Fan-Forscher: "Die Rivalität muss Raum bekommen"
Das Derby-Nachspiel hatte es in sich: Vier Fans wurden nach dem 1:0-Sieg von Rapid gegen die Austria in Wien festgenommen. Zusätzlich meldet die Polizei eine "Vielzahl an Anzeigen". Und bereits morgen wartet im Prater das nächste Derby, noch dazu in einer Cup-Nacht.Wie sollen die Vereine mit der an sich gewünschten, aber teilweise in Gewalt umschlagenden Rivalität der Fan-Gruppen umgehen? Johannes Berendt von der renommierten Sporthochschule Köln hat sich in einer großen Studie mit dem Thema Fan-Rivalität damit auseinandergesetzt.
KURIER: Herr Berendt, was fällt Ihnen zum Wiener Derby ein?
Johannes Berendt: Ich kann das nur aus der Ferne beurteilen, die starke Rivalität der beiden Klubs ist mir aber bekannt. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Rivalität ein zweischneidiges Schwert mit positiven und negativen Konsequenzen ist. Beide treten scheinbar auch beim Wiener Derby in Erscheinung.
Nimmt Gewalt in Stadien zu?
Statistiken belegen, dass sich die Polizeikosten in Deutschland auf einem enorm hohen Niveau befinden. Ob die Gewalt daher zugenommen hat, lässt sich nicht eindeutig sagen. Was sich sagen lässt, ist, dass Gewalt in Sportstadien ein globales Phänomen ist, das nicht nur den Fußball betrifft – Ausschreitungen unter rivalisierenden Fans gibt es sogar beim Rollstuhlbasketball.
Sie kommen aus der Wirtschaftsforschung. Was hat Sie an Fußball-Fans interessiert?
In der Wirtschaft wird Rivalität oft mit Feindschaft gleichgesetzt, ist daher negativ konnotiert. Im Sport hingegen bedeutet Rivalität immer auch etwas Positives. Derbys sind die Höhepunkte einer Saison. In einem ersten Schritt der Forschung konnten wir herausfinden, dass Rivalität die Identität der Fans stärkt, deren Zusammenhalt oder Ansehen erhöht. Aus Marketing-Sicht hat uns anschließend interessiert, wie die Vereine auf Management-Ebene mit Rivalität und dem damit verbundenen Gewaltproblem umgehen könnten.
Wie gingen Sie vor?
Eine Inhaltsanalyse von Presseartikeln hat ergeben, dass ein dominanter Ansatz die Strategie des Herunterspielens ist. Um vor dem Derby die Gemüter zu beruhigen und ein Überkochen der Emotionen zu verhindern, verkünden die Verantwortlichen oft Botschaften wie: "Es geht auch nur um drei Punkte" oder "das Derby ist ein Spiel wie jedes andere". Intuitiv dachten wir, dass das ein vernünftiges Konzept ist, um die Stimmung nicht hochkochen zu lassen.
Ist es nicht?
Nein. Das ist leider sogar kontraproduktiv und macht Fans noch aggressiver.
Woran liegt das?
Fans fühlen sich schlichtweg nicht ernst genommen, wenn ihnen vom Verein gesagt wird, dass das Derby ein Spiel wie jedes andere ist. Der Konflikt wird negiert – und das ist fatal, denn er ist ein zentraler Bestandteil der Fan-Identität. Fans definieren sich nicht nur dadurch, wer sie sind, sondern auch dadurch, wer sie nicht sind. Auf Wien umgelegt: Man ist nicht nur Austrianer, sondern auch Nicht-Rapidler.
Wie lief die Testung ab?
Wir haben 4000 Fans verschiedener Klubs fiktive Statements von Spielern ihrer Mannschaft vorgelegt. Teilnehmern, denen gegenüber die Bedeutung des Derbys heruntergespielt wurde, wiesen höhere Aggressionslevels auf als jene, denen gar kein Statement vorgelesen wurde. Das geringste Aggressionspotenzial zeigte aber eine dritte Gruppe.
Welche denn?
Jene Teilnehmer, die in der Testgruppe "duale Identität" waren. Der Ansatz kommt aus der Sozialpsychologie und dient dazu, die Feindschaft zweier Gruppen zu besänftigen. Er besagt, dass es wichtig ist, die Identität beider Gruppen zu wahren, gleichzeitig auf übergeordneter Ebene aber Gemeinsamkeiten mit dem Rivalen aufzubauen. So sind etwa Dortmunder und Schalker von Grund auf verschieden. Das will niemand ändern. Trotzdem gibt es aber auf übergeordneter Ebene zentrale Gemeinsamkeiten, die man ebenfalls betonen sollte. Etwa, dass beide Klubs Traditionsvereine sind und für das Ruhrgebiet stehen.
Was sollten Vereine daher tun?
Auf keinen Fall die Rivalität herunterspielen. Da ist es besser, gar nichts zur Rivalität zu sagen. Die Rivalität muss Raum bekommen, das ist das Beste. Die Vereine mit Erzrivalen sollen betonen, dass sie keine Freunde sind. Fans sind aber gewillt, auf übergeordneter Ebene Gemeinsamkeiten anzuerkennen.
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