Trump facht den ewigen Streit um die Heilige Stadt neu an
Die palästinensische Bäuerin sitzt heute enger zur Hauswand gegenüber dem Österreichischen Hospiz. Ihre Sträuße aus Koriander und Minze hat sie vor sich auf dem Jerusalemer Pflaster ausgelegt. Aber wer kauft schon an so einem Regentag. Laut ruft sie "mustachil" – also unmöglich. Womit sie nicht das Wetter meint. Vielmehr ist die Rede Donald Trumps später am Abend auch das bäuerliche Tagesthema. Jerusalem als Israels Hauptstadt? Unmöglich! Dann zuckt sie mit den Schultern: "Aber bei uns in Ursalim ist ja alles möglich..."
Jeruschalayim, Ursalim – alle Sprachen der Welt kennen den Namen der Heiligen Stadt. Im Hebräischen sind in ihm die Worte für Erbschaft, Ganzheit und Frieden vereinigt. Sprachliche Ironie. Keine Stadt ist so umstritten, gespalten und beansprucht wie Jeruschalayim. Und es ist kein Wunder, dass Donald Trump diesen Schritt wagt, nachdem seine evangelikal-christlichen Kernwähler auf ihn Druck machten. Der Präsident traf sie noch am Wochenende, und sie mahnten: Noch hat er keines seiner Wahlversprechen an sie eingelöst. Für Trumps Endzeit-Christen ist Jerusalem der wichtigste Ort der Welt. Kein präsidentielles, sondern ein himmlisches Versprechen.
"Ich schäme mich"
Schlomo, der sein Hebräisch mit stark rollendem R spricht, sagt: "Ich schäme mich dafür." Die christliche Lobby habe mehr Druck auf Trump ausgeübt, als die jüdische. Schlomo kommt aus New York, und er kennt die Lage in den jüdischen Gemeinden der USA. "Die Reform-Juden waren noch am Montag im Weißen Haus und haben gegen eine Anerkennung gesprochen."
Mit in der Warteschlange an den Kontrollschranken vor der Klagemauer steht Schabbetai. Auch er ist wie Schlomo an seinem Käppchen als frommer Jude zu erkennen. "Du weißt aber schon, warum die Superchristen es so eilig haben", fällt er Schlomo ins Wort, "der Weg zur Endzeitschlacht in Armaggedon führt über Jerusalem." Er lacht und klopft Schlomo auf die Schulter: "Da stehen wir dann wieder in der Warteschlange. Als unbekehrte fromme Juden vor der Höllenpforte. Oder lässt du dich vorher noch schnell taufen?"
Warten auf Rede
Im Waldorf Astoria direkt vor der Altstadt treffen sich an diesem Tag fast alle Diplomaten, die in Israel akkreditiert sind. Die Zeitung Jerusalem Post hat geladen. Der Gastredner Benjamin Netanjahu enttäuscht: Israels Premier sagt kein Wort zur anstehenden Trump-Rede. Anerkennung? Auf dem diplomatischen Parkett und vor der Rede Donald Trumps schweigt Netanjahu vorerst.
Jerusalems Pflaster hat schon viel Blut getrunken. Keiner weiß das besser als Netanjahu. Das Ende seiner ersten Amtszeit war auch eine Folge der Unruhen nach der Eröffnung des Klagemauer-Tunnels. 100 Palästinenser starben, 16 Israelis. Der Tunnel ist heute eine Touristenattraktion. Noch im Juli gab es blutige Unruhen, als Israels Polizei Metalldetektoren an den Kontrolltoren zur Al-Aksa-Moschee aufbauen ließ. Die Detektoren ließ Netanjahu nach weltweiten Protesten schnell wieder abbauen. Mal so, mal so. Immer unberechenbar.
Botschafter gab’s schon
Schritte in und um Jerusalem, die von israelischen Politikern als historisch gesehen wurden, hatten in der Vergangenheit nicht immer die gewünschten Erfolge. Fast schon vergessen ist die Tatsache, dass bis in die 60-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts schon mehr als zehn Botschafter aus aller Welt in Jerusalem residierten. Sie verließen die Stadt dann wieder, spätestens nach dem Annexionsgesetz 1980.
Es veränderte die Lage vor Ort in Jerusalem überhaupt nicht. Verstärkte aber die weltweite Nichtanerkennung des Status’ als Hauptstadt. Nachdem die Realität des Alltags den Verkehr der Diplomaten aus aller Welt in Jerusalem schon erleichtert hatte. Treffen mit Ministern, die in Ost-Jerusalem sitzen, wurden früher von Diplomaten und internationalen Gästen strikt abgelehnt. Heute werden sie meist lässig als "Arbeitstreffen" eingestuft und können so stattfinden.
Protest wird abflauen
Geht Donald Trumps Rechnung auf, werden die Unruhen in den besetzten Gebieten wie in der arabischen und moslemischen Welt doch wieder abflauen. Auch wenn die Iraner, die Moslem-Brüder und der sogenannte "Islamische Staat" (IS) sie anheizen werden. Die arabischen Regierungen haben kein Interesse daran, ihren Kampf gegen die iranisch-schiitische Vormacht abzuschwächen. Die Palästinenser sind derzeit zweitrangig. Ob auch für die Massen in den Straßen, wird sich zeigen. Donald Trump riskiert mit einer Anerkennung viel, aber nicht unbedingt alles.
