Uni-Chaos: Wo ist die Grenze?

Uni-Chaos: Wo ist die Grenze?
Minister und ÖH-Chefin im Streitgespräch: Was Unis und Studenten bei Gebühren und Zugangshürden zumutbar ist.

Er ist seit April Wissenschaftsminister, sie seit Juli Vorsitzende der Hochschülerschaft; vergangene Woche hatten Karlheinz Töchterle und Janine Wulz ihr erstes Arbeitsgespräch. Warum dabei gleich eine gemeinsame Skitour geplant wurde, erklären sie im KURIER-Streitgespräch.

KURIER: Ist das mit dem rebellischen Ruf der grünen ÖH-Chefin vereinbar, wenn sie mit dem ÖVP-Wissenschaftsminister Skifahren geht?

Janine Wulz: Es ist gut für die Studierenden, wenn die ÖH eine konstruktive Gesprächsbasis zum Minister hat.
Karlheinz Töchterle: Wir haben das spontan ausgemacht, nachdem ich mit Freuden festgestellt habe, dass sie eine Skitouren-Geherin ist. Skitouren sind ein herrliches kommunikatives Instrument, um miteinander zu reden.

Oft gibt es deftige Kritik der ÖH - wie gehen Sie damit um?
Töchterle: Im direkten Gespräch kann ich viel einstecken, weil es mit Fairness vorgetragen wird. Wir können wunderbar streiten über sachliche Themen. Wenn ich es in den Medien sehr scharf lese, trifft es mich. Da denke ich mir: Sind das die gleichen Leute, mit denen ich gerade eben ein so konstruktives Gespräch geführt habe? Aber ich verstehe das politische Geschäft: Man muss manchmal nach außen hin schärfer sein als im direkten Gespräch.

Der Experten-Bericht der drei Uni-Weisen wurde von Ihnen im Internet als "neoliberale Sch..." kritisiert.
Wulz: Der Experten-Bericht ist neoliberal: Die Unis sollen Absolventen produzieren, die genau das können, was die Wirtschaft braucht. Damit verabschiedet man sich von freier und offener Lehre.
Töchterle: Der Bericht ist ein Text, und Texte erlauben häufig verschiedene Lesarten. Ich verstehe Ihre Kritik teilweise. Ich sehe den Bericht aber viel positiver, weil der Blick von wirklich kundigen Leuten kommt.
Wulz: Die einen einseitigen Blick auf die Unis werfen, weil es Wirtschaftswissenschafter sind, die die Situation der Studierenden ignorieren.
Töchterle: Einer von ihnen, Rektor Loprieno, ist Ägyptologe, damit das gesagt ist.

Nachdem Sie beide sagen, Sie können konstruktiv miteinander streiten: Tun Sie das doch bitte einmal, und zwar über Zugangsregeln.
Wulz: Ich lehne Zugangsbeschränkungen ab, weil sie bedeuten, dass Studierende vor verschlossenen Türen stehen. Vor allem jene, die nicht aus einem akademischen Elternhaus kommen oder nicht das nötige Kleingeld haben, um sich Vorbereitungskurse leisten zu können.
Töchterle: Es geht nicht darum, Leute vom Studium auszuschließen. Sondern da, wo die Kapazitäten einer Universität begrenzt sind - und sie sind immer begrenzt, und wenn ich noch so viel Geld in die Hand nehme -, die Möglichkeit zu geben, den Zugang zu regeln. Das ist ein Gebot der Fairness - auch gegenüber den Studierenden. Dass man ihnen nicht vorspielt: Ihr könnt grenzenlos in jedes Institut - und dann finden sie katastrophale Betreuungsverhältnisse vor. Da greift das soziale Argument: Schlechte Betreuungsverhältnisse sitzt man leichter aus, wenn man Geld hat.
Wulz: Die Frage ist: Macht die Realpolitik Schritte in Richtung freie Bildung für alle - oder dagegen? Wir brauchen einen Ausbau der Kapazitäten - keine Beschränkung.
Töchterle: Ein unbegrenzter Ausbau, dass jeder aus der EU in Österreich das studieren kann, was er will, ist unmöglich. Das ist eine edle Utopie. Die Jugend hat das Recht zum Idealismus und zur Utopie. Aber der Realpolitiker muss das Machbare tun. Das heißt: Für möglichst viele möglichst gute Bedingungen zu schaffen. Und das geht nicht ohne Zugangsregeln.

