Schlappe für May schwächt die Briten

Wahlschlappe für die britische Premierministerin Theresa May.
Eine geschwächte britische Regierungschefin – das wird die Brexit-Gespräche für die EU komplizierter machen. Dennoch soll das Scheidungsverfahren wie geplant Mitte Juni beginnen.

Mehr britisches Understatement geht nicht: Es klang fast ein wenig nach "business as usual", als Theresa May gestern nur wenige Stunden nach ihrer schweren Wahlschlappe am frühen Nachmittag kühl verkündete: Sie werde nun eine Koalitionsregierung bilden und die Brexit-Verhandlungen wie ursprünglich geplant am 19. Juni eröffnen.

Auf der anderen Seite des Ärmelkanals aber, in Brüssel, sieht man dem kommenden Scheidungsverfahren mit London noch gedämpfter als bisher entgegen. Genau dieses Wahlergebnis hatte man sich für die Brexit-Verhandlungen weder erwartet noch erhofft. Der Moment der Schadenfreude über Mays Misserfolg fiel entsprechend kurz aus. "Man wollte stabile Verhältnisse in London", schildert ein hochrangiger Diplomat dem KURIER, "aber jetzt wird es viel schwieriger werden, zu verhandeln."

Weniger Spielraum

Eine mit starkem Rückhalt daheim ausgestattete Premierministerin May hätte flexibel mit Brüssel verhandeln können. Nun aber, abgestraft und nur mit kleiner Regierungsmehrheit, werde ihr Handlungsspielraum und ihr Pouvoir, Kompromisse zu schmieden, stark eingeschränkt, befürchtet der Politik- und Wirtschaftsexperte Fabian Zuleeg (European Policy Centre). "Das deutet alles eher in Richtung eines harten Brexits, denn dort steht die Mehrheit ihrer Partei und die Mehrheit der Medien."

Und im Hintergrund steht schon wieder der frühere UKIP-Chef Nigel Farage bereit. Der Brexit-Kämpfer der ersten Stunde drohte gestern Früh: Sollte Downing Street Nr. 10 nur einen Hauchbreit vom eingeschlagenen EU-Austrittskurs abweichen, werde er auf die politische Bühne zurückkehren.

Einen "hard brexit" – also ein Ausscheiden der Briten aus der EU ohne ein neues Abkommen der Zusammenarbeit, ohne Zugang der Briten zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion – wünschen auch die verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten nicht. Der wirtschaftliche Schaden wär groß, jener auf britischer Seite aber dramatisch. Händeringend pocht die britische Wirtschaft deshalb darauf, unbedingt einen sanften Austrittskurs zu fahren. Bisher hatte May jedoch wenig Anstalten gezeigt, zuzuhören.

Auf Mutmaßungen, wie die Verhandlungen mit der geschwächten Premierministerin und ihrem Brexit-Team nun verlaufen werden, wollte sich die EU-Kommission gestern nicht einlassen. Nur so viel ließ Kommissionschef Jean-Claude Juncker wissen. Von Seiten der EU sei alles startbereit: "Wir könnten morgen Früh um halb neun beginnen."

Großbritannien hat keine Zeit zu verlieren. Bis März 2019 müssen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Bisher hat die britische Regierung die Bevölkerung im Unklaren gelassen, wo die Reise wirklich hingeht. "Die Botschaften waren sehr widersprüchlich", schildert Politologe Zuleeg, "man hat den Menschen versprochen: Wir gehen raus aus der EU, gleichzeitig aber so getan, als könne man alle Vorteile, wie den Binnenmarkt und die Zollunion, weiter haben. Jetzt muss Theresa May klarer werden."

Der Fahrplan

Nächsten Donnerstag soll in Brüssel der Fahrplan für die ersten Gesprächsrunden abgesteckt werden. Am Montag darauf könnte der offizielle Start erfolgen.

Schlappe für May schwächt die Briten
Jeremy Corbyn, leader of Britain's opposition Labour Party, leaves the Labour Party's Headquarters on the morning after Britain's election in London, Britain June 9, 2017. REUTERS/Marko Djurica
In Europas Hauptstadt sind auch hoffnungsvolle Töne zu vernehmen: Angesichts des extrem guten Abschneidens der Labour-Partei könnte Premierministerin May gezwungen sein, einen weicheren Trennungskurs fahren. Zwar wollen auch die britischen Linken keinen Ausstieg vom Ausstieg. Doch die erstarkte Opposition drängt auf eine geregelte, möglichst gütlich vereinbarte Trennung von der Europäischen Union. Heißt so viel wie: Verbleib der Briten in der Zollunion und ein Handelsabkommen mit der EU. Denn andernfalls, so die Befürchtungen, könnten die britischen Exporte in die EU in den kommenden zehn Jahren um bis zu 40 Prozent einbrechen. Zehntausende Jobs würden verloren gehen.

Und auch Schottlands einflussreiche Regierungschefin Nicola Sturgeon stellte gestern abermals klar: Ein harter Brexit ist für Schottland, das beim Brexit-Referendum im Vorjahr mehrheitlich mit "Nein" gestimmt hatte, keine Option.

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