Lawinengefahr

Symbolbild
Fünf Experten sprechen über die vielen Facetten der Naturgewalt und ihre Erfahrungen mit der weißen Gefahr

Es war in Zürs am Arlberg. Und es war keine Gaudi. "Es war, als würde dir plötzlich jemand den Teppich unter den Füßen wegziehen", erzählt Peter Veider, heute Geschäftsführer der Tiroler Bergrettung. Im ersten Moment habe er sich gedacht: "So, das war’s jetzt." Und im nächsten: "Nur keine Panik."

Die richtige Idee. Mit Armen, Beinen und Skiern habe er sich gegen die Lawine, gegen die Schneemassen gestemmt. Veider, seit mehr als dreißig Jahren ausgebildeter Bergführer, hat es irgendwie geschafft. Er ist im Schnee nicht ertrunken, konnte sich am Ende selbst befreien. Er weiß allerdings auch: "Ich hatte großes Glück. Hätte mich die Lawine dreißig Meter weiter unten erfasst, hätt’ ich’s nicht überlebt."

Geblieben ist dieses mulmige Gefühl in der Magengegend, das den Bergretter auch in diesem Winter begleitet. Aus gutem Grund.

Lawinengefahr

In Teilen der Alpen herrscht derzeit akute Lawinengefahr. Auch wenn in Salzburg am Dienstag die Gefahren-Warnstufe von 4 (groß) auf 3 (erheblich) zurückgestuft wurde, bedeutet das keineswegs eine Entwarnung für Skitourengeher, betont Thomas Wostal von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Ähnliche Neuschnee-Mengen wie heuer wurden zuletzt vor dreißig Jahren gemessen (in Galtür vor sechzig Jahren). Erfahrene Bergretter wissen zudem, dass die Skifahrer bei Stufe 3 unvorsichtiger werden.

Man muss nicht einmal einen steilen Nordhang queren oder auf einem windumtosten Kamm entlangstapfen. Es genügt, im Flachen zu stehen und durch das Eigen-Gewicht einen feinen Bruch im Schnee auszulösen.

"Eine Lawine abschießen" nennt Kurt Winkler vom Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos dieses fatale Phänomen. Er kennt es aus eigener Erfahrung. "Ich kann in der Ebene stehen und weit über mir ein Schneebrett auslösen." Früher glaubte man gar, dass der Schall – also lautes Sprechen oder Lärm – im Hochgebirge Lawinen auslöst.

Kartenhaus

Heute wissen die Lawinenwarner, dass Lawinenopfer "ihr" Schneebrett meist selbst auslösen. Oft reicht die Belastung durch einen Wintersportler, um in der Schneedecke einen Bruch zu erzeugen. Dabei bricht eine schwache Schicht wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die Schicht darüber stürzt in die entstandene Lücke und setzt Energie frei. Diese Energie genügt, um den Bruch fortzusetzen – bis hinauf in die Lawinenhänge.

Wie sich das anhört? "Eine Lawine ist zu Beginn sehr leise. Bei sehr steilen Felshängen wächst sich die anfängliche Stille zu einem riesigen Tosen aus." Die "schwer greifbare Naturgewalt" der Lawine fasziniert Winkler seit frühester Jugend, "sie war bei Skitouren mit den Eltern immer ein Thema".

Winkler zeigt Respekt: "Ich würde mich nie zu Forschungszwecken absichtlich von einer Lawine verschütten lassen. Ich spiele ja auch nicht russisches Roulette mit drei Kugeln, auch da liegt das Todesrisiko bei 50 Prozent."

Schnee-Seher: Was ihm die Distel schon im Sommer sagte

Lawinengefahr

Er hat den extremen Schneefall der vergangenen Tage bereits vor sieben Monaten vorausgesagt. In der Erinnerung von Horst Nöbl stellt sich das so dar: Im Frühsommer 2011 gaben seine Bienen Blüten- und Waldhonig wie lange nicht mehr. Dazu sah er die Disteln und die Himbeerstauden im Salzburger Pinzgau enorm hoch wachsen. Aufgrund der hohen Niederschlagsmenge haben zudem die Obstbäume sehr früh getrieben.

"So hoch im Sommer die Disteln wachsen, so hoch wird im Winter der Schnee liegen." Zitiert der Forstwirt und Imker aus Saalfelden eine alte Bauernregel, um dann einzuschränken: "Ganz so einfach ist es natürlich nicht."

Nöbl trägt seit einem halben Jahrhundert Tag für Tag seine Wetterbeobachtungen in Kalender ein. Temperatur, Luftdruck, Niederschlag. Jedes Jahr – ein Kalender.

Als Student hat er damit begonnen, um den Honigertrag seiner Bienen prognostizieren zu können. "Imker sind von der Witterung abhängiger als Landwirte." Als Wildbach- und Lawinenverbauer konnte er seine Aufzeichnungen auch beruflich nützen.

Sogar im Ruhestand sieht Herr Nödl den Schnee früher als andere. Seine Prognose für die nächsten

Wochen? "Dieser Winter ist noch jung. Bis Anfang Februar wird es weitere Schneefälle geben." Touristiker und Urlauber im Pinzgau dürfen sich also die Hände reiben: "Rechtzeitig zu den Semesterferien wird’s kalt und richtig schön."

Vorsicht, Lawine! Überlebenstipps für den Ernstfall

Regeln Gesicherte Pisten sollte nur verlassen, wer eine Ausbildung und Erfahrung in der Beurteilung von Lawinengefahren besitzt oder sich jemanden anschließt, der darüber verfügt. Weiters gilt: Nie alleine gehen und zudem Rettungsausrüstung mitführen (Minimum: Lawinenverschütteten-Suchgerät, Sonde und Schaufel); sich über die aktuelle Lawinensituation informieren, europaweit etwa unter www.lawinen.org.

Tücken Sehr leicht werden Lawinen an eher schneearmen Stellen ausgelöst. Dies ist zum Beispiel bei der Einfahrt in eine Mulde oder an vermeintlich sicheren Inseln wie in der Nähe von herausragenden Felsen der Fall.

Kurse Praktische Lawinenkunde für Skitourengeher vermitteln Organisationen wie die Naturfreunde. Termin: 17. 2.–19. 2., Eisenerzer Alpen; Tel.: 0664 / 5004128 (Hr. Peter Gebetsberger).

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