Hallstadt: Im Reich der Reinanke

Michael Horowitz
Alpen-Sushi, Goldhauben und eine nachgebaute Salzkammergut-Idylle in China. In Hallstatt naht der Winter mit Riesenschritten. Und es herrscht Vorfreude: Vor 30 Jahren gestohlene Altarbilder kehren zurück.

Den Reinanken reicht’s. Sie ziehen sich zum Laichen in die Traun zurück. Seit gestern ist Schluss für dieses Jahr. Zum letzten Mal sind die Fischer in aller Früh hinausgefahren. Der Morgennebel hängt wie ein Schleier über dem See, die Häuser am Ufer sind nur schemenhaft erkennbar, Hallstatt ist noch müde. Der Biologe Alexander Scheck und der Fischergeselle Hubert Wimmer, der schon im Alter von 15 Jahren seine Leidenschaft fürs Fischen entdeckt hat, ziehen in ihrem langen, schlanken Boot hinaus in die Mitte des bis zu 126 Meter tiefen Sees. Die am Vortag gespannten Netze werden eingeholt. Mit rund 300 Fischen. 100 Kilo schwer. Ein guter Fang. Alexander und Hubert sind zufrieden.

Hallstadt: Im Reich der Reinanke
Michael Horowitz Reise Hallstatt
Ihr Arbeitgeber, die Bundesforste, die am Hallstätter See als einzige Fischereirechte halten – am Traunsee sind es mehr als 50 –, legen Wert auf Nachhaltigkeit. Entnommen wird nicht mehr als nachwächst. Die Netze haben mindestens 40 mm Maschenweite, jüngere Fische schlüpfen munter durch. Die Reinanken müssen mindestens vier Jahre alt sein und zumindest einmal abgelaicht haben, bevor sie gefangen werden dürfen. „Durch das langsamere Wachstum hat die Hallstatt-Reinanke eine einzigartige Qualität“, erzählt Alexander Scheck, der vom legendären Gößlwirt am Grundlsee abstammt. „Zuchtfische sind ein Jahr, unsere langsam gewachsenen Reinanken fünf bis sechs Jahre alt – das schmeckt man.“
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Der Lebensraum der Wildfang-Delikatesse ist einzigartig: Der See wird durch die Traun, die hinter dem geheimnisvollen Toplitzsee im Ausseerland entspringt, und vom Wasser des Dachsteingletschers gespeist. Die Tradition der Seefischerei reicht hier bis ins Jahr 1280 zurück. Und jetzt, wenn das Fischen für heuer bis nächsten April vorbei ist, ziehen sich die Reinanken, die nach zwei Jahren geschlechtsreif sind, vom Hallstättersee kommend die Traun flussaufwärts zurück. In fließendes, sauerstoffreiches Wasser, in dem sich die befruchteten Eier besser entwickeln. Die Reinanken reiben in der starken Strömung ihre Leiber aneinander, um Eier und Samenflüssigkeit rauszupressen. Rund 14 Tage dauert die Laichzeit – ein einzigartiges Naturschauspiel, das man vom Traunufer aus beobachten kann.
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Jetzt wird es ruhiger in Hallstatt. Der Winter naht mit Riesenschritten. Von der Sonne ist bald nichts mehr zu bemerken. Die Dunkelheit übernimmt das Kommando. Es gab sogar schon Pläne, mittels eines riesigen Spiegels die Sonnenstrahlen vom 1975 Meter hohen Sarstein hinunter nach Hallstatt zu reflektieren. Die Karawanen asiatischer Touristen, die zumeist per Bus von Prag – preisgünstiger als von Wien – hierher gekarrt werden, bleiben langsam aus. Doch bis jetzt glaubte man auf der schmalen Uferstraße eher in China, Japan, Südkorea, Thailand, Taiwan oder Vietnam unterwegs zu sein, als in einem beschaulichen UNESCO-Weltkulturerbe-Städtchen.
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Hallstatt hat sich längst auf den asiatischen Ansturm eingestellt: Die Geschäftsbeschriftung des Supermarkts ist auch chinesisch, im Garten des Bräugasthofs baumeln schon seit zehn Jahren Lampions – statt Mekong-Dschunken ziehen allerdings (noch) Rundfahrt-Schiffe wie die Dachstein vorbei. Auch die Dirndl to go-Idee von Claudia Höll ist voll aufgegangen: Gemeinsam mit Birgit Lupert vermietet sie mehr als 100 Dirndln. Um 20 Euro pro Stunde oder 50 Euro pro Tag fühlen sich dann Damen aus dem fernen Osten für kurze Zeit wie Salzkammergut-Schönheiten. Und jagen die Dirndl-Selfies sofort 10.000 Kilometer nach Asien weiter.
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Das pittoreske Hallstatt gibt es doppelt: 2012, während der Eröffnungszeremonie einer 1:1-Kopie des Salzkammergut-Dorfes, rief Bürgermeister Alexander Scheutz aus: „Das ist nicht mein Hallstatt, das ist ja seitenverkehrt!