Bernhard Kohl: "Ich habe gesehen, wer wahre Freunde sind"

Bernhard Kohl: "Ich habe gesehen, wer wahre Freunde sind"
Zehn Jahre nach seinem Doping-Fall ist der Ex-Radprofi Geschäftsmann und zweifacher Vater. Wie er mit seiner Vergangenheit umgeht.

Bei der Tour de France 2008 gewann der Radprofi aus Wolkersdorf die Bergwertung der Tour de France und fuhr als Gesamt-Dritter am 27. Juli über die Champs-Élysées. Am 13. Oktober 2008 berichtete die französische Sporttageszeitung L’Équipe, dass bei einem Doping-Nachtest das EPO-Mittel CERA nachgewiesen wurde. Kohl wurde gesperrt, kooperierte aber mit den Behörden, gab Hintermänner preis, belastete auch seinen Ex-Manager, den ehemaligen Leichtathleten Stefan Matschiner.

Zehn Jahre später wohnt er mit seiner Familie in Brunn am Gebirge, nur unweit seines RadgeschäftsBernhard KohlFahrrad & Fitness“ am Rande Wiens.

KURIER: 13. Oktober 2008. Welche Erinnerungen haben Sie.

Bernhard Kohl: Das war eine krasse Zeit. Erst der wahnsinnige Erfolg bei der Tour de France, wo dich alle gefeiert haben. Vor der Tour haben mich vor allem Insider gekannt.  Das war von Null auf Hundert. Dann bist du von einem Tag auf den anderen auf einmal der Buhmann. Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.

Haben Sie sich davor über Ihre Zukunft Gedanken gemacht?

Nur über die Karriere. Ich hatte einen Vertrag mit einem neuen Rennstall unterschrieben. Das war ein richtig guter Vertrag.

Als der ärgste Trubel vorbei war. Wie haben Sie da die Zukunft gesehen?

Da gab es schon Existenzängste. Naheliegend war natürlich, etwas mit Rädern zu machen. Mein damaliger Medienberater hat gemeint, dass es keine kleine Bude sein sollte, sondern etwas Großes. Und er hat mir seinen Cousin empfohlen. Drei Stunden später sind wir im Restaurant zusammengesessen, am nächsten Tag haben wir  am Businessplan gearbeitet, dann Vorsprechen bei den Banken. Vier Monate später haben wir aufgesperrt.

Und wie hat sich das Geschäft entwickelt?

Das Radgeschäft war eine enorme Herausforderung. Ich habe Rauchfangkehrer gelernt, war dann Radprofi und wurde ins kalte Wasser gestoßen. Vor neun Jahren haben wir mit sieben Mitarbeitern begonnen. Mittlerweile habe ich 37 Mitarbeiter und 3500 Quadratmeter Geschäftsfläche. Wir sind damit das größte Rad-Fachgeschäft des Landes.

Sind sie manchmal im Geschäft?

Wo Bernhard Kohl drauf steht, soll auch Bernhard Kohl drinnen sein. Ich bin sechs Tage in der Woche im Geschäft. Kunden sind oft überrascht, dass ich sie berate.

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Ist die Person Bernhard Kohl der Grund, warum der Laden läuft?

Am Beginn war ich mit Sicherheit der Magnet, aber am Ende des Tages ist es unser gesamtes Team, das einen hervorragenden Job macht. Und unsere Vielfalt an Produkten, die alle Bedürfnisse unserer Kunden abdeckt. Wir sind ein Beispiel, wie sich der Fachhandel gegen das Internet behaupten kann. Vor dem Kauf wird der Kunde vermessen, und er kann Probe fahren. Unser Kunde bekommt das Rad, das ihm genau passt. Die Industrie hat auf den Radboom reagiert, produziert Rennräder, E-Bikes verschiedener Typen, verschiedener Geometrien.

Sie reden vom Team, waren aber Einzelsportler.

 Ohne gutes Team hast du im Radsport keinen Erfolg. Ich habe gesehen und erlebt, wie wichtig ein richtig zusammengestelltes Team ist. Personalführung ist eine der größten Herausforderungen in der Wirtschaft.

Werden Sie auch nach zehn Jahren noch Ihre Dopingvergangenheit angesprochen?

Manchmal. Ich gehe aber mit dem Thema offen um. Bei mir im Geschäft gibt es eine Wand, auf der meine Dopinggeschichte nachzulesen ist.

Verdienen Sie jetzt mehr als damals?

Ich habe damals rund 150.000 Euro brutto im Jahr verdient. Das Geld ist in Trainingslager, Trainer und leider auch in Dopingmittel geflossen. Nach der Tour hätte ich einen Riesensprung gemacht, mehr als eine Million wäre der neue Vertrag gewesen. Eine Million werde ich zwar nicht mehr verdienen, aber ich kann meiner Familie alles bieten was nötig ist – und mit der Zeit kommt man drauf, dass viel Geld nicht das Wichtigste im Leben ist.

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Wie viel haben Sie für Doping ausgegeben?

