Archäologie: Ausflug ins antike Olympia

Archäologie: Ausflug ins antike Olympia
Forscher enträtseln die Urgeschichte des Sports. Das Kräftemessen im antiken Olympia hatte viele Parallelen zum Heute.

Nackt, braungebrannt und ölglänzend schreiten sie durch den 36 Meter langen Tunnel. Es ist Hochsommer, der zweite Vollmond nach der Sommer-Sonnwende. Im Stadion von Olympia johlt die Menge den Athleten zu. Die haben zuvor Graffitis in die Gänge geritzt: "Niko" (ich gewinne, griechisch) schrieb um 340 v. Chr. einer in den Stein – die Hoffnung aller. Olympia gebar Helden. Man bewarf sie mit Getreide, Blumen, Blüten und Kräutern – Konfetti auf Antik. Gewinner durften lebenslang gratis im Rathaus speisen, waren steuerbefreit und hatten Logen im Theater. "Der Sport hatte in der griechischen Antike einen ähnlichen Stellenwert wie in unserer heutigen Gesellschaft. Die Sieger konnten Bronze-Statuen errichten, die sie in Windeseile bekannt machten und auch zum Ruhm ihrer Heimatstädte beitrugen", sagt Wolfgang Decker von der Sporthochschule Köln. "Die gesamte bewohnte griechische Welt – vom Schwarzen Meer bis zur Südgrenze Ägyptens, von Spanien bis weit nach Asien hinein – kam alle vier Jahre in Olympia zusammen. 40.000 bis 50.000 Schaulustige reisten zu den Spielen an. Viele waren wochenlang unterwegs."

1200 Jahre Sport

Archäologie: Ausflug ins antike Olympia

Mehr als ein Jahrtausend flogen im heiligen Hain Speere und Scheiben. Das grenze an ein Wunder, diagnostiziert der Archäologe und langjährige Ausgräber in Olympia, Ulrich Sinn: "Ungeachtet aller politischen und sozialen Umwälzungen hatte die friedliche Volksversammlung im Zeus-Heiligtum 1200 Jahre Bestand". Erst die frühen Christen mit ihrer Körperfeindlichkeit erzwangen ein Ende des heidnischen Muskelkults. Wer heute Olympia und das siebente Weltwunder, den Zeus-Tempel, besucht, stößt auf Ruinen. In ihnen lesen die Archäologen wie in antiken Quellen. Seit 1875 erforschen die Deutschen die Wiege des Sports, heute unter der Leitung von Reinhard Senff: "Seit drei Jahren graben wir im Südosten des Heiligtums. Dort wird unter anderem der Zugang zum Hippodrom vermutet. Leider haben Bodenradar-Untersuchungen keinen Beleg für die antike Pferde-Rennbahn erbracht." Was Decker, den Experten für antiken Sport, nicht wundert: "In ganz Griechenland hat man noch keinen Hippodrom gefunden. Die Griechen haben ihre Pferde-Rennbahnen wohl aus vergänglichem Material gefertigt", vermutet er , "Holz und Seile, die nach dem Fest wieder abgebaut wurden."

Stattdessen hat Senff Hinweise auf Kultstätten gefunden: "Ganz typischen Opfer-Abfall – Holzkohle und Knochen beispielsweise." Kult und Sport waren in der Antike untrennbar verbunden. "An allen großen Kult-Orten – in Delphi (Apoll), Olympia (Zeus), Korinth (Poseidon), Nenea (auch dem Zeus geweiht) – fanden große Sportfeste statt", erzählt Decker. "Wer alle vier gewann, erhielt den Titel Periodonike – das war so etwas wie der Grand Slam der Antike."

Antikes Woodstock

"Die Spiele waren ein großer Jahrmarkt", sagt der deutsche Archäologe Senff. Das Oktoberfest der Antike oder wie es der australische Historiker Tony Perrottet in seinem Buch Das nackte Olympia nannte: das antike Wood­stock. "Das Fest fand im Hochsommer statt, genächtigt wurde unter freiem Himmel oder in Laub-Hütten", erzählt Decker. Und Senff weiter: "Die Leute kamen dorthin, weil sie die berühmten Muskelmänner sehen wollten." Kollateralschäden inklusive: Unter dem Ansturm der Massen verwandelten sich die Pinienwälder in Massen-Latrinen, Toiletten errichteten erst die Römer – wie damals üblich Donnerbalken für je 15 Personen. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten zog alles an, was Rang und Namen hatte. Die High Society war im Leonidaion, einem Luxus-Gästehaus, untergebracht, das zwei Dutzend Menschen Platz bot. Dort konnte, wer das Geld hatte, Logen mieten und Geschäftspartner, Freunde, Sponsoren oder Athleten einladen, z. B., um sie zu einem Transfer in die eigene Stadt zu bewegen.

