Portisch: "Macht die EU nicht mutwillig kaputt"
Kritik an Politik und Medien, die die Europäische Union gering schätzen und ihre historische Rolle missachten, übt der Autor und Journalist Hugo Portisch.
KURIER: Sie erinnern in Ihrem Buch daran, dass Österreich in seiner Geschichte de facto auch pleite war, 1922 aber vom Völkerbund "gerettet" wurde. Aber kann man das Österreich von damals mit dem Griechenland von heute vergleichen, das sich mit gefälschten Bilanzen in die Eurozone schwindelte?
Hugo Portisch: Die Situation ist dennoch vergleichbar. Wir waren pleite, weil unser Bankensystem versagt hat. Der Staat hatte kein Geld mehr. Wir haben genauso wie die Griechen um eine Anleihe gebettelt, und die wurde unter denselben Bedingungen gegeben: Die Banken leihen uns Geld - das waren damals die französischen, die englischen und später auch belgische, italienische und tschechische - und die Regierungen haben die Garantien übernommen. So wie jetzt bei Griechenland.
Bei Griechenland hat man aber das Gefühl, es wird das Geld - anders als Österreich - nie zurückzahlen können.
Ich bin da nicht so skeptisch. Österreich ist es ja auch sehr mies gegangen, und es hat zwei Mal eine Umschuldung gegeben - 1932 und 1936. Die Laufzeit war sehr lang. Die letzte Rate für diese Anleihe zahlte das heutige Österreich 1977. Das wird bei Griechenland auch der Fall sein. Der Völkerbund war sehr, sehr streng mit Österreich.
In Österreich wachte ein vom Völkerbund eingesetzter "Generalkommissar" darüber, ob die harten Auflagen eingehalten werden.
Das ist der Unterschied. Der hat keinen Groschen ohne Prüfung hergegeben. Das war sehr wirksam. Die Regierung war dadurch aber de facto entmachtet. Und es gab harte Auflagen: Verwaltungsreform, Entlassung von rund 100.000 Staatsbeamten. Postämter, Schulen und Spitäler wurden gesperrt. Die sozialen Auswirkungen waren verheerend und haben vermutlich sogar zum Bürgerkrieg 1934 beigetragen.
Wie kann man das in Griechenland verhindern?
Es gibt Leute, die gleichzeitig einen Marshall-Plan für Griechenland fordern. Aber die USA haben damals Güter geschickt, und die Griechen brauchen keine Maschinen, sondern Geld.
Sollte die EU jetzt auseinanderbrechen: Herrscht dann wieder Kriegsgefahr?
Nein, das halte ich für ausgeschlossen, auch wenn es der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sagt.
Soll es eine europäische Wirtschaftsregierung geben?
Ohne bessere Koordinierung der Budgetpolitik der Länder lässt sich die Währungsunion nicht aufrechterhalten. Man könnte als Budget-Assistenz eine Art von EU-Sektionschefs an die Seite der Regierungen stellen. Diese beobachten die Budget- und Steuerpolitik und warnen vor Maßnahmen, die die Möglichkeit des Euro übersteigen. Ich halte nichts vom Strafen, Länder mit großem Defizit sind ohnehin nicht zahlungsfähig. So weit darf es eben gar nicht kommen.
Der britische Premierminister Winston Churchill hat, wie Sie schreiben, schon 1946 weitsichtig "Vereinigte Staaten von Europa" gefordert. Dann müsste es aber auch Wahlen geben für eine gemeinsame europäische Regierung, oder?
Theoretisch wäre das ideal, geht aber aufgrund der totalen Verschiedenheit der einzelnen Nationen sehr sehr schwer. Funktionieren könnte eine Art Staatenbund, wobei alle Staaten eigene Regierungen haben, aber mit gemeinsamem Steuer-, Budget- und Verteidigungssystem. Diese Aufgaben müssten an einen zentralen Staat abgegeben werden.
Und dieser Staatenbund ist dann eine Transferunion.
Nicht unbedingt, dazu sollte es eben gar nicht kommen. Im heutigen System wird kritisiert: Die, die diszipliniert und gut organisiert sind, sollen für die zahlen, die schlampig und faul sind. Übrigens: Faul sind die Griechen nicht....
.....aber Meister der Steuerhinterziehung.
Ja, dort liegt das Problem. Aber es findet doch innerhalb jeden Staates ein Transfer zwischen besser und weniger Verdienenden statt.
Und wie verhindert man eine Umverteilung von Faul/Unehrlich zu Fleißig in der EU?
Es bräuchte eben ein Instrument zur Koordinierung der Budgetpolitik in der EU, das angesprochene "Sektionschef-Gremium".
