Schon nach 15 Minuten ändert sich etwas. Der Ton in den Händen wirkt Wunder. Der Stress wird mit jedem Kneten ein bisschen mehr vergessen, der Puls sinkt. Keine wissenschaftliche Erkenntnis, aber eine persönliche Beobachtung, die auch von Martin Hrouza bestätigt wird.
Das Arbeiten mit Ton beruhigt, weiß der gelernte Hafnermeister, der sich mit seiner Frau Manuela ständig mit dem Material beschäftigt. In der Werkstatt in Friedersbach stellt das Ehepaar Kacheln, Fliesen und figurale Keramik her. Dort kann man sie nicht nur in ihrem speziellen Reich – die beiden lieben und sammeln alte Dinge – besuchen, sondern sogar selbst Hand anlegen und sich von der wundersamen Heilkraft des Tons überzeugen.
Goldener Boden
Hrouza Kachelöfen ist nur einer von insgesamt 29 Betrieben, die im Zuge der neuen Initiative "Handwerk und Manufaktur" von Waldviertel Tourismus ihre Türen und Tore für individuelle Besucher öffnen. Neben Besichtigungen bieten viele Betriebe auch Kurz-Kurse oder Workshops an.
Dadurch sollen Gäste traditionsreiches Handwerk hautnah erleben und gleichzeitig den landschaftlich interessanten Nordwesten Niederösterreichs und seine herrliche Küche kennenlernen und genießen.
Im Waldviertel hat Handwerk goldenen Boden. Schon im 11. Jahrhundert wussten die ersten Siedler mit den Holzbeständen handwerklich umzugehen. Es entstanden Glashütten, Webereien wurden gegründet, Granit diente den Steinmetzen als wertvolles Material. So liegt auch der Schwerpunkt der Initiative auf Holz, Stein, Textil, Glas und "traditionelle Spezialisten". Alle Teilnehmer verbindet eine Gemeinsamkeit: eine unglaubliche Leidenschaft für ihr Handwerk.
Unbekanntes Handwerk
Einer dieser "traditionellen Spezialisten" ist Rudolf Schuh. Unter dem Namen "Yupitaze Fischtextil" hat er ein längst vergessenes Handwerk wieder zum Leben erweckt: Hauptsächlich aus Karpfen- und Lachshaut stellt er im Ort Reitzenschlag Leder her, das zu Taschen, Gürtel, Schuhen oder Geldbörsen weiterverarbeitet wird.
Besonders stolz ist er darauf, aus einem vermeintlichen Abfallprodukt etwas Hochwertiges zu machen. Er teilt seine Freude gerne mit Besuchern. Seine Gäste bekommen nicht nur eine Führung durch die Werkstätte, wo er die Haut reinigt, entschuppt, glättet und trocknet, sie helfen ihm auch dabei, das Material zu verarbeiten. Bei einem Ausflug zu den Fischteichen genießen sie die Natur des Waldviertels.
Glanzstück der Region
Nicht in Vergessenheit geraten ist hingegen Glas. Die Region kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Seit 1770 befasst sich auch die Familie von Kurt Josef Zalto, Inhaber der Waldglashütte in Neu-Nagelberg in der Nähe der tschechischen Grenze, mit der Glaserzeugung.
Eine Fertigkeit, für die viel Gefühl und Feinmotorik gebraucht wird, erklärt der leidenschaftliche Glasmacher, Nachwuchs würde es kaum geben. Vielleicht entdeckt er ja ein Ausnahme-Talent unter seinen Besuchern. Die dürfen sogar selbst ein Stück anfertigen, erleben hautnah, wie glühendes, flüssiges Glas – es kommt mit über 1000 Grad Celsius aus dem Ofen – Form annimmt.
Sie sehen, wie das erkaltete Glas geschliffen und bemalt wird, bewundern im Glasmuseum Exponate der Familiensammlung – alte Schätze und moderne Kunstwerke.
Qualitätsflausch
Dass Besucher der Frottierweberei Wirtex in Frühwärts den Weg vom Zwirn zum fertigen Tuch mit allen Sinnen erleben, ist Familie Strobl wichtig. Schon in der Erlebniswelt erfühlen die Gäste den Unterschied zwischen Bambus-Viskose-Baumwoll-Mischgewebe und Leinen.
In den Produktionshallen hören sie die Webstühle rattern, riechen das Maschinenöl und sehen, wie Hand- und Geschirrtücher mit dem bekannten rot-weiß-karierten Muster hergestellt werden.
Zum Einsatz kommen Maschinen, die noch mit Lochkarten "programmiert" werden. Das Wissen um Reparatur und Wartung liegt nur noch im Betrieb.
"Moderne Maschinen könnten gar nicht, wozu unsere alten fähig sind, darum passen wir auf sie auf wie auf einen Schatz", erklärt Claudia Strobl. Bei Führungen erzählt sie vom alten "Weberlatein" und was der "rote Faden" oder das "blau machen" mit ihrem Handwerk zu tun haben.
