Zum Rapport im Kanzleramt

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Der Ex-Chef der Kärntner ÖVP, Georg Wurmitzer, packt aus: Wie Kanzler Schüssel Jörg Haider den Steigbügel hielt und die eigene Landes-ÖVP vergatterte, Haiders Wahnwitz zu decken – bis hin zu dessen Besuchen bei Saddam Hussein.

Georg Wurmitzer wird nächstes Jahr 70. Der frühere Mathematiklehrer und Kärntner ÖVP-Politiker verbringt seinen Ruhestand in seinem idyllischen Anwesen im Gurktal. Wurmitzer ist Zeitzeuge der schwarz-blauen Periode in Kärnten und im Bund (siehe "Rückschau" am Artikelende) , und er ist einer der wenigen, die zu Haider ein sachliches Verhältnis hatten. Er kooperierte mit ihm, fiel aber nicht auf ihn herein. Außerdem hat der Hauptschullehrer genügend Geschichtsbewusstsein, um 1991 als Einziger der 36 Landtagsabgeordneten in Haiders Lob für die "ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" sofort die Ungeheuerlichkeit zu erkennen und entsprechenden Wirbel zu schlagen.

Wurmitzer war Kooperationspartner Haiders in der Landesregierung, als die aktuelle Misere, an der nun ganz Kärnten würgt, ihren Anfang nahm. Dass der damalige Kanzler Wolfgang Schüssel daran nicht ganz unschuldig war, deckte Wurmitzer vor wenigen Tagen auf. Seither wird er von Schüssels Paladinen – Andreas Khol und Martin Bartenstein – attackiert.

"Porsche-Foto war symbolhaft"

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Das lässt sich Wurmitzer nicht gefallen. Als der KURIER ihn diese Woche in seinem Kärntner Domizil besucht, packt der Altpolitiker aus. "Das Foto von Schüssel bei Haider im Porsche entstand zu Pfingsten 2000. Es war symbolhaft. Schüssel war als Dritter Kanzler geworden und von Haider abhängig. Wir wussten oft gar nicht, wann Schüssel in Kärnten war. Er besuchte Haider, er war bei ihm im Bärental, aber nicht bei uns, seiner Kärntner Partei."

Hinzu kam, dass auch der damalige ÖVP-Bürgermeister von Klagenfurt, Harald Scheucher, von der FPÖ im Gemeinderat abhängig war "und ein Naheverhältnis zu Haider hatte". Wurmitzer: "Das brachte mich in eine Sandwich-Position: Druck von Wien und Druck von Klagenfurt." Wenn die Kärntner ÖVP Haider nicht den Steigbügel halten wollte, passierte Folgendes: "Haider hat nicht einmal bei mir angerufen, sondern gleich den Kanzler oder den Bürgermeister. Ich bin von Schüssel öfter zum Rapport bestellt worden. Dann musste ich nach Wien fahren und im Kanzleramt antreten. Dort saßen Schüssel und Riess-Passer und haben mir gesagt, ich muss brav sein." Wurmitzer: "Sie können sich vorstellen, wie demütigend das war."

Beispiel Seebühne: Landes-ÖVP dagegen, auf Druck von Scheucher stimmte sie zu. Grasser überwies aus Wien Geld, sie wurde dennoch ein Flop.

Beispiel Untersuchungs-ausschuss im Landtag zu Haiders Saddam - und Gaddafi -Reisen: "Schüssel sagte, wir sollen im Landtag nicht zustimmen. Wir haben es dennoch getan. Dann hörten Haiders Reisen auf."

Beispiel Wandelanleihe: Wurmitzer wollte Haider keine halbe Milliarde in die Hand geben, "weil ich wusste, dass das Geld dann weg ist". Die ÖVP verweigerte sich, die Kärntner SPÖ sprang willig ein.

Rapport im Kanzleramt

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Auch Innenminister Ernst Strasser habe mit Haider gepackelt. So seien "blaue" Posten geblieben, aber ÖVP-Wunschposten zugesperrt worden.

So viel zur These, Postenschacher gäbe nur in rot-schwarzen Koalitionen.

Am meisten wurmt Wurmitzer, dass Kärnten seine Mehrheit an der Hypo "viel zu billig" an die Investoren-Gruppe um Thilo Berlin verkauft habe. Wurmitzer: "Das ist der wahre Skandal." Er habe seinen Nachfolger Josef Martinz mehrfach gewarnt, in die Landesholding zu gehen und mitzumachen.

Im Februar 2003 stimmte Wurmitzer im ÖVP-Bundesvorstand gegen die Neuauflage von Schwarz-Blau im Bund. Am 23. September 2003 sagte Schüssel zu Wurmitzer: "Ich will, dass du bei der Landtagswahl 2004 nicht mehr kandidierst." Antwort Wurmitzer: "Du willst nicht, dass ich kandidiere, Scheucher will nicht, dass ich kandidiere, und Haider will es nicht. Ich bin 60 und streite nicht mehr darüber."