Je besser man wird, desto mehr verdient man, desto mehr gibt man für  Doping aus. Bei mir werden es wohl 100.000 Euro über die Jahre gewesen sein. Da geht auch viel Geld drauf und bleibt nicht die Welt über. Bei mir war es so viel, dass ich die eineinhalb Jahre überbrücken konnte bis zum Radgeschäft.

Wie kommt man auf die Idee zu dopen?

Mit dem Doping fängst du klein an. Das beginnt auf nationaler Ebene. Dann zählst du 1 und 1 zusammen und kannst dir vorstellen, wie es an der Weltspitze zugehen muss.

Ist das nicht eine billige Ausrede?

Ja. Dann bist du bei den Profis und suchst dir die Ausrede: Wenn es alle machen, muss ich es auch machen, um vielleicht einmal vorne fahren zu können. Und im Profibereich erfährst du dann von Kollegen oder Ärzten, wie es tatsächlich läuft. Oder es kommen Leute auf dich zu, so wie bei mir .

Aber hatten Sie nicht Angst um ihre Gesundheit?

Eigentlich nicht. Und ehrlich gesagt wollte ich es auch gar nicht wissen. Leider hat auch die Aufklärung gefehlt. Sorgen macht dir nur, dass du erwischt wirst.

Und die Angst, erwischt zu werden?

Du verdrängst die Angst, dass du erwischt wirst. Das liegt aber auch in der Natur des Spitzensports, dass du versuchst, jede Form von negativer Energie von dir fern zu halten. Sportler haben einen Tunnelblick.

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Als Sie erwischt wurden, haben Sie den Tunnel aber hinter sich gelassen.

Die meisten sitzen die Sperre aus und machen dann weiter. Ich hatte zum Glück aber die richtigen Berater außerhalb des Sports und mich für einen anderen Weg entschieden. Ich habe alles zugegeben, habe über die Hintergründe gesprochen und mit den Behörden kooperiert. Und wusste dass dadurch die Karriere vorbei ist.

Und haben Ihre zweite Chance gesucht?

Ja. Das schätze ich an Österreich, dass man da eine zweite Chance bekommt. Nach dem Erfolg bei der Tour hast du tausend Freunde. Nach dem Dopingtest habe ich gesehen, was wirkliche Freunde sind. Und wer wirklich noch zu dir steht. Von den Promis war das im meinem Fall nur Landeshauptmann Erwin Pröll.

Der ist begeisterter Hobbyfahrer. Fahren auch Sie noch immer mit dem Rennrad?

2000 bis 3000 Kilometer im Jahr. Als Aktiver waren es 20.000 bis 30.000 Kilometer. Im Sommer machen wir mit Kunden und Freunden ein Mal die Woche eine Ausfahrt. Im September machen wir dann ein Event. Dieses Jahr waren 150 Teilnehmer bei „Bernhard Kohl & Friends“ im Weinviertel. Für den Winter haben wir 15 Bahnräder gekauft, da fahren wir dann im Dusika-Stadion.

Fahren Sie auch Rennen?

Aktuell stehen die Familie und der Betrieb im Vordergrund. Daher fehlt mir die Zeit dafür. Ohne Training funktioniert es bei mir natürlich auch nicht. Vor vier Jahren bin ich bei einem Hobbyrennen in den Dolomiten gestartet und war als Erster mit über 20 Minuten Vorsprung im Ziel. Da habe ich gesehen, dass ich es noch kann.

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Also juckt es Sie?

Nein. Ich habe in meiner Zeit als Profi meine gesteckten Ziele übertroffen. Das,  wovon ich als Junge geträumt habe. Ich habe keine Rechnung mehr offen mit dem Sport. Ich brauche keine Rennen als Herausforderung mehr. Ich weiß, dass ich im Amateurbereich ganz schnell wieder vorne wäre, da wäre nur der Profibereich noch eine Herausforderung. Aber da hab ich mit dem Geschäft und der Familie nicht die Zeit dafür.

Wie hat Ihr Körper auf das Karriereende reagiert?

Mein Ruhepuls ist sogar niedriger als früher. Ich habe ein EKG gemacht, da wollte dann die Schwester den Oberarzt holen, weil ich nur 34 Ruhepuls gehabt habe. So etwas muss dir angeboren sein, sonst kommst du in einem Ausdauersport nicht so weit. 

Sie sind seriöser Geschäftsmann geworden. Den Deutschen Jan Ullrich aber hat es aus der Bahn geworfen.

Die Geschichte mit Jan Ullrich ist ganz arg, die tut mir wirklich weh. Er ist ein extrem lieber Kerl und hat einen guten Kern, das habe ich in den zwei Jahren mit ihm im Team Telekom mitbekommen. Ich war der Jungprofi, er der Weltstar. Er war  immer schon ein bisschen labil, dennoch ist es schlimm, jemanden so abrutschen zu sehen. Man sieht, dass viel Geld auch nicht glücklich machen muss.

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