Kraft: "Als Lehrer bin ich jetzt glücklicher"

Helmut Kraft trauert der Zeit als Trainer nicht nach.
Warum Helmut Kraft die Trainerbank verlassen hat und wieder in der Schulklasse steht.

Tux im Mai ist wie die Fußball-Bundesliga im Jänner. Alles steht still. Mit dem Schnee sind auch die Touristen verschwunden. Im hintersten Winkel des Zillertals regiert die Beschaulichkeit.

Ähnlich ruhig ist es um Helmut Kraft geworden. Eineinhalb Jahrzehnte lang gehörte der Tiroler zum Inventar der Bundesliga: Nach seiner letzten Trainer-Station bei Vorwärts Steyr legte er den Retourgang ein und kehrte in seinen Brotberuf zurück. Mit 58 unterrichtet der Haller jetzt wieder in der Neuen Mittelschule in Tux. Seine Fächer: Englisch und Turnen.

KURIER: Vom Bundesligacoach zum Lehrer, das hört sich nach einem Abstieg an.

Helmut Kraft: Auch wenn mir das manche jetzt vielleicht nicht glauben wollen: Der Lehrerberuf hat mich in meinem Leben immer mehr erfüllt als der Job als Trainer.

Das müssen Sie jetzt ja sagen.

Nein. In der Klasse zu stehen und mit Kindern zu arbeiten, ist in dem Sinne erfüllender, weil man als Mensch etwas zurückbekommt. Ich verspüre jetzt viel mehr Anerkennung als zu meiner Zeit als Trainer.

Tatsächlich?

Als Trainer hast du ständig den Druck im Genick. Da geht’s immer nur ums Müssen. Du musst gewinnen, musst soundsoviele Punkte erreichen, du musst erfolgreich sein. Sonst wirst du runtergemacht, beschimpft und am Ende geschasst. Das fällt als Lehrer alles weg. Ich bin jetzt viel glücklicher.

Trotzdem haben Sie seinerzeit den Lehrerjob aufgegeben und sind Profitrainer geworden. Warum, wenn das Leben als Lehrer offenbar angenehmer ist?

Weil es mich gejuckt hat. Natürlich war es ein Reiz, in diese Welt einzutauchen und den Profifußball kennenzulernen. Es hat mir ja auch lange gut gefallen, in der Zeit, in der wir erfolgreich waren. Aber dann war ich mit Situationen konfrontiert, die ich mir lieber erspart hätte.

Wovon sprechen Sie?

Es ist mir unter die Haut gegangen, wie ich damals mit Innsbruck abgestiegen bin. Damals sind die Leute auf mich losgegangen und haben die Familie beschimpft. Da beginnst du dann zu zweifeln, ob das wirklich so ein toller Beruf ist. Ich sag’s ganz offen: Richtig eine innere Zufriedenheit hatte ich nie.

Warum denn nicht?

Weil mir immer klar war: Wenn ich drei Spiele verliere, dann bin ich der Dodel. Dann muss ich die Konsequenzen tragen. Damit habe ich mich schwer getan.

Klingt danach, als wäre Fußballtrainer doch kein Traumjob.

Es ist nur dann ein Traumjob, wenn du gewinnst. Aber das spielt es nun einmal nicht. Wenn man die Bundesligatrainer jetzt der Reihe nach fragen würde und sie auch wirklich ehrlich zu sich selbst sind, dann wird jeder zugeben, dass er viele Phasen hatte, in denen er sehr unglücklich war. Ich glaube, es überwiegen die negativen Momente.

Sie glauben also, dass die meisten Trainer mit ihrer Situation unglücklich sind?

Es kann nur einer Meister werden, das ist der Erfolgreiche. Dann gibt es vielleicht ein, zwei Vereine, die positiv übers Ziel hinausschießen. Aber was ist dann? Wenn du mit der Austria Vierter wirst, dann bist du nicht erfolgreich. Wenn du mit Rapid Fünfter bist, dann bist du gescheitert. Insofern hast du mehr negative Rückmeldungen als positive.

Dafür verdient ein Fußballtrainer auch dementsprechend. Da kann und muss er mit der Kritik schon leben.

