Galicien: Spaniens coolste Ecke

Muxía und sein Leuchtturm.
Galicien liegt am nördlichsten Zipfel der Iberischen Halbinsel und hat mit Irland mehr gemeinsam als mit Spanien. Warum man dort vorsichtig essen, ein Stück des Jakobsweges gehen und sich bei Dudelsackklängen nicht wundern sollte ...

Die spanische Paprika-Challenge geht so: Man nehme einen Teller voll heißer Pimientos de Padrón und beiße unbefangen in das grüne Gemüse. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es passiert gar nichts. Oder der ganze Mund brennt wie Feuer. Das Gemeine daran: Man weiß nie, wann es passiert und ob überhaupt – den Pimientos sieht man nicht an, ob sie scharf oder harmlos sind. Russisches Roulette auf Galicisch quasi. Denn die kleinen grünen Teufel werden, wie ihr Name sagt, in dem kleinen galicischen Dörfchen Padrón angebaut. 15 Tonnen davon erntet man hier jedes Jahr.

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Kleine, grüne Ungeheuer: Welcher Pimiento ist scharf?

Galicien, das ist jene Region im Nordwesten Spaniens, die so ganz anders ist, als der Rest des Landes. Satt und saftig grün ist es im Landesinneren. Kein Wunder, regnet es im Norden um A Coruña doch genau so intensiv wie in Irland. Auch im Hochsommer ist es nicht unerträglich heiß. Vom Rest Spaniens ist Galicien im Osten durch langgezogene Bergketten abgetrennt. Der höchste Gipfel, der Peña Trevinca, ist immerhin 2.127 Meter hoch. Im Westen fällt die schroffe Steilküste in den Atlantik ab. Dazwischen breiten sich Flussmündungen wie skandinavische Fjorde aus. Und auch Strandabschnitte gibt es.

Ein Kilo Muscheln um 200 Euro

Je steiler die Felsen, die ins Meer ragen und je wilder die Gischt an den Stein peitscht, desto besser gedeiht in den schwer zugänglichen Klippen eine besondere Köstlichkeit: Die Entenmuschel, auf Spanisch Percebes genannt. Bis zu 200 Euro kostet ein Kilo Entenmuscheln, die eigentlich eine Krebsart sind. Beinahe gäbe es diese Delikatesse nicht mehr. Als im Jahr 2002 der Öltanker Prestige vor der galicischen Küste sank, liefen 64.000 Tonnen Schweröl aus und vernichteten alles Leben: 250.000 Seevögel starben und natürlich war es auch mit den Percebes vorbei.

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Seltsame Geschöpfe: Entenmuscheln wachsen auf den steilsten Klippen

Das Wrack liegt – abgedichtet – immer noch in 3.600 Meter Tiefe. Es dauerte zehn Jahre, bis sich die Natur einigermaßen von den Folgen der Ölpest erholt hatte. Der Kapitän des überladenen Tankers wurde erst heuer im Jänner in letzter Instanz zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Mittlerweile ist Galicien wieder ein Paradies für Liebhaber von Meerestieren auf dem Teller. Von Seespinnen über Langusten und Krebse wird hier alles zubereitet. Und auch im kleinsten Lokal sind die Tische üppig gedeckt. So üppig, dass die Menge an Zangen, Haken und Spießen und Gabeln, die an beiden Seiten des Teller aufgereiht liegen, schon einige Rätsel aufgeben kann.

Hundehütte auf Stelzen

Dem feuchten Klima ist eine weitere Besonderheit zu verdanken, auf die man allerorts in Galicien stößt, und deren Sinn sich erst auf den zweiten Blick erschließt: Die Hórreos. Sie bestehen aus Granit und Holz und sehen aus wie Hundehütten auf Stelzen. Sie dienen dazu, den Mais und das Getreide zu trocknen. 30.000 davon gibt es und sie sind einer der vielen Belege für die keltische Vergangenheit der Region: Auf dem Dachgiebel tragen viele von ihnen nicht nur ein Kreuz, sondern auch ein pyramidenförmiges Gebilde – die Fica, ein keltisches Fruchtbarkeitssymbol.

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Hórreos heißen diese Getreidespeicher aus Granit und Holz

Die Kelten sind in Galicien sowieso an vielen Orten präsent. Zum Beispiel in den Rias Baixas an der Westküste, auf einer kleinen Halbinsel unweit des Badeorts Porto do Son. Dort findet sich das Castro de Baroña, eine ehemalige Keltensiedlung. Die Grundmauern dieser Siedlung mit ihren runden Steinhäusern stehen noch.

