Der Boom vor der Schach-WM: Wie Corona zum Glücksfall wurde

Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi
Schach profitierte von der Krise. Wenn die zwei Besten um die WM kämpfen, werden die Spiele von Hunderttausenden verfolgt.

Im Mai 1997 geschah das bis dahin Undenkbare. Der Supercomputer „Deep Blue“ von IBM schlug unter Turnierbedingungen einen Schach-Weltmeister – den Russen Garri Kasparow. Das Ereignis war Startschuss für einen virtuellen Schach-Boom.

Einen ähnlichen Höhenflug fand der Sport in den vergangenen Monaten. Gipfeln wird dieser während der Schach-Weltmeisterschaft zwischen Magnus Carlsen und Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi, die am Mittwoch in Dubai eröffnet wird. Am Freitag sitzen der Norweger und der Russe erstmals am Brett, der Preis-Fonds beträgt zwei Millionen Dollar.

Die Explosion

In einer Corona-Welt der Verlierer ist Schach einer der großen Gewinner. Mit dem Herunterfahren des öffentlichen Lebens ab 2020 stiegen die Aufrufe zum Thema „Schach“ im Internet stetig an. Dann kam die Netflix-Serie „Das Damengambit“ – und das Interesse explodierte.

Hauptcharakter Beth Harmon ist ein Schachgenie, sie trinkt zu viel, ist tablettensüchtig und serviert einen (männlichen) Gegner nach dem anderen ab. Die Serie illustriert auch die Schönheit des Spiels. Dazu trug neben Schauspielerin Anya Taylor-Joy vor allem die märchenhafte Optik der Serie bei. Millionen Menschen konnten sich für einen vermeintlich langweiligen und verstaubten Sport begeistern. Schach war plötzlich mehr als alte Männer im Anzug, die sich stundenlang schweigend gegenübersitzen.

„Schach hatte einen unglaublichen Zulauf während Corona“, sagt Großmeister Niclas Huschenbeth im Gespräch mit dem KURIER. Der 29-Jährige ist zweifacher Deutscher Meister, Betreiber der Online-Schachschule „Chessence“ – und selbst einer der Profiteure der Krise. „Die Leute hatten einfach viel mehr Zeit zu Hause, und Schach war dafür optimal. Viele haben zurück zum Sport gefunden oder neu angefangen.“

Überall ließ sich ein erhöhtes Aufrufen von Schach-Content beobachten: Das Live-Streaming-Portal Twitch verbuchte Rekord-Zugriffe bei Schach; die Plattform Chess.com registrierte im November des Vorjahres 2,5 Millionen Neuregistrierungen pro Monat; sogar echte Schachbretter waren zwischenzeitlich ausverkauft.

„Ich habe im April 2020 damit angefangen, jedenTag ein Video auf Youtube zu veröffentlichen. Damals hatte mein Kanal ungefähr 33.000 Abonnenten“, sagt Huschenbeth. Am Ende des Jahres hielt er bei 80.000, jetzt sind es mehr als 90.000, die offensichtlich Interesse daran haben, wie er Spiele analysiert oder selbst spielt und dabei seine Züge kommentiert. Damit gehört Huschenbeths Kanal neben jenem von „The Big Creek“ (Georgios Souleidis hat 105.000 Abonnenten) zu den beliebtesten deutschsprachigen Schach-Kanälen. „Ich hatte mir das so nicht erwartet. Wir sprechen immer noch von Schach – und das auf Deutsch.“

„Schach hatte einen unglaublichen Zulauf während Corona. Ich hatte Livestreams mit 50.000 Zuschauern“ 

von Niclas Huschenbeth

Schach-Großmeister und Youtuber

Der Boom vor der Schach-WM: Wie Corona zum Glücksfall wurde

Niclas Huschenbeth

Huschenbeth kann vom Schach leben, seine Einkünfte kommen vor allem von der Online-Schachschule und von Werbung und Spenden von Youtube. Mittlerweile kümmert sich sogar ein kleines Team um seine Videos. „Sie helfen mir dabei, die Videos zu schneiden und die Thumbnails zu erstellen, diese kleinen Vorschaubilder. Ich kann mich dafür auf das konzentrieren, das ich am besten kann: Videos machen.“ Die Hilfe wird vor allem in den kommenden Tagen notwendig sein, denn: „Bei der WM wird die Post abgehen. Bei diesem Event möchte ich richtig auf den Putz hauen. Ich hoffe, dass diese WM mit dem aggressiven Nepomnjaschtschi großartig wird.“

Dennoch, und auf diese Feststellung legt Huschenbeth wert, Online-Schach kann das Spiel Mensch gegen Mensch direkt am Brett nicht ganz ersetzen. „Es fehlt die Atmosphäre, man sieht den Gegner nicht, es fehlen die Körpersprache und die Mimik.“ Außerdem wird beim Online-Schach meistens mit kürzerer Bedenkzeit gespielt, auch deshalb, weil es relativ leicht ist, zu schummeln. „Das ist online schon ein großes Problem“, gibt er zu. „Zwar haben die Webseiten schon Algorithmen, um dieses Schummeln zu erkennen, trotzdem passiert es eigentlich ständig.“

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