Serbien: Wahlergebnis "ein Rückschritt"

Serbien: Wahlergebnis "ein Rückschritt"
Die soziale Misere des Landes hat dem früheren extremen Nationalisten Tomislav Nikolic zum Sieg verholfen – zur Sorge Europas.

Seine radikale Kriegsrhetorik hat Tomislav Nikolic (60) schon vor Jahren zugunsten pro-europäischer Parolen aufgegeben. Statt rüder Beschimpfungen und öffentlicher Träume von "Groß-Serbien" bekennt sich der überraschende Sieger der serbischen Präsidentenwahlen nunmehr zu einem möglichst raschen Beitritt des Landes zur EU. Doch seine erste Auslandsreise wird Nikolic noch diese Woche nicht nach Brüssel, sondern nach Moskau führen.

Entsprechend verhalten fallen in Europa die Reaktionen auf den Präsidentenwechsel in Belgrad aus: Auch wenn der Chef der Fortschrittspartei die Tonart gewechselt habe, agiere er nach wie vor wie ein strammer Nationalist, lauten die Vorwürfe.

Erst 2008 sagte sich der frühere Bauingenieur von der ultra-nationalistischen Serbischen Radikalen Partei des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Vojislav Seselj los. Zuvor hatte er 17 Jahre als dessen Vize-Parteichef agiert. An Seseljs Seite war Nikolic 1991 auch als Freiwilliger in den Krieg gegen die Kroaten gezogen. Als der heute vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagte Seselj polterte, man müsse jedem Kroaten die Augen mit einem rostigen Löffel auskratzen, schwieg sein Adlatus Nikolic beharrlich.

"Inhaltlich hat sich Nikolic nie von seiner Vergangenheit distanziert", weiß Michael Ehrke von der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung. "Er hat sich nur aus taktischen Gründen von Seselj getrennt, aber er macht nach wie vor die Politik der Radikalen Partei." Ein Politiker wie Nikolic an der Spitze des von wirtschaftlicher und sozialer Not erschütterten Serbien – das ist aus Sicht des in Belgrad lebenden deutschen Experten "ein wirklicher Rückschritt für Serbien."

Ewiger Verlierer

Vier Mal war der "ewige Verlierer" Nikolic in den vergangenen Jahren als Kandidat für das Präsidentenamt angetreten – beim fünften Anlauf klappte es. Doch zum Sieg dürften den stets hölzern wirkenden Politiker weniger seine Wahlversprechen getragen haben als die Verzweiflung der knapp acht Millionen Serben über ihre immer katastrophalere Wirtschaftslage. "Den meisten Menschen geht es heute schlechter als vor vier Jahren", schildert Ehrke. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent, die Wirtschaft stagniert, Korruption und Klientelwirtschaft bremsen jeden Aufschwung, die monatlichen Durchschnittslöhne erreichen kaum 350 Euro.

Ein wirtschaftliches Gegenrezept haben auch Nikolic und seine Fortschrittspartei nicht zu bieten. Seine wirtschaftspolitischen Äußerungen tun Experten als "puren Populismus" oder "völligen Unsinn" ab. Völlig unnachgiebig gibt sich der neue Präsident indes in der Kosovo-Frage: Immer wieder hat er betont, dass Serbien auf Brüssel verzichten werde, wenn die Anerkennung des heute unabhängigen Kosovos die Bedingung für einen EU-Beitritt des Landes sei.

Die Macht liegt in Serbien nicht in den Händen des Präsidenten, sondern in jenen der Regierung. Doch obwohl Nikolics Fortschrittspartei auch die serbische Parlamentswahl vor zwei Wochen gewonnen hat, werden die Demokraten des abgewählten Präsidenten Boris Tadic mit ihren bisherigen Koalitionspartnern (den Sozialisten des früheren Diktators Slobodan Milosevic) wieder die Regierung bilden. Ihre wichtigste Agenda: den EU-Kurs vorantreiben.

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