Ziemlich atavistisch ist ein Brauch, der alljährlich in der ersten Juliwoche in Sabucedo in der Provinz Pontevedra gepflegt wird: Die „Rapa das bestas“, das Wildpferdetreiben, bei dem die jungen Männer der Umgebung am frühen Morgen in die Berge reiten, um die dort lebenden Wildpferde zu finden und ins Dorf zu treiben. Dort versuchen sie mit waghalsigen Manövern aufzusteigen und den Pferden die Mähnen zu schneiden. Ein Kampf zwischen Mensch und Tier, der auf das 15. Jahrhundert zurückgeht.

Tierschützer finden die „Rapa“ nicht so großartig wie die Burschen, die hier Stärke und Männlichkeit beweisen wollen. Trotzdem wird sie jedes Jahr gefeiert und endet am Abend mit einem gemeinschaftlichen Mahl, Musik und Tanz im Dorf.


Wer in Galicien Kastagnetten und Flamenco erwartet, wenn es um Musik geht, liegt falsch. Die Stars der Folklore wie Carlos Nuñes, der aus Vigo stammt, oder Susana Seivane spielen Dudelsack – wie die Schotten oder Bretonen. Begleitet werden sie von Harfe und Drehleier wie die Iren, die Melodien sind keltisch.


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Das sind die weniger bekannten Seiten Galiciens. Die bekannteste ist die Hauptstadt, Santiago de Compostela. Sie ist das Ziel hunderttausender Pilger, die den Jakobsweg bewältigen. Jedes Jahr werden es mehr, die mit Pilgerstab und der Jakobsmuschel auf dem Hut oder dem Rucksack den Camino gehen. Entweder die ganzen 760 Kilometer von Roncesvalles an der Grenze zu Frankreich bis Santiago. Oder ein kürzeres Stück. Egal. Der Jakobsweg ist so lang, wie man ihn geht. Entlang der Strecke kann man es sich aussuchen: Übernachten in einer der vielen einfachen Pilgerherbergen mit Schlafsaal und Stockbetten – oder in einem der Luxushotels entlang des Weges, denn auch die gibt es. In der Kathedrale soll sich das Grab des Apostels Jakobus befinden. Übernächsten Montag, am 25. Juli, dem Festtag des Heiligen Jakob, wird der Platz vor der Kathedrale, die Praza do Obradoiro, um Mitternacht mit einer Menschenmenge gefüllt sein. Zu Ehren des Heiligen wird ein Feuerwerk den Himmel erhellen, es wird musiziert und gefeiert.

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Santiago de Compostela, city hall view and te Obradoiro main square from the cathedral steps.

Santiago de Compostela ist das Ziel der Pilger

Dabei ist Santiago ja gar nicht die allerletzte Station am Jakobsweg, sondern das ist das kleine Kirchlein am Kap Finisterre, was soviel wie „das Ende der Welt“ bedeutet. Früher glaubten die Menschen tatsächlich, dass hier das Ende der Welt sei. Dabei ist das Kap nicht einmal der westlichste Punkt des europäischen Festlands. Der liegt nämlich in Portugal auf der Höhe von Lissabon, der Cabo do Roca. Dafür ist der Leuchtturm von Finisterre einer der schönsten des Landes. Dass sich vor der rauen Küsten besonders viele Schiffsunglücke ereigneten und auch immer wieder waghalsige Entenmuschelsucher vom aufgepeitschten Wasser gegen die Felsen geschleudert werden, konnte er jedoch auch nicht verhindern.

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4657-44: La Coruna (A Coruna), traditional architecture on the city center on Av Marina near the old harbour.

Die "gläserne Stadt" A Coruña mit ihren Verandafenstern

Noch älter als der Leuchtturm von Kap Finisterre ist jener von A Coruña. Doch weder der noch das Fußballstadion machen die Stadt so besonders. Es sind vielmehr die galerías, die weißen, verglasten Holzveranden mit den unzähligen kleinen Fenstern, die es in dieser Dichte nirgendwo sonst in Spanien gibt und die A Coruña den Namen „die Gläserne Stadt“ einbrachte.

Die schönsten Städte

Sehenswert sind aber noch einige andere Städte Galiciens: Pontevedra im Süden, wenn man in einer der Bars auf Praza da Leña mit den Arkaden und den hübschen Palais einen Café cortado oder ein Glas prickelnden Cava trinkt und dabei das barocke Wegekreuz in der Mitte im Blick hat. Oder Lugo im Osten, das besonders schön ist, wenn man im Morgennebel auf der mehr als zwei Kilometer langen vollständig erhaltenen römischen Stadtmauer mit ihren 85 Toren spaziert und auf das 500 Meter tiefer gelegene Meer schaut. Oder Vigo im Südwesten, der lebendige Hafen, in dessen Fischerbezirk Berbès die besten Austern angeboten werden. Frischer geht nicht.

