Wie die Zeit erfunden wurde

Wie die Zeit erfunden wurde
Einst begann das Jahr im März und der Tag mit dem Sonnenuntergang. Karlheinz Töchterle weiß, warum dann doch alles anders kam.

Frei nach Andreas Khol könnte man sagen: Die Zeitmessung ist eine Tochter der Geschichte. Babylonier, Ägypter, Juden und vor allem die Römer haben haben unsere Zeitmessung geprägt, den Monaten und Tagen Namen gegeben.

Der begeisterte Altphilologe und Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle lädt die KURIER-Leserschaft ein, mit ihm quer durchs Jahr auf kulturgeschichtliche Spurensuche zu gehen. Er verspricht: In Zukunft wird Ihr Blick auf den Kalender zum kulturellen Genuss.

 

KURIER: Herr Minister, warum beginnt das Jahr am ersten Jänner?

Karlheinz Töchterle: Das weiß man nicht genau. Man weiß, dass das Jahr irgendwann einmal im März begonnen haben muss, denn wir haben die Monatsnamen von September bis Dezember, vom siebenten bis zum zehnten Monat, die heute aber der neunte bis der zwölfte sind. Zu römischer Zeit gab es auch noch den Qinctilis, den Fünften, und den Sextilis, den Sechsten. Der Quinctilis wurde zu Ehren Cäsars in Juli, der Sextilis zu Ehren Augustus’ in August umbenannt. Spätere Kaiser wollten sich auch noch verewigen, das ist ihnen aber nicht gelungen.

Wie könnte denn einer dieser Monate heißen? Welche Kaiser waren das?

Domitian wollte einen Monat und diverse Tyrannen wollten auch einen. Aber kurz und gut: Warum das Jahr mit 1. Jänner beginnt, weiß man nicht genau. Eine Vermutung ist die: Der Amtsantritt der Konsuln war immer zu Jahresbeginn, und die Kriegssaison begann traditionell im März. Als die Römer in Spanien Krieg führten, hat man den Jahresbeginn vom März um zwei Monate vorverlegt, damit die Konsuln als oberste Kriegsherren noch rechtzeitig zum Kriegsschauplatz nach Spanien gelangen konnten. Zuvor könnte es einmal ein Zehn-Monats-Jahr gegeben haben, und der Jänner und der Februar wurden zwischen Dezember und März eingeschoben. Aber genau weiß man das alles nicht, weil es in der frührömischen Geschichte eine Reihe von Kalenderreformen gab.

Cäsar machte dann die ganz große Kalenderreform, hat sich aber um elf Minuten pro Jahr verrechnet, was Papst Gregor XIII durch das Streichen von zehn Tagen im Oktober 1582 korrigierte. Aber warum war zuerst Cäsar und dann der Papst für die Kalender zuständig?

Cäsar machte die Reform in seiner Eigenschaft als Pontifex maximus, als oberster Priester. Cäsar hat den absolut verworrenen vorherigen Kalender mithilfe ägyptischer Astronomen, die sich ausgekannt haben, so korrigiert, dass wir ihn heute noch haben. Auch die Monatslängen – das ist faszinierend – sind heute noch so, wie sie Cäsar mit seinen Astronomen festgelegt hat. Zuvor gab es aus römischem Aberglauben nur Monate mit ungeraden Zahlen. Cäsar machte nur einen Fehler: Sein Jahr, mit jedem vierten Jahr einen Schalttag, war um elf Minuten zu lang. Dadurch verschoben sich im Lauf der Jahrhunderte die Jahreszeiten. Papst Gregor korrigierte dies. Seitdem man sich besser auskennt, lautet die Regel so: Alle hundert Jahre entfällt der Schalttag, alle vierhundert Jahre aber wieder nicht. Dann geht sich’s aus. Deswegen war 2000 ein Schaltjahr, aber 2100 wird keines sein.

Und der Cäsarische Rechenfehler ist der Grund, warum 1917 die Oktoberrevolution in Russland im November stattfand?

Ja, denn die orthodoxen Christen haben den Papst nicht anerkannt und daher dessen Kalenderreform nicht übernommen. Russland hat sie erst 1918 nachvollzogen. Auch die Protestanten, also die Skandinavier, haben sie erst um 1700 gemacht, und die Türken erst 1927. Der Kalender ist überhaupt ein europäischer Kulturexport in die ganze Welt. Durch die Dominanz der europäisch-amerikanischen Kultur setzt sich allmählich der julisch-gregorianische Kalender in der ganzen Welt durch. Ich war jetzt im November in China, da standen überall Christbäume. Die ganze Welt beginnt sich auf diese europäisch-amerikanische Zeitmessung umzustellen, dabei ist sie eigentlich altmodisch und schräg. Die ganze Welt übernimmt das Weihnachtsfest, auch in Kulturen, die nichts mit dem Christentum zu tun haben.

Wohl auch aus kommerziellen Gründen. Besonders die geschäftstüchtigen Asiaten lassen sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen. Aber es gab doch zur Wintersonnenwende schon vor dem Christentum Feste, oder?

