Vater: Besatzungssoldat
Lange Zeit galten sie als "Kinder des Feindes", obwohl ihre Väter 1945 als Befreier von der Nazi-Diktatur gekommen waren. Ihre Herkunft war lange Zeit ein großes Tabu der Nachkriegsgeschichte, in manchen Fällen ist sie das bis heute.
Zwischen 1946 und 1953 wurden laut Bundesländer-Angaben in den vier Besatzungszonen rund 8000 "Soldatenkinder" geboren. Doch viele Mütter gaben bei der Geburt "Vater unbekannt" an. Die Dunkelziffer liegt daher weit höher, sie wird auf mindestens 20.000 geschätzt.
Erst mehr als ein halbes Jahrhundert später kann das Schicksal der "Besatzungskinder" wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Die Zeithistorikerin Barbara Stelzl-Marx hat sich des Themas angenommen (siehe Interview). Sie leitet im Rahmen des Zukunftsfonds auch ein Forschungsprojekt darüber.
Anna E. ist eine von vielen, die sich mit der Bitte um Hilfe bei der Ausforschung ihres Vaters an Stelzl-Marx gewandt haben. Ihr Schicksal ist tragisch, sie kam zu Silvester 1945 als Folge einer Vergewaltigung zur Welt: "Es war mir bisher nie möglich, über meinen Schatten zu springen. Wollte eigentlich immer schon mehr erfahren über meine Herkunft. Aber ich hatte auch immer Angst davor ... Bin ein Kind der Vergewaltigung ... Interessieren würde es mich schon sehr, wer mein Vater war oder ist."
Schweigen
Es gibt gewichtige Gründe, dass "Besatzungskinder" lange nicht über ihr Schicksal sprachen. Ferdinand Rieder, geboren 1947, bringt es auf den Punkt: "Als ,Russenkind" war ich das Letzte. Die Eltern meiner Freunde haben mich aus ihren Häusern hinausgejagt." Doppelt bitter: Ferdinands Mutter erzählte ihrem späteren österreichischen Ehemann, sie sei von einem Sowjet-Soldaten vergewaltigt worden. Aber nach ihrem Tod fand Ferdinand ein Foto seines sowjetischen Vaters in ihrem Ausweis-Etui. Sie hatte eine freiwillige Liebesbeziehung mit ihm gehabt.
Oft stießen die Kinder im Familienkreis auf offene Ablehnung. So schildert Rosa K., 1947 in Salzburg geboren, wie sie von ihrem Onkel als "Polackenkind" beschimpft wurde: "Durch die Aussagen meines Onkels empfand ich es als Kind als große Schande, einen Vater sowjetischer Herkunft zu haben." Obwohl ihr Vater aus der Sowjet-Armee desertierte und 1947 nach Frankreich floh, blieb er in der Familie ein Tabuthema.
Die Mehrzahl der Besatzungskinder wuchs als "vaterlose Generation" auf. Ohne Unterhaltszahlungen, lebten viele Mütter mit den Kindern oft in finanziell schwierigen Verhältnissen – oder verschwiegen nach der Heirat mit österreichischen Männern die Vaterschaft.
Trotz der Mauer des Schweigens standen viele Mütter zu ihren Kindern: Von 603 Frauen österreichweit, die in der Besatzungszeit von der Fürsorge aufgefordert wurden, ihre Kinder zur Adoption freizugeben, erklärten sich nur 92 dazu bereit.
Heute, mehr als sechs Jahrzehnte später, fällt es Betroffenen oft leichter, Auskunft zu geben. Andererseits suchen Ex-Sowjetsoldaten den Kontakt zu ihren Freundinnen von damals. In der russischen TV-Sendung "Warte auf mich" ("Ždi menja") sind zahlreiche Familienzusammenführungen gelungen.
Begegnung
Ein Beispiel dafür ist Gerhard Verosta, 1947 geboren. Sein Vater Pavel Denisov war 1946/’47 als Nachschuboffizier im Sowjet-Hauptquartier in Baden bei Wien stationiert. Er wurde 1947 aus Österreich abkommandiert, erfuhr aber durch Kameraden von der Geburt seines Sohnes. Erst 2005 konnte er, 81-jährig, seine einstige Freundin suchen. Sie wurde in Baden ausfindig gemacht, ihren Sohn weihte sie erst nach langem Zögern ein. 2005 kam es im russischen TV zum ersten Treffen von Vater Pavel und Sohn Gerhard. Dieser schilderte dem KURIER: "Als mir die Fernsehregisseurin, bevor ich auf die Bühne ging, auf einem Monitor meinen Vater gezeigt hat, da ist die ganze Nervosität einer riesigen Freude gewichen!"
Spurensuche: Soldatenkinder
Besatzungskinder in Österreich und Deutschland. Internationale wissenschaftliche Konferenz. Termin: Donnerstag, 27. September, 9 bis 18 Uhr. Ort: Diplomatische Akademie Wien, Favoritenstraße 15, 1040 Wien.
Der Eintritt ist frei. Begrenzte Teilnehmerzahl, daher wird um verbindliche Anmeldung gebeten unter: Tel. +43 316 822500-0 oder eMail: bik-graz@bik.ac.at
Barbara Stelzl-Marx: Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945 bis 1955. Böhlau Verlag 2012. 865 Seiten. Preis: 49,80 Euro
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