Bauwut statt Lebenslust in Katar

Imposante Skyline: Im "neuen" Doha ist Größe Trumpf.
Die Handball-WM in Katar bietet die Chance zur Entdeckung eines widersprüchlichen Landes.

Zeichne ein Bild von Katar, haben sie gesagt. Mit Worten. Von dem Land, das bereits die Schwimm-WM (nebensächlich) veranstaltet hat; von dem Land, das derzeit die Handball-WM (nebensächlich) ausrichtet; von dem Land, das bald die Turn-, Rad- und Leichtathletik-WM (alles eigentlich auch nebensächlich) organisieren wird; von dem Land, das 2022 die Fußball-WM (hauptsächlich) und irgendwann wohl auch Olympia (hoffentlich die mit den Sommersportarten) in Szene setzen wird.

Bauwut statt Lebenslust in Katar
epa04555298 Rugs, carpets and pillows on sale at a stand in the Souq Waqif in central Doha, Qatar, 11 January 2015. The souq is a popular destination for tourists and locals and offers garments, spices, souvernirs and houses many restaurants. The Handball World Championship 2015 takes place in Qatar from 15 January to 01 February. Qatar 2015 via epa/ALI HAIDER Editorial Use only/No Commercial sales
Zeichne ein Bild von der Bauwut (die es gibt), vom Größenwahn (den es geben muss), von der Ausbeutung (die zu erahnen ist), von der Selbstgefälligkeit (die nicht wahrzunehmen ist). Eine Woche ist dafür Zeit. Unmöglich. Wie gut kennt man eine Stadt, ein Land nach einer Woche? Allein: Wie gut kennt man ein Land, eine Stadt, ein Dorf, seine Nachbarschaft nach einem halben Leben?

Einen Versuch ist es wert. Zu viel Grausliches und Spektakuläres wurde berichtet über Katar – dieses unscheinbare Halbinselchen im Persischen Golf mit seiner funkelnden Hauptstadt Doha. Eine Woche Zeit. Wo soll man da bloß anfangen?

Die Fremdarbeiter

Bauwut statt Lebenslust in Katar
epa04555297 View of one of the alleys in the Souq Waqif in central Doha, Qatar, 11 January 2015. The souq is a popular destination for tourists and locals and offers garments, spices, souvernirs and houses many restaurants. The Handball World Championship 2015 takes place in Qatar from 15 January to 01 February. Qatar 2015 via epa/ALI HAIDER Editorial Use only/No Commercial sales
Sergej ist ein freundlicher, junger Mann aus Mazedonien. Er ist seit einem Monat in Doha und hat Arbeit, viel Arbeit – in einem Hotel einem großen Hotel: 26 Stockwerke, nicht ganz so viele Sterne. In seiner Heimat war Sergej zuvor arbeitslos. Er will so schnell als möglich wieder zurück nach Mazedonien. Kein Leben sei das hier, sagt er. Er spricht leise, aber dafür in perfektem Englisch. Sergej war kein Träumer, keiner, der sich wie so viele Auswanderer das Paradies ausgemalt hat: "Die Hölle ist das zwar auch nicht, aber es gibt dazwischen eben viele Abstufungen."

Die Abstufungen fehlen auch Winny, einem großen Mann aus Ghana. Seit zwei Jahren lebt er in Katar. "Ich lebe nicht hier", sagt er mit lauter Stimme und in nicht ganz so perfektem Englisch. "Ich arbeite hier. Arbeiten, schlafen, arbeiten, schlafen." Es fehle der Spaß, das Lebensgefühl. Im Sommer will er zurück in Ghana sein.

Der nächste katarische Widerspruch: Arbeiten wollen viele hier, leben offenbar keiner. Von sieben Bewohnern Katars sind sechs gereist. Eine gelungene Work-Life-Balance sieht anders aus.

Die Einheimischen

Wie hält man es in Katar bloß aus? Fünf Jahre, fünfzehn, gar ein Leben lang? Am ältesten Markt der Stadt, dem Souq Waqif, sitzt ein älterer Herr, der darüber erzählen kann. Er muss davor aber noch beten, zum zweiten Mal an diesem Tag. Er zieht die Schuhe aus, richtet seinen Oberkörper auf und schließt die Augen.

Nach fünf Minuten öffnet er sie wieder und beginnt zu sprechen. Sein Englisch ist schlecht, weil inexistent. Das ist nicht schlimm, er war noch nie in England, sondern 72 Jahre lang in Katar. "Das da drüben ist nichts für mich", sagt er, beziehungsweise ein Dolmetscher. Mit "da drüben" ist die Skyline von Doha gemeint, das Finanzviertel, die Hotelburgen, die Einkaufszentren.

Der Mann war mehr als 60 Jahre lang Fischer, wie auch schon sein Vater zuvor und wie einst die meisten Katari. Irgendwann war der Meeresgrund nicht mehr tief genug. Sie bohrten statt zu fischen, fette Beute gab es dennoch: zunächst Erdöl. Heute verfügt Katar über die weltweit größten Erdgasreserven. Der Staatsfonds der Herrscherfamilie ist mehr als 50 Milliarden Dollar schwer.

Davon hat auch der alte Mann am Markt etwas: ein bisschen Rente, wie er sagt, und "die beste medizinische Versorgung", die er sich je vorstellen konnte. Er hat noch einige Jahre vor sich – vermutlich. Sicher ist nur wo: in Doha.

Die Sportarenen

Bauwut statt Lebenslust in Katar
Handball, Katar, Halle, honorarfrei
Die Handball-WM bietet einen Vorgeschmack darauf, was die Sportwelt in den kommenden Jahren erwarten wird: drei Hallen und Baukosten von mehr als 200 Millionen Euro. Ein Klacks. In der staubigen Wüste, die an den Rändern von Doha nahtlos in glattesten Asphalt übergeht, reiht sich Baukran an Baukran. Drei interessante stehen derzeit im Westen der Stadt.

Dort entsteht bereits eines der klimatisierten Stadien für die Fußball-WM 2022. Insgesamt sind zwölf geplant, so schreibt es der Weltverband FIFA vor. Dazu noch 112 (!) Trainingsplätze für die 32 Teilnehmer.

Der Blick auf die erste Super-Arena bleibt einem verwehrt, als Sichtschutz wurde eine mehrere Meter hohe Betonwand aufgezogen – und unzählige Warnschilder: "Betreten verboten!"

Der KURIER hätte gerne mit jenen zwei Österreichern gesprochen, die in Doha im Auftrag der FIFA arbeiten. Doch ihnen ist jede Form eines Interviews untersagt – nicht von Katar, von der FIFA.

Auch das zeichnet ein Bild. Ohne jedes Wort.

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