Aus der Reihe tanzt die Firma "Willl – Manufaktur, Architektur und Möbelkultur" aus Großglobnitz. Dabei handelt es sich um eine moderne und weiterentwickelte Tischlerei. Zu besichtigen gibt es Schauräume. Der wahre Schatz für Urlauber ist allerdings ein zweitägiger Workshop, der im Zuge des Paketes "Innenarchitektur für Einsteiger – Wellness und Bier für Fortgeschrittene des Wohlfühlens" (siehe Info) angeboten wird. Dabei können Teilnehmer gemeinsam mit dem Innenarchitekten Johann Will eine kreative Lösung für ihr eigenes Zuhause finden.
Das Angebot von "Handwerk und Manufaktur im Waldviertel" ist aber noch größer. Tatendurstige Gäste können unter anderem Körbe flechten, Seifen sieden, Sensen dengeln oder Perlmutt drechseln. Dabei machen kleine Familienbetriebe genauso mit wie bekannte Urgesteine – etwa die Waldviertler Werkstätten. Dort werden die berühmten Waldviertler Schuhe hergestellt. Unter dem Motto "Handwerk begreifen – Sehnsüchte stillen" bedient man das Bedürfnis der Menschen, die der Industrialisierung überdrüssig sind und zurück zum Ursprung finden wollen. Die wissen wollen, wo ihre Produkte herkommen und wie sie hergestellt werden. Und das schöne Waldviertel kennenlernen möchten.
Info
AnreiseZ. B. mit dem Auto von Wien via Krems nach Zwettl (ca. 1,5 h), oder via Horn nach Litschau (ca. 2 h).
Packages "Alles Fisch", 3 Termine von Mai bis Sept.: 2 N/F im 3*-Hotel inkl. 3-Gang-Menü mit einem Karpfengericht als Hauptspeise, Besuch bei Yupitaze-Fischtextil inkl. Führung, Kurzkurs Lederherstellung, Anfertigung eines individuellen Schlüsselanhängers und Ausflug zum Karpfenteich. Ab 186 €/P/DZ, EZZ 14 €
– "Waldviertel glasklar erleben", indiv. Termine von April bis Okt.: 2 N/F in der 3*-Pension Kristall inkl. 4-Gang-Abendessen; Besichtigung der Waldglashütte mit Museum, ein selbst geblasener Wasserspender/Zimmer, Führung und Workshop im Kristallstudio Erwin Weber und selbst geschliffener Glasanhänger. Ab 96 €/P/DZ, EZZ 14 €
– "Frottier-Experten und Schuhmacherkunst", indiv. Termine von Mai bis Okt.: 2N/F in einem 3*-Gasthof inkl. Führung "Altes Weberlatein" bei Wirtex, Führung durch die Produktion der Waldviertler Schuhwerkstatt, Drahdiwaberl- Schlüsselanhänger, Eintritt und Führung Käsemacherwelt. Ab 101 €/P/DZ, EZZ14 €
– "Ton und Tasse treffen Holz & Schüssel", indiv. Termine immer Fr. bis So. von Mai bis Nov.: 2 N/F im 4*-Faulenzerhotel Schweighofer inkl. 4-Gang- Waldviertler-Mohn-Menü, 5-Gang-Abendessen mit Weinbegleitung, Keramikkurs bei Manuela Hrouza, zzg. Material (ab ca. 25 €), Besuch in der Drechslerei Reiter, Sonnentor-Erlebnis (Eintritt, Führung, Verkostung, Kaffeejause). Als Geschenk gibt es eine Sonnentor Gewürz-Blüten-Mischung. Ab 279 €/P/DZ, EZZ 30 €
– "Innenarchitektur für Einsteiger", 4 Termine zw. Mai und Okt.: 2N/F im 4*-Hotel Schwarz Alm inkl. 4-Gang-Waldviertler-Abendessen und zweitägigem Workshop "Innenarchitektur für Einsteiger" beim Waldviertler Innenarchitekten Johann Will. Ab 469 €/P/DZ, EZZ 30 €
Unterkunft Z. B. 4*-Superior-Schlosshotel Rosenau. Schlossherrin Margit Zulehner kümmert sich liebevoll um ihre Gäste, hervorragendes Essen, die fast vollständig erhaltene Gutshofsiedlung kann auf Wunsch im Rahmen von Führungen besucht werden. Ein Museum gewährt interessante Einblicke in die Freimaurerei, im Schloss befindet sich noch heute eine aktive Freimaurerloge. DZ für zwei ab 148 €/ Nacht. ☎ 02822/582 21-0www.schlosshotel.rosenau.at
Einkehrtipps Gasthaus Kaufmann in Litschau: Hauptspeisen ab ca. 8 €, raffinierte, traditionelle Gerichte mit Zutaten aus der Region. www.gasthof-kaufmann.at
– Landgasthof Zum Topf in Kaltenbach: Oswald Topf, einziger Haubenkoch des oberen Waldviertels, kreiert saisonale Gerichte, mit typisch österreichischen Akzenten und französischem Einschlag. Hauptspeisen, etwa Braten mit typischem Waldviertler Knödel ab 12 €. landgasthof-topf.at
Auskunft Katalog-Bestellung, Buchung, aber auch individuell zusammengestellte Packages bei Waldviertel Tourismus in Zwettl, Sparkassenplatz 1/2/2; ☎ 0800/ 300 350 (gebührenfrei); info@waldviertel.at; www.waldviertel.at, www.waldviertel-handwerk.at
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