"Kennst du das Domino-Spiel?" fragt Tigran an diesem regnerischen Mittwoch zurück, als er nach der Trump-Rede gefragt wird. Er ist einer der letzten armenischen Händler in der aus vier Vierteln bestehenden Altstadt von Jerusalem (siehe Grafik), die ihre Geschäfte mit Ikonen, Kerzen und Weihrauch im christlichen Viertel noch nicht an muslimische Händler verpachtet haben. Erst falle langsam ein Stein, sagt Tigran zur Erklärung des Vergleichs mit Domino, dann der nächste, dann alle…
Tigran hört dabei die hebräischen Nachrichten, die vom Radioapparat auf dem Regal neben den Krippenfiguren schallen. "Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte", heißt es da, "hat angekündigt, seine Botschaft ebenfalls nach Jerusalem zu verlegen, wenn die US-Botschaft dorthin verlegt werden sollte."
Kein US-Präsidentschaftskandidat kommt darum herum, um die Unterstützung der politisch einflussreichen Israel-Lobby zu buhlen. Immerhin geht es da nicht nur um Stimmen, sondern auch um Millionenspenden für den jeweiligen Wahlkampf. Donald Trump aber ging da noch einen Schritt weiter. Er holte sich etwa Glücksspiel-Mogul Sheldon Adelson als Finanzier, ein radikaler Zionist, der nicht für die vollständige Besetzung des Westjordanlandes durch Israel eintritt, sondern natürlich auch für ein unteilbares Jerusalem als Hauptstadt Israels. Ähnliche politische Schlagseite hat einer der engsten politischen Berater des US-Präsidenten, sein Schwiegersohn Jared Kushner. Er kommt aus einer jüdisch-orthodoxen Familie, die nicht nur einst Benjamin Netanjahu bei sich zu Hause beherbergte, sondern auch viel Geld nach Israel schickt. Adressaten sind Gruppen radikaler jüdischer Siedler im Westjordanland, die sich über alle gültigen Abkommen hinwegsetzen und palästinensisches Land besetzen.
Kushner ist von Trump direkt beauftragt worden, sich um den Nahost-Konflikt zu kümmern und zwischen Israelis und Palästinensern zu vermitteln. Die völlig unvorbereitete Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt sei da, so urteilen US-Experten, völlig kontraproduktiv. Einer, der trotzdem darauf drängt, ist der von Trump eingesetzte US-Botschafter in Israel, der erzkonservative David Friedman. Er drängt den Präsidenten seit Monaten, endlich dieses Wahlversprechen umzusetzen. Hochwillkommen ist das auch bei einer anderen wichtigen Trump-Wählergruppe, den evangelikalen Christen. Für sie hat Jerusalem fast mystische Bedeutung und muss daher von allen Heiden, in diesem Falle also Muslimen, befreit werden.
Die erwartete Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen und die Stadt damit als Hauptstadt Israels anzuerkennen, stößt weltweit auf Proteste und Unbehagen, vor allem in der muslimischen Welt.
Mehrere palästinensische Gruppierungen haben aus Empörung von Mittwoch an zu drei "Tagen des Zorns" aufgerufen. In der Nähe von Bethlehem kam es zu einer Konfrontation zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten. In Bethlehem verbrannten Demonstranten schon am Dienstagabend Bilder von Trump. In Gaza zündeten am Mittwoch Hunderte Demonstranten Trump-Bilder und US-Flaggen an.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte bereits am Dienstag angekündigt, die diplomatischen Beziehungen zu Israel zu kappen, sollte Trump seine Ankündigung wahr machen. Außerdem berief er eine Sondersitzung der Arabischen Liga für kommende Woche ein, um in der Causa weiter zu beraten.
Auch NATO-Verbündete warnen
Neben der Türkei haben mit Deutschland und Frankreich weitere NATO-Verbündete Trump eindringlich davor gewarnt, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen.
"Unsere Position hat sich nicht geändert, der Status Jerusalems sollte von beiden Seiten verhandelt werden, es sollte eine geteilte Hauptstadt werden. Wir unterstützen die Zwei-Staaten-Lösung", sagt die britische Premierministerin Theresa May zur Thematik. Auch aus dem Kreml kommen Bedenken – die Entscheidung Trumps könne den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern weiter anheizen.
Saudi-Arabien, das sich als Schutzmacht aller Muslime weltweit sieht, äußert sich "ernsthaft und tief besorgt". König Salman warnte Trump in einem Telefongespräch vor einem solchen Schritt, den Muslime in aller Welt als Provokation empfinden würden.
"Mit diesem heiligen Ort sollte man die Muslime nicht provozieren", warnt auch der iranische Präsident Hassan Rohani. Die Heiligtümer von Muslimen weltweit stünden auf dem Spiel. Rohani fordert alle Muslime sowie die Organisation der islamischen Staaten auf, sich gegen diese "amerikanisch-zionistische Verschwörung" zu vereinen.
Papst Franziskus warnt nachdrücklich, alle Parteien müssten den "Status quo" der Stadt respektieren, "wie es die entsprechenden Resolutionen der Vereinten Nationen vorsehen".
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