Bei seinem Abschied aus der Landesregierung sagte Wurmitzer zu Haider: "Du müsstest froh sein, wenn ich bliebe, denn ich bin der Einzige, der dir sagt, was nicht geht." Haider zuckte mit der Schulter und schickte ihm zwei Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs nach in die Pension. Und dann bekam Haider von der ÖVP Martinz, den Willigen.

"Kärnten ist ohne Hilfe der Republik nicht sanierbar"

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KURIER: Herr Wurmitzer, viele Kärntner sind fassungslos und ratlos und fragen sich, wie es weitergehen soll. Wie soll es denn weitergehen?

Georg Wurmitzer: Das Wichtigste ist die Sanierung der Landesfinanzen. Kärnten hat rund vier Milliarden Schulden, das sind 200 Prozent seines Jahresbudgets. 2,5 Milliarden davon sind Landesschulden, 1,5 Milliarden sind ausgegliederte Schulden, die nach EU-Vorgaben dem Budget zuzurechnen sind. Angenommen, das Land will in den nächsten zehn Jahren seine 2,5 Milliarden Schulden abbauen: Da müsste Kärnten inklusive Zinsen jährlich 325 Millionen für die Bedienung allein der Landesschulden aufwenden. Das schaffen wir nie. Kärnten ist ohne Hilfe der Republik nicht sanierbar.

Jörg Haider hat sich ja jahrelang geweigert, dem Landtag Rechnungsabschlüsse vorzulegen. Wie ist denn so etwas überhaupt möglich, dem Parlament einfach nicht zu sagen, wie es in der Landes-Kassa ausschaut?

Weil auf das Verweigern des Rechnungsabschlusses keine Sanktionen stehen. Man müsste in Kärnten die Verfassung ändern und vorsehen, dass eine Landesregierung, die innerhalb einer bestimmten Frist dem Landtag keinen Rechnungsabschluss vorlegt, zurücktreten muss.

Ihr Nach-Nachfolger als ÖVP-Obmann, Gabriel Obernosterer, verlangt stärkere Kontrollrechte in Kärnten. Er und Sie kennen ja beide den Nationalrat: Wenn Sie die Kontrollrechte vergleichen, wo hinkt Kärnten am meisten nach?

Bei der Rechnungshof-Kontrolle. Im Bund muss jeder Rechnungshofbericht veröffentlicht werden, und die Journalisten machen sich einen Sport daraus, schon die Rohberichte zu bekommen. Das ist auch gut so. In Kärnten darf kein Rechnungshof-Bericht veröffentlicht werden, bevor nicht der zuständige Ausschuss des Landtags das beschließt. Dort haben die regierenden Parteien die Mehrheit, Sie können sich vorstellen, wie das dann dort abläuft. Das gehört dringend geändert.

Schwarz-Blau: In der Rückschau

März 1999

Bei der Landtagswahl in Kärnten feiert Jörg Haider einen Triumph: Er gewinnt 9 Prozentpunkte dazu auf Kosten von SPÖ und ÖVP. Alle drei Parteien sind im Proporzsystem in der Landesregierung vertreten, es gibt aber eine Kooperation zwischen FPÖ und ÖVP. Haider wird Landeshauptmann, Landesrat Georg Wurmitzer ist sein ÖVP-Regierungspartner, Kärnten wird Blau-Schwarz. Im Herbst 1999 fällt die ÖVP bei der Nationalratswahl um 415 Stimmen hinter die FPÖ auf den dritten Platz zurück.

Februar 2000

Der Bund zieht nach: Nun wird ganz Österreich von FPÖ und ÖVP regiert. Die ÖVP ist zwar die kleinere Partei, aber Jörg Haider tritt den Kanzlerposten an Wolfgang Schüssel ab. Vizekanzlerin ist Susanne Riess-Passer, aber Haider hat von Kärnten aus das Sagen. Haider macht Karl-Heinz Grasser zum Finanzminister.

2002

Haiders Unzufriedenheit mit seiner Regierungsmannschaft im Bund wächst. Seine Angriffe aus Kärnten werden immer drohender. Im September 2002 mobilisiert Haider die FPÖ-Basis in Knittelfeld gegen sein eigenes Regierungsteam. Riess-Passer tritt zurück, Schüssel muss Neuwahlen machen. Mit dem Übertritt des damals populären Grasser zur ÖVP gelingt Schüssel jedoch ein Triumph: Die ÖVP steigt von 27 auf 42 %, die FPÖ fällt von 27 auf 10 %.

2003/2004

Schüssel macht im Bund neuerlich Schwarz-Blau. Haider bleibt der heimliche Regierungspartner. Gleichzeitig nimmt der Streit in der blau-schwarzen Kärntner Regierung zu. 2004 wird Haider mit 42 % bei der Landtagswahl gestärkt, Wurmitzer muss gehen, Josef Martinz kommt.

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