Flugzeuge: Gefahr von der Kabinenluft?
„Wie gefährlich ist die Luft im Flugzeug wirklich?“, fragt die deutsche Zeitung Die Welt – und berichtet über eine neue deutsche Untersuchung, wonach Flugbegleiter und Piloten offenbar deutlich häufiger an den Folgen von Giftstoffen in der Kabinenluft erkranken, als man bisher angenommen hat. So seien von Jänner 2014 bis Februar 2016 rund 1000 Fälle bekannt, bei denen das Bordpersonal angegeben habe, durch die Atemluft in der Kabine gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten zu haben.
Öffentlich wurde diese Zahl durch eine Beantwortung einer „Kleinen Anfrage“ des deutschen Grünen-Bundestagsabgeordneten Markus Tressel. Die Zahl stammt von der „Berufsgenossenschaft Verkehr“. Diese deutschen Berufsgenossenschaften haben die Aufgabe, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhindern. Allerdings wurde bis jetzt in keinem Fall die Beeinträchtigung der Flugzeugluft als Arbeitsunfall anerkannt.
Widersprüchlich
Mediziner der Uni Göttingen haben Blut- und Urinproben von Flugpersonal analysiert – und fanden flüchtige organische Verbindungen (VOC) oder ihre Abbauprodukte. Sie können aus undichten Stellen im Triebwerk in die Zapfluft gelangen, vermuten die Mediziner. Die meisten Flugzeuge gewinnen die Kabinenluft wie in der Grafik dargestellt – eine Ausnahme ist die Boeing 787 (Dreamliner), die sie nicht von den Triebwerken absaugt. Die Lufthansa wiederum hat gemeinsam mit der Medizinischen Hochschule Hannover bei 108 Testflügen die Kabinenluft analysiert – die Werte für alle untersuchten Stoffe seien deutlich unterhalb jeglicher Grenzwerte gelegen.
„Unsere deutsche Schwesternorganisation Cockpit hat die Messmethode kritisiert“, sagt Peter Beer, Präsident der Österreichischen Pilotenvereinigung ACA (Austria Cockpit Association). „Bis heute liegen uns in Österreich aber keine konkreten Fälle einer gesundheitlichen Beeinträchtigung vor – weder bei Piloten noch beim Kabinenpersonal“, erklärt Beer: „Es gibt Fälle, wo sich die Crew über Geruchsentwicklungen oder Rauch beschwert hat. Es gab auch vorsorgliche medizinische Untersuchungen des Personals. Aber bis jetzt konnte nichts nachgewiesen werden.“
Messungen gefordert
Für die Passagiere wird das Risiko generell als gering eingestuft – weil sie nicht so oft fliegen. Die ACA tritt für verbindliche Normen für die Qualität von Kabinenluft ein – und für kontinuierliche Luftgütemessungen in den Kabinen, bei denen auch jene Schadstoffe erfasst werden, die von Triebwerksöl stammen könnten. "Das ist aber messtechnisch sehr anspruchsvoll."
„Die Kabinenluft ist meist von hoher Qualität“, sagt Umwelthygieniker Univ.-Prof. Michael Trimmel von der MedUni Wien. Trotzdem dürfe das Problem nicht ignoriert werden. Beer: „Man muss weiter forschen. Aber wenn es eine extreme Gefahr wäre, müsste es angesichts der vielen Flüge schon viel stärker aufgefallen sein.“
Sehen Sie hier eine Infografik von Philipp Sulzer zum Thema Kabinenluft:
„Man muss dem Thema einer möglichen Schadstoffbelastung über die Turbinen näher nachgehen“, sagt der Umwelthygieniker Univ.-Prof. Michael Trimmel vom Institut für Umwelthygiene der MedUni Wien – er hat selbst zahlreiche Luftmessungen in Flugzeugkabinen durchgeführt.
„Das Schlechteste ist, wenn Manager aus Kosten- und Imagegründen das Thema ignorieren und erst handeln, wenn vielleicht einmal eine Katastrophe passiert. Dann ist das Schema immer dasselbe: Die Manager entschuldigen sich wortreich und geloben Besserung. Aber soweit muss es ja nicht kommen“, sagt der Umweltpsychologe und Spezialist für „Human Factors“.
Derzeitige Filter können chemische Partikel nicht entfernen: „Aber hier könnte man durchaus in Weiterentwicklungen investieren.“ Generell stellt Trimmel der Kabinenluft ein gutes Zeugnis aus: „Im Normalfall ist die Innenluft sauberer als die Außenluft am Flughafen.“ Erreicht werde dies durch HEPA-Luftfilter. Sie können kleinste Teilchen – auch alle Krankheitserreger – aus der Luft filtern.
Staub beim Boarding
„Eine Ansteckungsgefahr mit Krankheitserregern besteht vor allem beim Ein- und Aussteigen, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenstehen“, sagt Trimmel. „Aber über die Klimaanlage werden keine Erreger verbreitet.“ Die Luft durchströmt auch nicht von vorne nach hinten das ganze Flugzeug: „Sie hat lokale Auslässe und bewegt sich von oben nach unten.“
Ein Gesundheitsproblem stellt eher das Boarding dar – viele Menschen stehen herum, wirbeln Staub auf und auch Tröpfeninfektionen sind möglich. „Wir haben zu diesem Zeitpunkt teilweise sehr hohe Staubkonzentrationen gemessen.“
Die trockene Kabinenluft kann zwar die Nasen- und Rachenschleimhäute reizen, wodurch sie in ihrer Abwehrfunktion etwas geschwächt wird. Die Trockenheit habe aber auch einen großen Vorteil: Sie verschlechtert die Lebensbedingungen für Bakterien und Viren.
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