Piloten verlernen das Fliegen

Die US-Flugsicherheitsbehörde schlägt Alarm: Computer übernehmen in modernen Linienmaschinen so viel Arbeit, dass es der Besatzung im Notfall an Übung fehle.

Sanft setzt die Maschine auf der Rollbahn auf, die Passagiere applaudieren dem Flugkapitän. Meistens zu Recht, denn in den letzten Momenten einer Landung hat der Pilot die Maschine wirklich selbst in der Hand. In den restlichen Stunden des Fluges sitzt aber der Autopilot am Steuer. Meistens beginnt seine Schicht schon wenige Sekunden nach dem Start. Der Besatzung kommt eher die Rolle von Computerexperten zu, die Daten eingeben und überwachen. Kritik an dieser gelebten Praxis gibt es schon länger. Sicherheitsexperten und die Piloten selbst fürchten, dass auf diese Weise die Flugpraxis verloren gehe.

Eine Studie der US-Flugsicherheitsbehörde FAA bestätigt das offenbar. Wie die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf einen Entwurf der Untersuchung berichtet, hat die FAA 46 Flugunfälle, 734 freiwillige Berichte von Piloten und anderen Beteiligten sowie die Daten von mehr als 9000 Flügen ausgewertet, bei denen ein Sicherheitsbeamter die Besatzung im Cockpit beobachtet hat.

Automatisierungssucht

Das Ergebnis der Studie: Bei mehr als 60 Prozent der Unfälle und über 30 Prozent der größeren Zwischenfälle hatten die Piloten Schwierigkeiten, das Flugzeug manuell zu steuern, oder sie begingen Fehler bei der Bedienung der automatischen Flugkontrolle. "Wir verlernen das Fliegen", sagte Rory Kay, Flugkapitän und Co-Vorsitzender des FAA-Komitees für Pilotenausbildung. Er spricht von einer "Automatisierungssucht" und einer "neuen Art von Unfällen mit modernen Flugzeugen". Die Piloten hätten immer weniger Gelegenheit, ihr fliegerisches Können zu trainieren, warnt das FAA-Gremium.

Nach AP-Angaben haben neben der Studie auch Gespräche mit Sicherheitsexperten und Industrievertretern bestätigt, dass die Computersysteme inzwischen so stark in moderne Flugzeuge integriert sind, dass schon eine einzelne Fehlfunktion eine verhängnisvolle Kaskade weiterer Probleme auslösen könnte. Im Extremfall könne die Besatzung derart überfordert sein, dass es zur Katastrophe komme.

Ein typischer Pilotenfehler etwa sei es, nicht zu erkennen, dass der Autopilot oder die automatische Schubkontrolle den Dienst eingestellt haben. Auch komme es öfters vor, dass die Piloten die tatsächliche Geschwindigkeit des Flugzeugs aus den Augen verlieren. Das Ergebnis kann ein Strömungsabriss an den Tragflächen sein, der zum Absturz führen kann, wenn die Besatzung nicht schnell genug die richtigen Gegenmaßnahmen einleitet.

Folgenschwere Fehler

Beim Absturz des Air-France-Flugs 447, bei dem im Juni 2009 alle 228 Menschen an Bord ums Leben kamen, dürfte genau das eingetreten sein. Die Geschwindigkeitsmesser hatten falsche Daten geliefert und so die Abschaltung des Autopiloten und eine Strömungsabriss-Warnung ausgelöst. Doch anstatt die Nase des Flugzeugs zu senken und so die Geschwindigkeit zu erhöhen, zogen die Piloten sie hoch - und lösten so den Absturz aus, wie die Unfalluntersuchung ergab. Die französischen Behörden empfahlen anschließend, Piloten im Verhalten bei Strömungsabrissen in großer Höhe zu schulen.

Ein weiteres Beispiel sei laut AP der Absturz im US-Bundesstaat New York, der sich am 14. Februar 2009 ereignete. Der Pilot eines Regionalflugzeugs hatte die falschen Daten in die Computer seiner Maschine eingegeben, die daraufhin zu langsam flog. Als es zum Strömungsabriss-Alarm kam, reagierte die Besatzung genauso wie die Piloten von Air France 447. Die Maschine stürzte ab, 49 Menschen starben.

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