Schottland: Freiheitstraum und Existenzangst

1996: "Braveheart" - ein Heldenepos der Marke Blockbuster wird mit fünf Oscars bedacht, darunter auch jenem für "Bester Film".
Großbritannien: Ein historisches Abkommen stellt die Weichen für Schottlands Unabhängigkeit. 2014 wird abgestimmt.

Paragraf 30, Schottland Akt: Es ist ein scheinbar ziemlich sprödes Stück Verwaltungsbürokratie, unter das Großbritanniens Premier David Cameron am Montag seine Unterschrift gesetzt hat.

Doch dieser Paragraf hat historische Sprengkraft. Mit ihm gibt die Regierung in London Schottland das Recht, allein über seine politische Zukunft zu entscheiden. Das Regionalparlament in Edinburgh kann und wird jetzt eine Volksabstimmung für den Herbst 2014 ausrufen. Es ist ein Referendum mit nur einer einzigen Frage, und auch die kann nur mit Ja oder Nein beantwortet werden: Soll Schottland ein unabhängiger Staat werden?

Es ist diese kompromisslose Fragestellung, die keinerlei ,Ja, aber" zulässt, um die gerade London in monatelangen Verhandlungen gerungen hat. Denn diesen Sprung ins kalte Wasser der völligen Unabhängigkeit wird die Mehrheit der fünf Millionen Schotten – so hofft Camerons konservative Regierung – trotz allem nicht wagen. Jüngsten Umfragen zufolge sind derzeit gerade einmal 28 Prozent der Schotten dazu bereit. Für Alex Salmond, Regierungschef in Schottland, ist der Vertrag trotzdem ein "wichtiger Schritt in Richtung Unabhängigkeit". Seit der schottische Nationalist im Vorjahr die Wahlen in seiner Heimat gewonnen und die Führung der Regionalregierung übernommen hat, steht das "Los von London" ganz oben auf der Liste seiner Ziele.

Ganz oder gar nicht

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Allerdings wollte Salmond diese Unabhängigkeit langsamer, aber dafür umso risikoloser erreichen. In seiner Planung sollte das Referendum erstens später stattfinden und zweitens auch eine Art weitgehender Loslösung von London zur Auswahl stellen. Eine Variante, die den meisten Schotten wahrscheinlich sympathischer gewesen wäre. Immerhin genießt man ja seit 1998 ohnehin großzügige Freiheiten von London, hat ein eigenes Parlament und kann über viele Einnahmen und Ausgaben im Alleingang entscheiden.

Trotzdem hat die Zentralregierung vor allem bei sozialen Fragen noch immer einiges mitzureden – und das ist vielen Schotten gar nicht so unrecht. Hier im rauen Norden befinden sich noch immer einige der ärmsten und am wenigsten entwickelten Regionen Großbritanniens – und die beziehen natürlich auch großzügige Förderungen aus London. Die Nationalisten halten dagegen, dass Schottland nach der Unabhängigkeit endlich alleine vom Ölreichtum in der Nordsee profitieren könnte.

Schottland: Freiheitstraum und Existenzangst
Die schottische Flagge (re.) bleibt auch weiterhin Teil des Union Jack

Ob also eine eigenständige schottische Nation tatsächlich überlebensfähig wäre, wird von vielen bezweifelt. Salmond aber lässt sich weder davon, noch von der Hopp-oder-Tropp-Entscheidung, zu der ihn London jetzt gedrängt hat, irritieren. Er will 2014 auf den Nationalstolz der Schotten und den dazugehörigen uralten Hass auf die Engländer setzen.

Ein "Jahr der Heimkehr" soll ausgerufen werden. Und dabei wird ordentlich Stimmung für die Volksabstimmung gemacht: Bei internationalen Sportveranstaltungen wie den Commonwealth Spielen und natürlich mit einem opulent begangenen Jubiläum, wie man es auf der geschichtsverliebten Insel besonders gerne hat. 1314, also vor 700 Jahren, schlugen die Schotten die Engländer vernichtend.

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Katalonien: Wahl als Abstimmung über Unabhängigkeit

Es begann wie so oft mit einem Streit ums Geld – und droht zu einer politischen Existenzkrise für Spanien zu werden. Katalonien, die wirtschaftlich stärkste Region des Landes, steuert im Herbst mit Vollgas in die Unabhängigkeit.

Mitte September waren Finanzverhandlungen zwischen Katalonien und der Zentralregierung endgültig geplatzt. Wie so oft forderte die Regionalregierung in Barcelona Steuererleichterungen. Das von der Krise besonders schwer getroffene Katalonien fühlt sich mehr denn je als Zahlmeister für die unterentwickelten Regionen des Landes und argumentiert, dass man das Geld nun dringend für die eigene Wirtschaft brauche.

Als Madrid das ablehnte, ging der katalanische Regierung Artur Mas auf Kollisionskurs. Der Nationalist rief für den 25. November vorgezogene Neuwahlen in der Region aus – und machte die prompt zu einer Abstimmung über die endgültige Loslösung von Madrid.

Sollten nämlich Mas und seine Nationalisten die Wahlen gewinnen, dann stimmt Katalonien – so hat es das Regionalparlament beschlossen – per Volksabstimmung über seine Unabhängigkeit ab. In Umfragen ist derzeit eine Mehrheit der Katalanen dafür.

Für Madrid aber ist das ein offener Bruch der spanischen Verfassung. Denn darin ist festgelegt, dass nur die Zentralregierung über die Unabhängigkeit einer Region entscheiden kann.

Auch Belgien vor Spaltung

Bei den Regionalwahlen am Wochenende haben im Norden des Landes die flämischen Nationalisten von der N-VA-Partei stark dazugewonnen. Sie übernehmen in Städten wie Antwerpen die Regierung. Parteichef Bart de W­ever tritt offen für eine Abspaltung von Belgiens wohlhabendem flämischen Norden vom ärmeren französisch geprägten Süden ein. Belgiens schwache Zentralregierung, die 2011 erst nach fast zwei Jahren Verhandlungen gebildet werden konnte, steht vor der nächsten Krise.

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