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Vigo, Spain - June 4, 2011: Constitución square in old town Vigo, Pontevedra province, Galicia, Spain. People walking by or sitting in sidewalk cafes: Spanien, Vigo, Menschen, Ruhige Szene, Stadt, Architektur, Reiseziel, Horizontal, Im Freien, Städtischer Platz, Gehen, Balkon, Sitzen, Hauptstraße, Städtische Straße, Stein, Galizien, Sonnenlicht, Bogen, Altstadt, Gebäudefront, Stadtzentrum, Fußgänger, Leben in der Stadt, Außenaufnahme von Gebäuden, Fotografie, Tourismus, Straßencafe, 2015, Provinz Pontevedra, Verfassung

Rastplatz: Praça da Constitución in Vigo

Vigo ist auch eine der wenigen Städte mit einem attraktiven Strand – Samil, wo man einige Kilometer lang am Wasser entlangpromenieren kann.
Aber um zu baden, kommt ohnehin kaum einer nach Galicien. Denn die große Hitze ist hier nicht zu befürchten. Nicht einmal im Hochsommer.

WOHNEN
A CASA DA TORRE BRANCA, Santiago de Compostela

Idyllisch gelegenes Landhaus aus dem 17. Jahrhundert 5 km außerhalb von Santiago mit großem Garten. DZ ab 65 €.
www.acasadatorrebranca.com


PARADOR, Pontevedra
Prächtig möblierter und günstig gelegener (24 km nach Vigo) Renaissancepalast aus dem 16. Jahrhundert.
DZ ab 130 €.
http://www.paradores.de

ESSEN
TABERNA O SECRETO, A Coruña
Deftiges Essen und guter Rotwein sind hier besonders gefragt. So geheim, wie der Name suggeriert, ist das Secreto längst nicht mehr. Gut ist es trotzdem.
Alameda 18, Tel. 981 91 60 10.

www.tabernaosecreto.com

CASA VELLA, Vigo
Fisch und Meeresfrüchte werden ganz frisch und ohne viel Chichi zubereitet.
Rúa Pescaderia nº1.
http://restaurantecasavellavigo.com

EIRADO DA LEÑA, Pontevedra

Kreatives Restaurant mit moderner galicischer Küche auf der wunderschönen Praca da Leña.
Tel. 0034/986/86 02 25

UNBEDINGT PROBIEREN
PIMIENTOS DE PADRÓN
Die kleinen, grünen Paprikaschoten sind eine feine Vorspeise und ganz schnell zuzubereiten. Mit Olivenöl in der Pfanne braten, mit grobem Meersalz bestreuen, fertig. Wer beißt in den ersten scharfen Pimiento?

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NICHT VERSÄUMEN
EIN STÜCK VOM JAKOBSWEG: Die Muschel führt ans Ziel. Egal ob Sie wochenlang, ein paar Tage oder nur ein paar Stunden unterwegs sein wollen. Ein Stück des Weges sollte man jedenfalls gehen.
www.jakobs-weg.org/spanien

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Galizien? Das ist doch da irgendwo in Polen? Zwei
(fast identische) Namen sorgen für Verwirrung.
Das „andere“ Galizien mit „z“ gehört heute tatsächlich halb zu Polen und halb zur Ukraine und war einst eng mit Österreich verbunden. Die Städte Krakau (Kraków), Teschen (Cieszyn), Przemysl, Lemberg (Lwiw), Tarnopol (Ternopil) und Czernowitz (Tscherniwzi) liegen hier.
Galizien, zuvor polnisches Gebiet, bildete von 1772 bis 1918 als Königreich Galizien und Lodomerien ein Kronland der Habsburgermonarchie. Die Bevölkerung setzte sich aus Polen, Ruthenen, Deutschen, Armeniern, Juden, Moldauern, Ungarn, Sinti und Roma zusammen. Polen, Ruthenen und Juden machten den größten Anteil aus. Die meisten galizischen Juden waren Aschkenasim und im Mittelalter aus Deutschland eingewandert. Galizien war auch eine Provinz der Dichter: Joseph Roth („Radetzkymarsch“) wurde 1894 in Brody bei Lemberg geboren. Scholem Alejchem, der mit „Tewje, der Milchmann“ die Vorlage für das Musical „Anatevka“ schuf, stammt aus Perejaslaw bei Kiew. Und der Dichter Paul Celan („Todesfuge“) wurde in Czernowitz geboren. Aber weshalb heißen die Landstriche (fast) gleich? Das spanische Galicien geht auf die keltischen Gallaeker (lat. Gallaeci) zurück, ein kelto-iberisches Volk, das im Altertum in der Region siedelte. Und das polnische Galizien basiert auf Galitsch (lat. Galicia), einer Kleinstadt in der Westukraine.


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Kurier Grafik: Christa Schimper

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