Stichwort Studiengebühren: Hätten Sie 1000 Euro pro Jahr am Studium gehindert?
Töchterle: Ich bin der älteste von vier Söhnen eines Schmieds, der sein Geld bei Gott hart verdient hat. Zu meiner Zeit gab es eine Art Studiengebühren. Es gab auch die Möglichkeit des Erlasses bei sozialer Bedürftigkeit, das hat für mich zugetroffen. Ich habe das aber, bevor ich an die Uni gekommen bin, gar nicht gewusst. Also ich hätte keine Sekunde wegen der Gebühren gezögert.
Wulz: Ich habe Glück, weil meine Eltern mich unterstützen. Aber ich habe zwei Freundinnen, die das Studium abgebrochen haben, weil sie Studiengebühren hätten zahlen müssen und auch die Familienbeihilfe nicht mehr bekommen haben.
Töchterle: Wir werden demnächst ein Modell präsentieren, das Härtefällen ausweicht. Damit niemand deswegen sein Studium nicht beenden kann.

Uni-Chaos: Wo ist die Grenze?

Wenn in einem Monat das Semester beginnt, werden einige Massenstudien wieder heillos überlaufen sein ...
Wulz: ... und die Unis werden die neue Studieneingangsphase dazu nutzen, gezielt rauszuprüfen. An der Uni Wien muss man riesige Prüfungen im ersten Semester bestehen - und darf die nur einmal wiederholen.
Töchterle: Wenn die Eingangsphase zum Hinausprüfen missbraucht wird, dann nur, weil die Unis keine andere Möglichkeit haben. Das ist eine Folge dessen, dass man die Augen davor verschließt, dass die Unis ihre Kapazitäten nicht leben dürfen.
Wulz: Ich würde sagen, es ist eine Folge der chronischen Unterfinanzierung.
Töchterle: Das kann man immer sagen. Die Unis haben zu wenig Geld. Wir werden uns aber bemühen, ihnen mehr Geld zu geben - auch über sozial verträgliche Studienbeiträge.
Wulz: Studienbeiträge können nie die Möglichkeit sein, die Unis auszufinanzieren.
Töchterle: Ausfinanzieren nicht, aber es ist ein willkommener Beitrag.
Wulz: Das ist ein Tropfen ...
Töchterle: Nein, es ist kein Tropfen. Ich weigere mich, das zu akzeptieren. Nehmen Sie die Uni Innsbruck, wo ich herkomme: Sie hat ein Budget von 200 Millionen Euro im Jahr. Wenn 28.000 Studierende Tausend Euro pro Jahr zahlen, sind das 28 Millionen Euro im Jahr. Das sind fast 15 Prozent des Budgets!
Wulz: Wenn man Beiträge sozial verträglich gestaltet, wird ein Großteil der Studierenden nicht zahlen müssen.
Töchterle: Gut, es wird weniger sein. Aber: Auch wenn es fünf Millionen sind - damit kann eine Uni viel machen.
Wulz: Gleichzeitig kann das Uni-Budget aus vielen anderen Quellen kommen. Uni-Absolventen leisten über ihre Steuern später ohnehin einen höheren Beitrag.
Töchterle: Aber nicht, wenn sie aus China kommen, bei uns Musik studieren und dann ganz woanders hingehen.
Wulz: So viele sind das nicht.
Töchterle: Oder die Mailänder Millionärstochter, die in Österreich studiert - mithilfe der Steuergelder der Supermarktkassiererin.
Wulz: Wir leben im europäischen Hochschulraum. Mobilität gegen Studiengebühren auszuspielen, ist platt.
Töchterle: Das ist nicht gerecht! Es ist nicht gerecht, dass in Österreich alle gratis studieren. Mit Studienbeiträgen könnten wir diese Ungerechtigkeit schon im nächsten Semester gelöst haben.
Wulz: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein sozial gerechtes Beitragssystem gibt. Ich kenne weltweit keines.
Töchterle: Aber wenn meines sozial gerecht ist - stimmen Sie dann zu?
Wulz: Ich lasse mich überraschen.

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