Drei Tage später demoliert er im Zeitfahren die Konkurrenz. Ullrich geht als Letzter ins Rennen und überholt den drei Minuten vor ihm gestarteten zweitplatzierten Richard Virenque. Mit 9:09 Minuten Vorsprung, dem größten seit 1984, gewinnt er eine Woche später das wichtigste Radrennen der Welt.
Ullrich bringt alle (körperlichen) Voraussetzungen mit, um viele Jahre lang im Radsport unschlagbar zu sein. „Jan Ullrich hat mir Angst gemacht, er hatte mehr Talent als ich“, sagt etwa Lance Armstrong. Doch es ist der akribische Arbeiter und Perfektionist aus den USA, der in den Jahren 1999 bis 2005 sieben Mal in Serie die Tour gewinnt – bis ihm alle Titel wegen Dopings aberkannt werden. Armstrong: „Ich dachte mir: Zehn Jahre lang wird niemand diesen Typen schlagen können. Dieser Mann ließ mich früh aufstehen und früh zu Bett gehen.“
Das schlampige Naturtalent Ullrich kommt immer wieder mit Übergewicht aus der Winterpause. Zurückgeworfen wird er durch Verletzungen, es folgt eine Dopingsperre, nachdem er in einer Diskothek Amphetamine genommen hat.
Lance Armstrong ist zurückgetreten. Es ist die große Chance für Ullrich. Einen Tag vor Beginn der Tour de France ist er endlich in der Form seines Lebens. Doch mit einem der größten Skandale der Sportgeschichte bricht alles zusammen. Mindestens 58 Radprofis sind in die Blutdoping-Affäre rund um den Sportmediziner Eufemiano Fuentes verwickelt, auch Ullrich. Alle Beschuldigten werden suspendiert, sein letzter Tag als Radprofi ist zu Ende. Ullrich ist am Boden, doch der wahre Abstieg folgt erst.
Zu seiner Doping-Vergangenheit findet Ullrich im Gegensatz zu einigen seiner ehemaligen Kollegen keine klaren Worte, sportliche Schlagzeilen schreibt er nie wieder. Seine Geschichten drehen sich um falsche Freunde und Drogen, Alkohol und Amphetamine, Geldstrafen und Führerscheinentzug. Schwer betrunken verursacht er einen Autounfall, eine Prostituierte wirft ihm gefährliche Körperverletzung vor. Mit Sucht- und psychischen Problemen landet er endlich in einer Entzugsklinik.
Seine letzten Freunde haben nur noch eine Hoffnung. Sie alarmieren Armstrong, der zu Hause in Aspen (Colorado) sitzt. Tatsächlich besucht der ewige Rivale Ullrich auf Mallorca, und er ist geschockt: „Ich sah einen Mann an einem Ort, wie ich noch nie ein menschliches Wesen zuvor gesehen habe.“ Ein paar Wochen später muss Armstrong wieder als Nothelfer einspringen, nachdem Ullrich in einem Flugzeug randaliert hat und in eine Klinik verfrachtet wurde.
Dass Jan Ullrich seinen Absturz überlebt hat, grenzt für viele seiner Bekannten an ein Wunder. Von Freunden wird er mit Sorge beobachtet, aber auch mit Hoffnung. „Jan ist stabil“, sagt Lance Armstrong. „Aber es liegt noch ein langer Weg vor ihm.“
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