Wie modern darf die Kirche sein?

Martina Salomon
Die katholische Kirche muss nicht zeitgeistig sein. Aber Mut hat Jesus nicht verboten.

In Croydon, einer Vorstadt von London, ist die Hälfte der anglikanischen Gemeinde zur katholischen Kirche gewechselt. Der Pfarrer begründete den Schritt so: „In der Kirche von England weiß man von einer Synode zur anderen nicht mehr, was zu glauben ist.“ Nein, solch Wankelmut kann man der katholischen Kirche nicht vorwerfen. Eher das Gegenteil. Diese Haltung steht in starkem Kontrast zu einer Gesellschaft, der buchstäblich nichts mehr heilig ist. Und die gern „Moralapostel“ einer Heuchelei überführt. So wie den polnischen Pfarrer von Stützenhofen, der angesichts eines homosexuellen Pfarrgemeinderates die reine Lehre einforderte, sich daran aber selbst nicht immer gehalten hat.

Aber irgendwie ist man darüber auch ganz beruhigt: Mittlerweile gilt ja keine Sexualpraxis so pervers wie ein sexloses Leben. In der kirchlichen Lehre bewertet man hingegen die Ehelosigkeit, den Zölibat, als Voraussetzung, um frei für die Seelsorge zu sein. In Wahrheit hat sich die katholische Amtskirche aber seit Jahrhunderten damit arrangiert, dass dies vielen Priestern nicht gelingt und stillschweigend Verhältnisse akzeptiert.

Der „Aufruf zum Ungehorsam“ von Helmut Schüller machte das öffentlich. Als „göttliches Gebot“ gilt die Ehelosigkeit tatsächlich nicht. Daher gäbe es theoretisch Spielraum für – zumindest regionale – Reformen. Hubert Feichtlbauer, Ex-Vorsitzender von „Wir sind Kirche“, schlägt vor, so etwas wie regional begrenzte Versuche in der Kirche zuzulassen, wo auch verheiratete Priester möglich sind. Dank des Priestermangels gibt es ja schon verheiratete Pfarrer, die aus anderen Konfessionen angeworben wurden. Es geht also weniger um den Zölibat, als um den Aufruf zum „Ungehorsam“. Den kann eine hierarchisch strukturierte Kirche nicht dulden.

Kirchenrevolution

Würde der Vatikan regionale kirchenrechtliche Auslegungen und mehr Mitsprache bei Personalbestellungen zulassen, wäre das eine echte Revolution. Hätten die Diözesen bei den Bischofsernennungen der vergangenen Jahrzehnte in Österreich mitreden dürfen, wären einige verheerende Entscheidungen nicht gefallen. Aber aus der katholischen Kirche eine Demokratie westeuropäischer Prägung zu formen, ist eine realitätsfremde Vorstellung. Sie ist für 1,2 Milliarden Katholiken weltweit zuständig: von den eher säkularisierten in Europa über die sehr gläubigen in den USA bis zu den blutig verfolgten Christen in Afrika.

Mehr Liberalität könnte zu mehr Beliebigkeit führen. Solche Fragen stellt sich der Islam nicht. Das Fehlen einer zentralen Instanz und Hierarchie ist für den Islam und für den Umgang mit dem Islam übrigens ein Hauptproblem. Würde sich die katholische Kirche mutig dazu bekennen, bewusst nicht dem Zeitgeist entsprechen zu wollen, für beständigere Werte zu stehen und diese auch zu leben, wäre viel gewonnen. Natürlich mit dem Bekenntnis, dass auch Kirchenvertreter scheitern dürfen. Sie sollten dann halt den Mund nicht so voll nehmen wie der Stützenhofener Pfarrer. Jesus war da ganz modern: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“

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