Natürlich verdienst du gut und hast ein bequemes Leben, ein Leben in Luxus. Aber seien wir ehrlich: Es ist eine Scheinwelt, in der man als Trainer oder auch Fußballprofi lebt. Man ist nicht der tolle Supertyp, als der man in den Medien im Erfolg dargestellt wird. Man ist umgekehrt aber auch nicht der Trottel und der Buhmann, wenn man erfolglos ist. Es gibt immer nur die Extreme. Das hat mich über die Jahre immer mehr gestört, und ich hab’ mir mehr und mehr Gedanken gemacht, ob es das sein kann.

Sie haben sich die Sinnfrage gestellt?

Genau. Will ich weiter hoffen, dass mich wer anruft? Will ich weiter zittern, ob ich noch das Arbeitslosengeld erhalte? Oder gehe ich wieder in den Beruf, der mir eigentlich eh immer Spaß gemacht hat, hab’ dann wieder sicheren Boden unter den Füßen und bin glücklich. Mir wurde klar, dass es vorbei ist und dass ich als Trainer nicht mehr gefragt bin.

Immerhin hatten Sie einen Plan B. Es gibt auch Trainer, die keine Ausbildung haben.

Ich war heilfroh, dass ich einen Beruf erlernt habe. Einen Beruf, der mir Freude bereitet. Ich musste nicht in irgendeine Fabrik gehen und am Fließband arbeiten. Manche müssen das tun, wenn es als Trainer nicht mehr weitergeht und sie keine Ausbildung haben. Es bleibt dir auch nichts anderes übrig. Du musst deine Miete zahlen, du hast deine Verpflichtungen, irgendwann ist auch das Geld aufgebraucht, das du als Trainer verdient hast.

Hatten Sie je Existenzängste?

Ich hatte sie definitiv. Wenn du von der Arbeitslosenunterstützung lebst und nachdenken musst, wie du im nächsten Monat finanziell über die Runden kommst, dann fängst du zu zittern an.

Wie leicht ist Ihnen die Rückkehr in die Schule gefallen?

Es war eine enorme Umstellung. Ich war ja 15 Jahre draußen, und in dieser Zeit ist extrem viel passiert. Neue Unterrichtsmethoden, ein anderes Benotungssystem, dazu die Digitalisierung, und dann stehst du in der Klasse nicht mehr allein drin, sondern zu zweit. Ich habe Monate gebraucht.

Und wie schnell haben Sie sich daran gewöhnt, dass sich weniger Leute für Sie interessieren?

Als Trainer bist du es gewohnt, dass bei dir ständig das Telefon klingelt. Da melden sich Manager, Funktionäre, Journalisten, alle wollen etwas von dir. Und dann ist es plötzlich ruhig, und du denkst dir: ,Krieg ich noch einen Job, kennen mich die Leute überhaupt noch?‘

Wie weit ist hier in Tux der Fußball für Sie weg?

Die österreichische Liga verfolge ich gar nicht mehr. Mich interessiert immer noch AC Milan, und dann natürlich der Amateurfußball. Zell am Ziller, Erste Klasse Ost, den Klub trainiere ich jetzt.

Abschließend: Sie haben in Wiener Neustadt auch unter Frank Stronach gearbeitet. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben?

Die Anrufe vom Frank waren legendär. Wenn er sich einen Tag vor dem Spiel aus Kanada gemeldet hat und mir die Aufstellung angesagt hat.

Das hat er wirklich gemacht?

Er hat immer gesagt: ,Wer das Gold hat, macht die Regeln. Und das Gold habe ich.‘ Ich bin mir teilweise wie ein Trottel vorgekommen. Die Spieler haben ja auch gecheckt, dass da was nicht stimmt und einer spielt, der im Training nicht so gut war.

Wie hieß denn dieser Spieler?

Diego Viana. Der war einer von Franks Lieblingsspielern. Ich habe der Mannschaft damals gesagt, dass ich damit nicht einverstanden bin. Aber was sollte ich denn tun? Den Rauswurf wollte ich deswegen auch nicht riskieren. Bei einem anderen Spieler war’s übrigens umgekehrt: Harun Erbek habe ich nicht aufstellen dürfen.

Er war U-21-Teamspieler.

Stimmt, aber Frank Stronach wollte nicht, dass er zum Einsatz kommt. Er hat mir immer gesagt, der Erbek ist viel zu klein für einen Fußballer.

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