Beim Wagenrennen mischten die Politiker selbst mit. "Oft brachten sie gleich mehrere Wagen an den Start, um sicherzugehen, dass sie gewinnen", erzählt Senff. Mitunter sei der Sieg auch Ausgangspunkt einer politischen Karriere gewesen: "Alkibiades etwa bekam nur deshalb einen Oberbefehl im peloponnesischen Krieg, weil er Olympia-Sieger geworden war." Die Aktion ging völlig in die Hose, weil dem berühmten Quereinsteiger jegliches strategische Geschick fehlte.

Die Analyse der antiken Siegerlisten ergab, dass der Leistungssport anfangs fest in der Hand des Adels war. Nur sie belegten die ersten Plätze, nur sie hatten Geld und Zeit, sich wochenlang vorzubereiten. Doch 594 v. Chr. wurde alles anders: Die Athener, größte Polis (Stadtstaat) des Landes, führten die Demokratie ein, mit Auswirkungen auf den Sport. Fortan sollte jeder Athener, der in Olympia siegte, 500 Drachmen – etwa zwei Jahresgehälter eines Handwerkers – aus der Staatskasse erhalten. Derart angestachelt, begannen Hinz und Kunz mit professionellem Training.

Ingomar Weiler, Althistoriker an der Universität Graz, hat soeben ein Buch über den antiken Sport herausgebracht. Er hat sich mit der Herkunft der Athleten befasst und festgestellt, "dass damals wie heute die Sportkarriere zum sozialen Aufstieg beitragen konnte. Einfache Leute der Mittelklasse erhielten im Gymnasium eine sportliche Ausbildung." Mit Schulen hatten die Gymnasien aber wenig zu tun – es waren Drill-Anstalten, um die Jugend fit zu machen – für die Landesverteidigung. Jedenfalls war es eine Zeit des Umbruchs, in der Sport zur Massenbewegung wurde.

Lourdes der Antike

Olympia war kein Wohnort, sondern eine Kultstätte, die auch unabhängig von den Spielen funktionierte. Senff: "Es gab Dutzende Altäre für die verschiedensten Götter – Artemis, Herakles, Hera. Es gab auch ein berühmtes Orakel und einen Festkalender, der den Göttern ihre Feiertage zuwies. Hier herrschte das ganze Jahr über Betrieb."

Höhepunkt waren natürlich die alle vier Jahre stattfindenden großen Spiele zu Ehren von Zeus, des Gottes des Kampfes. Organisiert wurde das Fest von den Bewohnern der Nachbar-Ortes Elis, 50 Kilometer von Olympia entfernt. Dort fanden auch die Qualifikationswettkämpfe statt. Die Athleten mussten einen ganzen Monat lang unter den Augen der Schiedsrichter trainieren. Wer es geschafft hatte, marschierte die 50 Kilometer nach Olympia. Die Prozession der bis zu 400 Athleten und Schiedsrichter erstreckte sich über zwei Tage.

Vernarrt in jede Art von Wettkampf seien die Griechen gewesen, sagen Forscher: Es gab Flöten-Turniere und Kuss-Wettkämpfe für Knaben, Olympia vergab Sieger-Kränze an Trompeter, sogar das Herolds-Ausrufen war eine olympische Disziplin – man könnte sagen, eine Art Wettstreit der antiken Journalisten.

Apropos: "Olympia war auch ein Medienzentrum, das Politiker und Künstler für ihre Zwecke nutzten. Nirgendwo sonst hatte man in der Antike so viele Zuhörer." Und so trugen Dichter neue Werke vor, Maler versuchten, Athleten zu überreden, sich porträtieren zu lassen, und Politiker nahmen Gesichtsbäder. So gesehen haben sich die Zeiten kaum geändert.

"Das krampfhafte Bemühen des IOC, sich auf die Antike zu beziehen und keine Profisportler zu den Spielen zuzulassen, ist aber Unsinn", kritisiert Archäologe Sinn: "Damals waren ausschließlich Berufssportler dabei."

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