Allen Widerständen zum Trotz: Olympia als großes Missverständnis

Allen Widerständen zum Trotz: Olympia als großes Missverständnis
Der Widerstand gegen die Olympischen Spiele wächst. Japanische Sponsoren gehen auf Distanz, Sportler klagen über Isolation.

Das Gesicht zu wahren, ist eines der wichtigsten Gebote in der japanischen Gesellschaft. Dafür bedarf es mitunter eines gesellschaftlichen Spagats. Toyota ist ein Welt-Konzern. Das größte japanische Unternehmen ist eines von rund 60 Firmen des Landes, die für die Olympischen Spiele in Tokio zusammen mehr als drei Milliarden Dollar für die Sponsorenrechte hingeblättert hatten.

„Toyota geht auf Distanz“, titelten gestern die Agenturen, weil der Autokonzern niemanden zur Eröffnungszeremonie schicken wird. Zudem werden Werbespots mit Bezug auf die Spiele nicht gesendet. In Japan. Gegenüber dem IOC gab es keinerlei Protest.

Der Konzern reagierte auf die Stimmung im Lande. Japan und die Sportwelt haben mittlerweile ein gespaltenes Verhältnis. Eine deutliche Mehrheit der japanischen Bürger spricht sich immer wieder in Umfragen dagegen aus, dass die Spiele in Tokio stattfinden.

Die Olympischen Spiele sollten ein Symbol der Völkerverständigung sein. Davon bleibt in Pandemiezeiten nichts übrig. Trotz der vergleichsweise geringen Infektionen in Japan müssen vor der Abreise zwei PCR-Tests gemacht werden und direkt nach Ankunft ein weiterer Schnelltest. Das ist aber nur die Voraussetzung für die Einreise. Während der ersten drei Tage wird das Hotelzimmer, das einem zugeteilt wurde, vom Personal nicht gereinigt. Auch frühstücken darf man im Hotel nicht. Das wäre zu gefährlich für die anderen Gäste, heißt es. Man bekommt das Essen aufs Zimmer.

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Mühsame Einreise

Auch die Athleten werden in ihren Unterkünften isoliert, sehen kaum mehr als Flughafen, Hotelzimmer und Wettkampfstätten. Neuankömmlingen ist es nur gestattet, für höchstens 15 Minuten an die frische Luft zu gehen. Oder in einen Supermarkt, der einem zugewiesen wurde. Das Organisationskomitee warnte die internationalen Medien ausdrücklich: „Die Menschen in Japan werden jede ihrer Bewegungen genau beobachten“.

Die Angst bleibt, trotz der Zahlen, die das IOC geliefert hat. In der ersten Juli-Hälfte wurden von 15.000 aus dem Ausland eingereisten Akkreditierten mur 15 positiv auf das Virus getestet. Dass es nun die ersten Fälle im Athletendorf gibt, ist Wasser auf den Mühlen der Kritiker. Zumal ein Großteil der japanischen Bevölkerung noch nicht geimpft ist.

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Für Tokio wurde wegen der gestiegenen Infektionszahlen zum inzwischen vierten Mal der Notstand ausgerufen. Und das bei Zahlen, die in Europa kaum beunruhigen. Knapp 3.000 Neuinfektionen wurden am Montag gemeldet, die 7-Tage-Inzidenz lag bei 16,6. In Österreich betrug sie 23,9, in Großbritannien lag sie bei 465,6, dennoch durften am Wochenende 365.000 Fans zum Grand Prix nach Silverstone.

In Europa irritiert, dass ein hoch entwickeltes Land wie Japan eine doch geringe Impfquote hat. Montag betrug sie 33,7 Prozent für Erst- und 21,7 Prozent für Zweitgeimpfte. 42,6 Millionen der 126 Millionen Einwohner haben somit den ersten Stich bekommen. In Österreich haben schon 65 Prozent den ersten Stich, 51,4 Prozent haben schon den vollständigen Impfschutz.

Japan würde wohl am liebsten aussteigen, aber das lassen die Olympia-Verträge nicht zu. Für eine Absage würde das Internationale Olympische Komitee riesige Summen als Entschädigung verlangen. Über 90 Prozent der Einnahmen bezieht das IOC von Sponsoren wie Coca-Cola, Alibaba, Panasonic, Visa, Samsung, Toyota und aus dem Verkauf der TV-Rechte, für die man 2,5 bis 3,4 Milliarden Euro kassiert.

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Verhasster IOC-Boss

„Die japanische Regierung zieht ihren Olympiaplan gegen den Willen der Bevölkerung durch. Noch mehr gehasst als der Premierminister wird derzeit nur ein Deutscher“, schrieb der Spiegel. Thomas Bach ist Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. Der Deutsche wollte die Entscheidung, die Geisterspiele durchzuziehen, am 13. Juli verteidigen und die Kompetenz der Olympia-Organisatoren loben.

Und trat dabei ordentlich ins Fettnäpfchen. Er begründete den Segen der Spiele so: „Für die Athleten, für alle Delegationen und – am wichtigsten – für das chinesische Volk.“ Er bemerkte den Fehler sofort und sagte „japanische Volk“. Laut der britischen Tageszeitung Guardian wurde Bachs Patzer nicht von den Dolmetschern für die anwesenden Olympia-Organisatoren übersetzt. Den Journalisten vor Ort entging die Peinlichkeit aber natürlich nicht.

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Es war aber nicht Bachs einziger Fauxpas. Schon davor hatte er das japanische Volk als besonders „widerstandsfähig“ bezeichnet und meinte, für Olympia müssten „einige Opfer“ gebracht werden.

Die Organisatoren und das IOC hoffen, dass sich die Stimmung doch noch zum Positiven ändert, sobald die Spiele einmal angefangen haben und die Menschen sie zu Hause im Fernsehen sehen. Sollten dadurch die Infektionszahlen sinken, wäre es ein Triumph für die konservative Regierung und das IOC. Japanische Kommentatoren meinen aber, dass das Misstrauen bleiben werde, zumal sich die Einstellung von Entscheidungsträgern, wie Thomas Bach einer ist, „anhören, wie die von Kolonialherren“.

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