Der 25. Dezember galt in der Antike als der Tag der Sonnenwende. In der Spätantike haben die Römer den orientalischen Sonnenkult stark übernommen, weil sie eine Dynastie aus Syrien, wo der Sonnenkult daheim war, als Kaiser hatten. Das Christentum ist einer von vielen orientalischen Kulten, die in der späten Republik und frühen Kaiserzeit nach Rom strömten. Und dieser Kult hat sich dann aus verschiedenen Gründen durchgesetzt. Rein kulturgeschichtlich ist das ein Zufall, dass wir Christus-Anhänger sind und nicht Mithras-Anhänger oder Isis-Anhänger. Innerhalb dieser Migranten-Kulte hat sich das Christentum durchgesetzt gegen die traditionelle römische Religion. Und in diesem Kampf haben die Christen zu allerlei Tricks gegriffen. Ein Trick war, dass sie viele altrömische Feste durch ihre eigenen Feste überlagerten. Auch das Weihnachtsfest ist eines der vielen Beispiele, die es dafür gibt. Die spätantiken Römer haben das Fest des unbesiegbaren Sonnengottes gefeiert. Sol invictus. Im Winter wird die Sonne immer schwächer und schwächer. Theoretisch gibt es sie dann irgendwann gar nicht mehr. Aber bei der Wintersonnenwende wird sie wieder stärker. Das zeigt ihre Unbesiegbarkeit. Das Fest des unbesiegbaren Sonnengottes war ein dominierender Kult. Und weil die Christen ihn verdrängen wollten, sagten sie, sie feiern an diesem Tag die Geburt des wahren Gottes.

Gab es zur unbesiegbaren Sonne auch Geschenke?

Nicht genau an diesem Tag, aber in dieser Zeit. Die Geschenke gaben sich die Römer zu den Saturnalien. Das war ein Fest um den Jahreswechsel herum, benannt nach dem Vater des Zeus, dem Gott Saturn. Die Saturnalien waren ein soziales Ventil. Da spielten die Sklaven Herren und die Herren Sklaven.

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Kann das etwas mit den Heiligen Drei Königen zu tun haben, die dem Jesuskind Geschenke bringen?

Durchaus hat es etwas damit zu tun. Auch in Italien kommt heute die Befana zu Dreikönig, in anderen Ländern beschenkt man sich zum Nikolaus. Was aber überall gleich ist – es gibt einen kräftigen Konsum-Stoß.

Interessant ist auch, dass die Sieben-Tage-Woche ein jüdisches Erbe ist. Wie kam es dazu?

Das weiß man nicht genau, aber es ist aus der Bibel belegt, dass die Juden die Sieben-Tage-Woche hatten. Vermutlich teilten die Juden das Monat durch vier. Interessant ist auch die Planetenwoche. Sie ist relativ spät entstanden und in der römischen Kultur erstmals belegt. Man hat die Wochentage nach Planeten benannt. Die Römer haben, als sie die Planetenwoche einführten, den jüdischen Gott Jahwe mit dem Saturn gleichgesetzt. Wobei die Römer Sonne und Mond zu den Planeten zählten.

Die Römer haben die Planeten nach Göttern benannt, deswegen tragen die Wochentage Götternamen?

So kann man das sagen. Die Germanen haben die Planetennamen sehr früh übernommen. Die Christen wollten wiederum die Planetennamen nicht, weil sie nach römischen Göttern benannt waren. Sie haben die Woche durchgezählt. Daher heißt heute noch auf Griechisch und auf Portugiesisch der Montag „zweiter Tag“. Historisch war der Sonntag der erste Tag, weil der Sabbat der siebente war. Nach dieser Rechnung ist auch stimmig, dass der Mittwoch die Wochenmitte markiert. Beim Mittwoch haben sich die Christen im deutschen Sprachraum mit dem Zählnamen durchgesetzt. In Italien ist im Mercoledì noch der Merkur erkennbar, im englischen Wednesday der germanische Wotan.

Sie haben früher gesagt, die mittlerweile global verbreitete Zeitmessung sei altmodisch und schräg. Was fasziniert Sie daran?

Es ist faszinierend, diesen Spuren nachzugehen. Wir bewundern antike Bauwerke und Kunstgegenstände, aber nicht diese alltäglichen Dinge, die in Wahrheit riesige kulturelle Leistungen sind. Sie haben sich in ihrer Unvollkommenheit über die Jahrtausende gehalten. Die Planetenwoche ist ein historisches Sammelsurium, das sich aber weltweit etabliert hat. Faszinierend ist auch, wie man daran unsere Kulturgeschichte ablesen kann. Was die Germanen von den Römern abkupferten, wie das Christentum dagegen ankämpfte. Das alles zu wissen, ist letztlich ein ästhetischer Genuss. Es ist wie in der modernen Malerei oder Musik. Je mehr ich davon weiß, umso mehr kann ich sie erleben. Es geht um den kulturellen Genuss.

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