Die Herrin des Ringens
Wer nicht fühlen will, der muss nur hören. Rummms. Simon Draxl knallt mit dem Rücken auf die Matte, als wäre er nichts weiter als ein Sandsack. Schon das bloße Hinhören bereitet Schmerzen. Wie ein Häufchen Elend liegt er da, Marina Gastl muss ihrem Trainingspartner wieder auf die Beine helfen. Sie hat noch nicht genug. "Komm, noch einmal!"
Wieder umklammert sie mit einem Arm den Nacken ihres Gegenübers, während sie mit der anderen Hand nach Draxls Bein greift, um es mit einem kräftigen Ruck nach oben zu ziehen. Einen Augenblick später hat sie ihren wehrlosen Ringer-Kollegen abermals aufs Kreuz gelegt. Rummms.
Hüftschwung
Marina Gastl regelt ihre Probleme gerne auf diese Weise. Wer ihr zu nahe kommt, bekommt den schmerzhaften Kreuzwurf zu spüren. Ab und zu greift die Tiroler Ringerin auch zum Spaltgriff oder legt einen hinterlistigen Hüftschwung ein. "Du solltest immer eine Lösung parat haben", meint Gastl, die am Freitag bei der Ringer-WM in Istanbul im freien Stil (Klasse bis 72 kg) um eine Medaille und das Olympia-Ticket kämpft.
Die 26-Jährige ist praktisch zur Kämpferin geboren. Die Gastls sind eine Ringer-Dynastie in Inzing im Tiroler Oberinntal, der Opa, der Papa, die Brüder, alle sind sie auf der Matte gestanden. Logisch, dass sich da auch die kleine Marina gerne an ihren Brüdern vergriff. "Ich kannte nichts anderes", erzählt sie.
Technik, Kondition und gute Nerven
Dass ringende Frauen in etwa so verbreitet sind wie synchronschwimmende Männer, hat Gastl nicht weiter gestört. Ebenso wenig, dass sie von den Burschen, mit denen sich die erste Ringerin Tirols mangels Gegnerinnen anlegen musste, nur belächelt wurde. "Aber nur so lange, bis sie von mir eine auf die Papp'n bekommen haben", schmunzelt die Heeressportlerin.
Doch wer glaubt, Ringen sei eine einzige Spielwiese für Kraftlackel, Grobiane und Raufbolde, der irrt gewaltig. "Mit Kraft allein kommst du nicht weit", erklärt Gastl. "Es geht um Technik, Kondition, du brauchst auch einen kühlen Kopf und gute Nerven." Nur wer mit Fassung ringt, behält im Infight die Oberhand. Und wenn's einmal hart auf hart kommt, bleibt immer noch der Griff in die Trickkiste. "Manche bohren dem Gegner den Finger in den Kehlkopf", berichtet Gastl, "oder man biegt einfach schnell einen Finger des Gegners um."
Schwitzkasten
Auch sonst ist Ringen nichts für zartbesaitete. Vor den Bewerben ist Fasten und Schwitzen angesagt, um auf das erlaubte Maximalgewicht von 72 Kilogramm zu kommen. In den Stunden vor der obligaten Abwaage am Tag vor dem Wettkampf schlüpft Gastl daher in ihren Schwitz-Anzug, einen Ganz-Körper-Overall aus Plastik. "Da drin ist es schlimmer als in der Sauna", erklärt Gastl, die es gewohnt ist, Opfer zu bringen. Preisgelder und Trophäen haben im Damen-Ringen Seltenheitswert. Einmal bekam sie für einen Sieg 30 Euro, ein anderes Mal ein Handtuch. "Ich bin trotzdem zufrieden", sagt die leidenschaftliche Idealistin, "zum Glück habe ich das Heeressportzentrum als Absicherung."
Blumenkohlohren
Immerhin ist die ehemalige Europameisterin bisher vom berüchtigten Ringer-Ohr verschont geblieben. Das Ringer-Ohr, alias Blumenkohlohr, ist ein naher Verwandter von Tennis-Arm und Boxer-Nase, eine Verletzung, die typisch ist für diesen Sport. Aus dem Nahkampf tragen Ringer gerne Blutergüsse in der Ohrmuschel davon, die ohne Behandlung zu groben Entstellungen führen. Mit ein Grund, warum Ringer in den seltensten Fällen eine Laufbahn als Hörapparat-Model einschlagen. Rummms.
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