“ In Boluo, zwei Autostunden nördlich von Hongkong, gibt es auch den Hallstätter Hauptplatz, die Kirche, den Brunnen, die Pestsäule, die pastellfarbenen Bürgerhäuser. Und sogar den See. Um mehr als 900 Millionen Dollar ist im Reich der Mitte nach Eiffelturm-, Venedig- und Las-Vegas-Imitationen ein Stück Alpenidylle nachgebaut worden. Mit Luxuswohnungen, die zumeist noch immer leer stehen. Dass chinesische Baumeister Hallstatt und den Weltkulturerbe-Baustil für die südchinesische subtropische Provinz Guangdong ausspioniert haben, sei Scheutz zumindest nie aufgefallen. Schließlich kommen in die 800-Seelen-Gemeinde jedes Jahr fast 800.000 Tagesgäste – die rund um die Uhr fotografieren. Und seit es Hallstatt à la chinoise gibt, kommen noch mehr. Bürgermeister Scheutz kann zufrieden sein … Der Protest, die Forderung für Tourismus mit Maß und Ziel der „Bürger für Hallstatt“ um den heutigen HTL-Lehrer Friedrich Idam, früher Totengräber und Totenkopfbemaler, verhallt langsam. Hallstatt leidet unter den Touristenhorden – aber lebt von ihnen. Die Jungen wie Claudia Posch oder Peter Wesenauer sehen das alles gelassen. Claudia, mit 33 Jahren seit vier Jahren die jüngste Goldhauben-Obfrau Oberösterreichs ist stolz auf ihre drei Hallstätter Goldhauben-Frauen, eine Perlenhauben-Trägerin, vier Kopftuchdamen und zwei Ehrenobfrauen, die Brauchtum und Tradition aufrecht erhalten.
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Bis zu 500 Stunden braucht man für die Herstellung einer Goldhaube, die meist von der Oma oder Mama vererbt wird. Jede einzelne mit Goldpailletten bestickte Haube ist ein Unikat. Früher durften sie nur Verheiratete, „Frauen unter der Haube“, aufsetzen. Seit rund 50 Jahren sieht man das nicht mehr so eng. Auch Ledige dürfen nun die Goldhauben tragen.
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Wenn Peter Wesenauer morgens an der Orgel der katholischen Kirche, hoch oben über dem glitzernden See, Bach, Bruckner oder Mozart intoniert, kann er gar nicht so schnell schauen – schon sitzt eine Asiatin neben ihm und lauscht berührt. Der Komponist und Dirigent ist seit vier Jahren künstlerischer Leiter des Festivals HallstattClassics. Und schafft es Jahr für Jahr mit einem anspruchsvollen Programm nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische zu begeistern. In der ehemaligen Waschküche des Baderhauses duftet es nach Ahorn-Holz. Gleich neben der öffentlichen WC-Anlage kommen Touristen an der Drechslerwerkstatt von Johannes Janu kaum vorbei. Während er Hallstatt-Schalen nach dem Vorbild aus prähistorischer Zeit und Spielzeug drechselt, können die Besucher auch seine Schnäpse probieren.
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Mit Fantasie lässt sich am Ufer des Hallstätter Sees gutes Geld verdienen. Auch in der Gastronomie: Beim Wildfang-Pop-up im August lockte man heuer unter freiem Himmel zu alpiner Fusionsküche mit österreichischen Spitzenköchen aus Lokalen wie dem Mochi, Rien oder Taubenkobel. Der Schwerpunkt der Feldküche lag auf dem Wildfang aus den Salzkammergut-SeenReinanke, Saibling und Forelle. Roh, gegart, mariniert, über offenem Feuer gebraten oder in Salzkruste geschmort – verarbeitet wurde, was der Tagesfang bot. Das vielfältige Angebot reichte von Alpen-Sushi bis Reinanken-Ceviche, von Saiblings-Gyoza bis zum Reis-Taco mit Reinanke und Ribisel.
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Während der nächsten Monate erwartet Hallstatt einen der aufregendsten Momente der letzten Jahrzehnte: Vor 30 Jahren, in der Nacht vom 19. auf den 20. März 1987, wurden vier mittelalterliche Altarflügel aus der Kirche gestohlen. Die offensichtlich professionellen Kunstdiebe ließen sich nach dem Abendgottesdienst in die Kirche einsperren. Vor Kurzem tauchten die Relikte von unschätzbarem kulturellem Wert bei einer Razzia in Italien wieder auf. Bald werden die Altarbilder wieder zurückgekehrt sein. Und in der Kirche hoch über dem Hallstätter See hängen.
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Michael Horowitz
Salzwelten: Auf den Spuren des „Mannes im Salz“ im ältesten Salzbergwerk der Welt. Dort, wo Menschen seit Jahrtausenden Salz fördern, ist heute eine Erlebniswelt für Jung und Alt errichtet. Die Salzwelten in Hallstatt haben dieses Jahr noch bis 26. November täglich geöffnet.

Flohmarkt: „Klim Bim“: Am 2. November findet – wie jeden ersten Donnerstag im Monat – von 14-18 Uhr der traditionelle Hallstätter Flohmarkt statt.

Krampuslauf: Am 5. Dezember geht anlässlich des „Welterbe-Advents 2017“ der Hallstätter Krampuslauf der D’Hirlatzer über die Bühne. Die furchteinflößenden Gestalten haben lange Tradition – die handgeschnitzten Holzmasken sind oftmals von Generation zu Generation weitergegeben.

Christkindlmarkt Hallstatt: Ab 8. Dezember verwandelt sich der Hallstätter Marktplatz zum stimmungsvollen Christkindlmarkt.  Alle Jahre wieder … Keep Swingin´ im Salzkammergut: Am 16. Dezember findet im Kultur- und Kongresshaus Hallstatt das alljährliche Weihnachtskonzert mit der Franz Kirchner Big Band statt.

Krippenausstellung: Ab 23. Dezember ist die 200 Jahre alte Krippe in der Katholischen Pfarrkirche von Hallstatt täglich bis 2. Februar zu besichtigen.

www.im-salzkammergut.at/veranstaltungen/hallstatt / http://dachstein.salzkammergut.at/welterbe-advent

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