Umeå, ein nordisches Märchen

Umeå, ein nordisches Märchen
Heuer lockt die schwedische Stadt Kulturinteressierte aus der ganzen Welt in den hohen Norden. Konzerte, neue Museen, die unberührte Natur und fast endlose Tage versprechen ein außergewöhnliches Sommer-Erlebnis.

Wenn Aschenputtel eine Stadt wäre, dann wäre sie vermutlich Umeå: Abgelegen und wenig beachtet, war sie seit der Gründung vor knapp 400 Jahren ein Dorf im Dunkeln, so wie viele andere in Nordschweden. 1888 kam das Feuer – es forderte alle Häuser ein und die Bewohner zu einem radikalen Neuaufbau heraus. Von Unterkriegen war keine Rede. Die gute Fee kam vor 50 Jahren in Gestalt von König Gustav dem Sechsten, dem Großvater vom heutigen Schweden-König. Er segnete Umeå mit einer Universität, um das Bildungsniveau in Norrland zu heben und vor allem medizinische Fachkräfte auszubilden. Der Schuh passte, die Stadt begann zu wachsen.

Seitdem forciert die Kommune auch den Ausbau der kulturellen Szene. Im Verhältnis zu den mittlerweile 118.000 Bewohnern ist das Angebot besonders groß, offen und vielseitig sowie von Bedeutung für ganz Europa: Im Jahr 2014 erlebt Umeå das Finale ihres persönlichen Märchens, wenn sie europäische Kulturhauptstadt ist. Gleichzeitig ist es der nördlichste Ort, den die EU-Kommission je mit dieser Rolle bedacht hat.

Urvolk

Einer Gruppe wird im Veranstaltungsprogramm besonders gehuldigt: den Sami, Schwedens Ureinwohnern. Immer wieder kommt es vor allem im Norden des Landes zu Konflikten zwischen der modernen Bevölkerung und den traditionellen Rentierzüchtern. Auch wenn diese damit nicht beigelegt werden können, soll die Minderheit im Kulturhauptstadtjahr besonders sichtbar sein. So orientiert sich das Programm an den acht Jahreszeiten, die das Sami-Jahr gliedern. Im modernen Bildmuseum sind nacheinander acht Ausstellungen von Künstlern mit samischen Wurzeln zu sehen, die sich oft mit Macht- und Identitätsfragen auseinandersetzen.

Wer einen Blick in typische Wohnhäuser, sogenannte Koten, werfen oder Spezialitäten wie Rentieraufstrich oder Eis mit Moltebeeren aus Lappland kosten möchte, sollte durch das Freilichtmuseum Gammlia spazieren. Daran angeschlossen ist das Västerbotten-Museum, das ein Paar der ältesten Skier der Welt zeigt, deren Erfindung den Sami zugeschrieben wird. Die liebevoll gestaltete ständige Ausstellung über Umeå porträtiert die Stadt kompakt und interaktiv: Hier kann durch einen Gang in den Untergrund der Stadt gekrochen und in das Opus heimischer Musiker hineingehört werden.

Umeå, ein nordisches Märchen
Schließlich macht die Musik in Umeås Kulturlandschaft den bedeutendsten Teil aus. Dabei bildet die Norrland-Oper mit ihrem eigenen Sinfonieorchester den traditionellen Superlativ, die ausgeprägte Punk- und Hardrockszene das laute Gegenstück dazu. Im Juli lohnt sich die Reise für Freunde der guten Töne besonders, denn dann steigt das UxU-Festival mit internationalen Popgrößen, wo unter anderem die schwedische Sängerin Laleh mit der Engelsstimme und ihrem Hit "Some die young" das Publikum bezaubern wird. Der Clou: Mit jedem verkauften Ticket verlängert sich das Festival um 15 Sekunden – ein typischer Ansatz für Schweden, wo man stets danach strebt, in große Projekte und Entscheidungen möglichst viele Menschen einzubeziehen.
Umeå, ein nordisches Märchen
Gittarenmuseum, Umea, Fotos honorarfrei
Auf nur ein Zwillingspaar hingegen geht das frisch eröffnete Gitarrenmuseum zurück: Im Musikzentrum Vasaskolan teilen Samuel und Mikael Ahdén ihre über 500 Teile umfassende Raritäten-Sammlung mit der Öffentlichkeit. Außerdem kehren bekannte Musiker persönlich ein, um aus dem Gitarrenkästchen zu plaudern und Interessierten einige Tricks mitzugeben. Im selben Gebäude liegt auch das Herz von Umeås Musikszene: Auf die legendäre Scharinska-Bühne mit Wohnzimmeratmosphäre stellen sich nicht selten Künstler von Welt, die Spielstätten von ganz anderer Dimension gewöhnt sind. Drei Mal wöchentlich hat man hier die Chance, lokale Newcomer bei ihren ersten musikalischen Gehversuchen bis hin zu etablierten Größen in einem kleinen Rahmen zu erleben.

