Segeltörn-Premiere mit fünf blauen Wundern
Den Begriff halsen kannte ich bislang nur aus Büchern – für Umarmen.
Anluven wiederum hielt ich für eine nasse, unappetitliche Tätigkeit. Und Knoten machte ich mir ausschließlich in Schuhbänder.
Bis ich eines Tages auf den heißen Planken einer Segelyacht stand, eingeladen, das Ionische Meer tagelang zu durchkreuzen. Seitdem knote ich euch blind eine ganze Hängematte aus lauter Palsteks (= der universale Schifferknoten), bücke mich beim Kommando „Halse“ routiniert unterm Segelbaum durch und weiß, was eine Drehung in den Wind bedeutet.
Man könnte bereits diese Leistungen eines vorher eher meerwasserscheuen Festländers als Wunder des heiligen Spyros bezeichnen. Doch dieser Schutzpatron der Insel Korfu tat an mir noch ein Übriges; davon später.
Die Landratten-Bande
Wir, das war eine bunt zusammengewürfelte Bande von Landratten, denen man Attraktionen eines Segeltörns einbläuen wollte. Und wirklich: Du stehst an Deck, schaust nur einmal rundum und sofort wird dir die Bedeutung von „Blau machen“ überwältigend bewusst. Strahlende Bläue, wohin du blickst, Wasser, Himmel, sogar Türen und Fensterrahmen der Tavernen. Blau: die Farbe Griechenlands. Und die Urlaubsfarbe schlechthin.
Mir wurde vom freundlichen Skipper (= Personalunion von Kapitän, Steuermann, Maat, Bootsjunge und Koch) – einem ganz augenscheinlich von Wind und Wetter gegerbten Seebären – meine Kajüte mit den Ausmaßen einer halben Mönchsklause zugeteilt. Nasszelle und Bullauge inklusive. Aber von Klaustrophobie keine Spur, sondern im Gegenteil pure Geborgenheit: schon einmal das erste Wunder.
Das zweite Wunder: es gelang mir, die Spültechnik meiner Toilette (jede Kabine hatte eine eigene inklusive Dusche) ohne fremde Hilfe zu betätigen (Hebel umlegen, pumpen, zweiten Hebel umlegen, spülen, ersten Hebel wieder zurück. Oder doch umgekehrt?)
Das vierte Wunder: es war mir, sobald ich an Bord gegangen war, absolut wurscht, ob mein Handy funktionierte oder nicht. So eine Bootsgemeinschaft ist wie eine fürsorgliche Familie, die dich nichts vermissen lässt. Man sonnt gemeinsam in sorglosem Schweigen an Deck, badet ausgelassen im Meer, erkundet abenteuerlustig geheimnisvolle Höhlen an der Küste. Und macht sich einen Riesenspaß daraus, einmal mit selbst eingekauftem Lamm und örtlichem Gemüse die Seinen samt dem Skipper üppig zu bekochen.
Geküsste Füße
Das fünfte und größte Wunder: in der Agios-Spyridonas-Kirche mitten im idyllischen Gassengewirr von Korfu-Stadt wurde just bei unserem Besuch für eine kleine, exklusive Gruppe weitgereister Wallfahrer der silberne Sarkophag des Heiligen geöffnet. Ich legte meinen nagelneuen I-Pad (den man nur bei Landausflügen aufladen konnte, was mir auch bereits wurscht war) auf die Kirchenbank, um mich unter diese Pilger zu schmuggeln. Jeder einzelne von diesen küsste die – seit 1700 Jahren aufs wunderbarste erhaltenen – nackten, kohlschwarzen Füße des Heiligen.
Obwohl ich mich dazu nicht überwinden konnte, lag dann mein I-Pad noch immer auf der Bank, als ich zurückkehrte.
Wunderbares Erleben
Aber waren nicht die ganze Segelfahrt, die vielgestaltigen Kulissen der Insellandschaft, ihre liebenswerten, unheilbar optimistischen Bewohner, ihre romantischen Hafenstädte, Buchten, Höhlen und einladenden Strände ganz wunderbar?
Ich glaube, ich muss bald wieder einmal dort hin. Auf eine Yacht mit Segeln, heimeliger Kajüte, Sonne, Meer, Fisch und Wein. Vielleicht merke ich mir dann auch endlich, was Ahoi auf Griechisch heißt.
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