Ist Ihr Buch auch ein Appell, sich daran zu erinnern, dass Europa ein Friedensprojekt ist und in der Vergangenheit sehr unter Diktaturen gelitten hat?
Absolut. Ich will mit dem Buch sagen: Die EU ist nicht aus dem Nichts entstanden! Sondern in einer Zeit, in der alle europäischen Staaten in allergrößter Not und von Krieg bedroht waren.
Und diese Gemeinschaft darf man nicht leichtfertig opfern?
Ich appelliere ganz stark: Opfern wir nicht leichtfertig das Gemeinschaftswerk! Die EU ist immer noch eine Friedenszone. Man weiß natürlich nicht, ob wieder einmal jemand verrückt spielt, und es ist auch nicht jeder Staat gefeit davor, in ein autoritäres Regime zurückzufallen, siehe Ungarn. Dagegen gibt es in der EU aber starke Barrieren. Die EU hat uns viele Vorteile gebracht. Schauen Sie sich doch die Exportziffern Österreichs vor und nach der Ostöffnung an!
Aber in Osteuropa liegen jetzt auch unsere Risiken, speziell die der Banken, wie der Internationale Währungsfonds warnte.
Selbstverständlich. Zur Zeit ist allerdings alles risikogefährdet - von Amerika bis Japan. Aber die Verluste, die jetzt geschehen sind, sind nicht Schuld der EU, sondern Folge der Globalisierung.
Was soll Ihr Buch, das Sie ja offenbar eher spontan geschrieben haben, bewegen?
Ich habe es tatsächlich sehr spontan geschrieben - weil ich mich schon lange über die Geringschätzung ärgere, die der EU auf sehr vielen Ebenen in Österreich entgegengebracht wird. Von Politik und Medien. Mein Buch ist auch eine Philippika gegen Politiker, die sich Medien gegenüber gefügig zeigen.
Die EU soll wieder mit mehr Begeisterung betrachtet werden?
Es geht um eine positive Einstellung: wieder zu wissen, woher die EU kommt, wie wertvoll sie war und dass sie uns geholfen hat. Bei den großen Burgenlandfeiern hat mir zum Beispiel kürzlich auch ein Dankeswort an die EU gefehlt, durch deren große finanzielle Hilfe der Aufschwung des Burgenlands erst möglich wurde.
Sie hätten die Chance gehabt, Bundespräsident zu werden, haben aber eine Kandidatur abgelehnt. Da hätten Sie es selbst umsetzen können.
Glauben Sie mir, das ist kein Amt für einen Journalisten. Dazu muss man eine andere Karriere gehabt haben. Ein Journalist ist einer, der von der Freiheit lebt und kein Protokoll aushält.
Aber ist es nicht auch ein Problem Europas, dass sich niemand mehr die Politik "antun" will, daher eher Schwächere davon angezogen werden?
Stimmt, das politische Personal in Europa ist ein ganz großes Problem. Österreich ist da vergleichsweise eh besser dran!
Na gut, wir haben keinen Berlusconi.
Da geht es eher um die Schwachmatiker! Es war ja ein grundsätzlicher, schwerer Fehler, diese schwachen Figuren wie Herrn Rompuy (EU-Ratspräsident) und Frau Ashton (EU-Außenministerin) zu installieren. Der Lissabonner Vertrag hat endlich Gelegenheit gegeben, starke Leute in starke Positionen zu bringen. Und dann nimmt man extra Schwache! Aber daran sind alle Regierungen schuld. Man will dort keinen sitzen haben, der uns was anschaffen kann. Aber das ist das Gegenteil von Zusammenhalt und Stärkung der EU. Ich habe in den letzten Monaten viele Vorträge zum Thema Europa gehalten und mit einem einfachen Vergleich Standing Ovations geerntet: Hätte man uns in den Jahren 1945, 46, 47 angeboten, dass wir all das haben können, was wir heute in der Europäischen Gemeinschaft haben, dann wären wir auf Knien nach Brüssel gerutscht - alle miteinander! Das einmalige Einigungswerk mutwillig kaputt zu machen, wäre schändlich.
Zur Person: Hugo Portisch
Hugo Portisch (84) war von 1958 bis 1967 KURIER-Chefredakteur und danach Chefkommentator des ORF. Buchstäblich Geschichte schrieb er mit seinen TV-Produktionen "Österreich I" und "Österreich II". Seinem lebendigen Erzählstil konnte sich niemand entziehen. Er schrieb außerdem zahlreiche Bücher.
Hugo Portisch war immer ein politischer, nie ein parteipolitischer Mensch.
Er initiierte das Rundfunk-Volksbegehren für die Unabhängigkeit des ORF. Doch das Angebot, parteiunabhängiger Präsidentschaftskandidat zu werden, schlug er aus.
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