Sonneninsel

Umeå, ein nordisches Märchen
Umea
Die Kombination aus dem großen Angebot und den langen Tagen – im Juli ist es zwischen 18 und 20 Stunden lang hell – wird früher oder später dazu führen, dass man seinen Synapsen eine Pause gönnen möchte. Wie günstig, dass Umeå von weitläufiger, abwechslungsreicher Natur umgeben ist. Ein beliebter Wanderweg beginnt im etwa 30 Kilometer westlich gelegenen Vännäs und führt entlang des Vindelflusses, der von Norwegen in die Ostsee fließt. Als einer der vier Flüsse von nationaler Bedeutung wurde er geschützt und trotz der vielen Stromschnellen und Wasserfälle nie für Strom aus Wasserkraft ausgebaut, was den Ausflug zu einem besonders naturnahen Erlebnis macht.

Für einen entspannten Urlaubstag am Wasser bietet sich ein Bootstrip zu den Schäreninseln an. Holmön liegt eine etwa einstündige Fährenüberfahrt entfernt und ist 150 Jahre langen Messungen zufolge Schwedens sonnigste Insel. Im Sommer bekommen die 40 Bewohner Zuwachs von Tagesausflüglern, die hier segeln, baden oder die Angel schwingen.

Oder ein Buch lesen: Was würde vor dieser Kulisse besser passen, als Stieg Larssons "Millennium"-Trilogie? Der Autor verbrachte seine Jugend in Umeå und ist seit dem Erfolg seiner posthum veröffentlichten Romane die größte Berühmtheit der Stadt. Damit wäre er auch der perfekte Kandidat für Aschenputtels Prinzen. Doch weil es nun einmal keine Märchen gibt, rauchte er zu viel und starb zu früh. Ihre große Feier wird Umeå trotzdem genießen, und in Form eines zum Anlass errichteten Denkmals ist ihr dunkler Held auch irgendwie dabei.

In Schweden liegen unzählige literarische Leichen begraben. Krimi-Autorin Viveca Sten verteilt ihre auf Sandhamn, einer der beliebtesten Ferieninseln im Stockholmer Archipel. Ihr Erfolgsrezept: Sie verstrickt die spannenden Ermittlungen mit den privaten Dramen der Hauptfiguren, sodass auch Krimi-Einsteiger die Geschichten leicht verdauen können. Am 10. April erschien mit „Beim ersten Schärenlicht“ der fünfte Fall für Kommissar Thomas Andreasson, am 18. Mai startet die Verfilmung im deutschen Fernsehen. Dann beginnt auch die Saison auf der Insel selbst – eine gute Gelegenheit, den maritimen Tatort in friedlicher Atmosphäre kennenzulernen. Im äußeren Schärengarten gelegen, ist Sandhamn – Einheimische verwenden den Name des Dorfes auf der Insel Sandö oft als Bezeichnung für das ganze Eiland – ein ruhiges Mekka für Badegäste und Segler, die der städtischen Wärme für eine Weile entfliehen möchten.

Fisch und „Fika“

Umeå, ein nordisches Märchen
Schweden, Insel Sandhamn
Nach dem Einlaufen der Fähre im Hafen erwartet den Besucher eine Strandpromenade mit kleinen Butiken, Restaurants sowie einem Hotel und einem winzigen Museum. Hier liegt auch das traditionsreiche Värdshus, in dem sowohl die Ermittler Nora und Thomas als auch einige der Opfer einkehren, bevor das Schicksal sie ereilt. Ob Fisch des Tages auf der Holzterrasse oder ein abendliches „Folköl“ (Bier) im liebevoll eingerichteten Lokal: Wer hier nicht einkehrt, hat Sandhamn nicht kennengelernt. Auch Viveca Sten schwört auf die traditionellen Gerichte, bestellt am liebsten Fischsuppe.
Umeå, ein nordisches Märchen
Sandhamn kann auf eine lange literarische Tradition zurückblicken, und kein Geringerer als der schwedische Nationaldichter August Strindberg suchte und fand auf der Insel Inspiration, soll der Legende nach aber auch Manuskripte im Meer versenkt haben. Heute lädt ein romantisches Garten-Café in seinem Namen zur typisch schwedischen „Fika“, Kaffeepause mit Mehlspeise, in aufgestellten Holzbooten ein. Zum Glück wird die süße Stärkung mehrmals täglich zelebriert, denn auch die „Seglarbulle“ aus Sandhamns Bäckerei verdient ihren Platz im Bauch jedes reisenden Feinschmeckers. Zum Verdauen bietet sich ein Spaziergang über die Insel an. Kirche, Wald und Strände lassen sich bequem zu Fuß erreichen. Auch wenn in Viveca Stens Geschichten oft Tote in Wassernähe gefunden werden, können sich Besucher im echten Leben auf entspannende Stunden freuen: Zwischen Felsen und falunroten Häuschen lässt sich Sonne tanken, und bei etwa 18 Grad Wassertemperatur wirkt das Bad definitiv belebend.

Info: www.destinationsandhamn.se/en/

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