Wenn man Amateure und Profis zusammenzählt, sind das live locker 200 bis 300 Kämpfe, die ich live sehe. Auf Video kommt noch einmal die gleiche Zahl dazu.

Wie oft werden Ihnen vermeintliche Sensationen angeboten?
Etwa hundert Mal im Jahr und aus der ganzen Welt. Oft wird mir ein ‚Bonbon’ angeboten, dass sich dann als ‚Krümel’ herausstellt. Die Leute haben keine Ahnung davon, für welche Dimension von Leistungssport sie sich bewerben.

Wer entscheidet, ob ein Boxer unter Vertrag genommen wird?
Ich. Neben dem sportlichen Aspekt zählt auch die betriebswirtschaftliche Seite. Manche sind zu alt, um vernünftig aufgebaut zu werden. Es gibt auch Nationalitäten, die schwerer zu vermarkten sind. Was soll ich mit einem Moldawier, wenn mein Markt in erster Linie der deutschsprachige Raum ist?

Arthur Abraham und Marco Huck kamen als Awetik Abrahamjan in Armenien und Muamer Hukic im heutigen Serbien zur Welt.
Ja, aber sie sind Bildungsinländer. Sie sind hier zur Schule gegangen und haben eine deutsche Vita. Somit sind sie auch leichter zu vermarkten als der Moldawier, der kein Wort Deutsch spricht.

Worauf achten Sie, wenn Sie für Sauerland einen Boxer beobachten?
Er muss gut sein und attraktiv boxen. Er soll einen Stil haben, bei dem etwas passiert und nicht die zwölfte Runde gleich verläuft wie die erste. Wenn die Zeitungen über jemanden schon als Amateur schreiben, ist das auch ein Faktor. Die Perspektive muss sportlich und marketingtechnisch stimmen.

Was hat Ihnen konkret an Österreichs Aushängeschild Marcos Nader gefallen?
Er sticht allein deswegen heraus, weil Österreich im Amateurbereich noch im Dornröschenschlaf liegt. Er hat es bei internationalen Turnieren aufs Podest geschafft und ist dadurch aufgefallen. Wir von Sauerland haben in der Vergangenheit schon öfters in Österreich veranstaltet und würden das auch gerne wieder. Mit Marcos bietet sich die Gelegenheit, den österreichischen Markt zu beleben. Es liegt in unserem ureigensten Interesse, dass Boxen in unseren Nachbarländern präsent ist.

Profi-Aufreger

Das Boxen leidet durch zu viele schwach besetzte WM-Kämpfe an Zuschauerschwund. Außerdem sind Mixed Martial Arts wie Ultimate Fighting attraktive Konkurrenten. Was tut der Sport, um darauf zu reagieren?
Wie der Sport generell darauf reagiert, kann ich nicht sagen. Wir für unseren Teil versuchen, attraktive Kämpfe und guten Sport zu bieten. Zum Einschalten oder in die Halle kommen können wir niemanden zwingen, aber ich sage: wer einmal da war, der kommt wieder.

Ist Profi-Boxen mit vier Weltverbänden und vielen kleineren Ablegern nicht zu kompliziert?
Ich sehe es nicht als zu kompliziert an. In Deutschland und Großbritannien werden von den großen Fernsehsendern nur noch die vier Weltverbände angenommen (WBO, WBA, WBC, IBF, Anm.). Wenn dann ein anderer Sender Kämpfe von Mini-Verbänden zeigt, sind auch die Medien schuld daran, dass es zu viele WM-Kämpfe gibt.

Arthur Abraham hat jüngst gegen einen Argentinier um den Titel "WBO Europe" gekämpft …
Das ist ein bisschen verwirrend, das gebe ich zu. Es ist an sich schon lächerlich, dass ein Weltverband einen europäischen Titel überhaupt zulässt. Uns war es in diesem Falle egal, weil wir Arthur zum Comeback verhelfen und die Leute ihn im Ring sehen wollten.

Wie beurteilen Sie die beiden letzten Kämpfe der Klitschko-Brüder?
Wladimirs Kampf gegen Mormeck war eine Farce. Ich hätte mir gewünscht, der hätte nie stattgefunden. Die Klitschkos sind so populär, alle orientieren sich an ihnen. Das war aber keine gute Werbung für den Boxsport. Vitali hat gegen Chisora klar gewonnen, auch wenn das Urteil der Punkterichter zu klar ausfiel.

Wie sehr schaden blutige Aktionen, wie sie die Prügelknaben Dereck Chisora und David Haye geliefert haben, dem Ansehen ihres Sports?
Ein bisschen Tohuwabohu gehört zum Geschäft, aber was die beiden aufgeführt haben, geht zu weit. Das mag im angelsächsischen Raum vielleicht noch durchgehen, hier aber nicht.

War die Aktion inszeniert?
Ein bisschen wohl schon, zu Beginn. Dann ist ihnen leider das Heft des Handelns entglitten.

 

Geschäft

Sie selbst waren Amateurboxer, haben dann studiert und sind in die Politik gegangen, waren im Bundestagsbüro von Norbert Blüm (CDU) tätig. Welches Geschäft ist härter, Boxen oder die Politik?
Oh, schwer zu sagen. In der Spitze oben sind beide gleich hart. Da gibt es immer Leute, die deine Position haben wollen. In beiden Feldern musst du schnell und dynamisch sein, jeder Tag bringt eine andere Situation.

Mit Verlaub, welches Geschäft ist ehrlicher?
Hmmm, na ja. Ich würde sagen, ehrlich sind sie beide. Sie funktionieren nach bestimmten Spielregeln. Die Wähler und die Zuschauer entscheiden, ob sie einem die Stimme geben oder einschalten.Für beide gilt, dass man mit den Menschen und seinem Publikum kommunizieren muss. Politiker und Promoter müssen möglichst viele Leute mit auf die Reise nehmen.

Viele sehen im Boxen mehr als nur Sport, suchen darin sogar philosophische Tiefe. Aktuell herrscht die Krise und der Umgangston in der Gesellschaft ist rauer geworden. Welche Metapher bedient das Boxen heute, wofür steht es?
Für das wahre Leben. Wenn der Gong zur ersten Runde ertönt, stehst du alleine im Ring und musst dich beweisen. Dafür, dass man nach Niederschlägen nicht liegen bleibt, sondern aufsteht und weiter kämpft.

 

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