"Niederösterreich ist ihm zu klein"

"Niederösterreich ist ihm zu klein"
Seit 20 Jahren mischt Erwin Pröll die Bundespolitik auf. Und er war noch nie so mächtig wie heute, sagen VP-Kenner.

Gespenstisch verlief im Kanzleramt am vergangenen Mittwoch die gemeinsame Sitzung von Bundesregierung und Landeshauptleuten. Noch Tage später berichteten Sitzungsteilnehmer entgeistert: "Als es um die Parteientransparenz ging, ergriff Erwin Pröll das Wort und tat so, als ob er der ÖVP-Obmann wäre." Ein Augenzeuge bestätigt: " Michael Spindelegger ist neben dem Erwin Pröll eingegangen wie eine böhmische Leinwand." Schließlich sei es Kanzler Werner Faymann zu bunt geworden, und er habe mit eisiger Stimme festgehalten, sein Ansprechpartner sei der Bundesparteiobmann der ÖVP und nicht ein Landeshauptmann.

Formal mag Faymann recht haben – aber wie es real aussieht, stellte Erwin Pröll in den letzten Tagen wieder einmal klar: Ohne ihn geht nichts. In der ÖVP sowieso nicht, und in der Bundespolitik – soweit Länderinteressen berührt sind, und das sind sie fast immer – auch nicht. "Andere Landespolitiker nutzen sich mit der Zeit ab. Aber Erwin Prölls Einfluss nimmt zu. Er hatte noch nie so viel Macht und Einfluss auf die Bundespolitik wie genau in diesen Tagen", sagt einer, der sich auskennt: Reinhold Lopatka, einst Kanzler Wolfgang Schüssels rechte Hand in der Partei und späterer Finanzstaatssekretär. "Erwin Pröll ist der, mit dem Kanzler Faymann um die entscheidenden Lösungen zu kämpfen hat", sagt Lopatka.

Wie wahr: Weil Erwin Pröll das neue Parteiengesetz nicht ohne Weiteres akzeptieren wollte, müssen jetzt alle Landes- und Bundesparteien ihre Finanzierung ändern. Wobei man zugeben muss, dass die gerechtere Verteilung von Parteisubventionen, wie sie nun angestrebt wird, ein Fortschritt ist. Lopatka: "Pröll ist lösungsorientiert. Er will gestalten –, aber zu seinen Konditionen. Wie einst Josef Krainer will Pröll aktiv in der Bundespolitik mitmachen. Niederösterreich ist ihm zu klein."

Die Macht Erwin Prölls gründet sich nicht zuletzt auf die schiere Größe Niederösterreichs und lässt sich mathematisch darstellen: Niederösterreich stellt mit 1,26 Millionen Wählern 20 Prozent des gesamtösterreichischen Stimmenpotenzials. Zu den 1,27 Millionen Stimmen für die ÖVP bei der Nationalratswahl 2008 steuerte Niederösterreich überproportionale 26 Prozent bei.

Erwin Pröll selbst hat sich bei Landtagswahlen in den 20 Jahren, seit er Landeshauptmann ist, von 44 Prozent Stimmenanteil (1993) auf satte 54 Prozent (2008) hochgearbeitet. In derselben Zeit ist die Bundes-ÖVP von 32 Prozent auf 26 Prozent geschrumpelt (mit Ausnahme des Schüssel’schen Zwischenhochs).

In der Politik gilt nun einmal als einzige harte Währung die Wählerstimme. "Niederösterreich ist ein großer Teil des ÖVP-Stimmengewichts, und die ÖVP-Niederösterreich ist eine kampferprobte Formation. Jeder Bundesparteiobmann weiß, ohne Unterstützung dieser Kampftruppe kann er nichts gewinnen", sagt der Oberösterreicher Michael Strugl , ein versierter Polit-Stratege und früherer ÖVP-Wahlkampfleiter.

Im Klartext: Jeder ÖVP-Chef tut schon wegen der Größe des Landes gut daran, die Niederösterreicher nicht gegen sich aufzubringen.

Und dann kommt noch der Pröll-Faktor ins Spiel. Der lässt sich am besten anhand des folgenden Beispiels schildern: Als Pröll 2003 Landtagswahlen zu schlagen hatte, willigte der damalige ÖVP-Kanzler Schüssel ein, den Niederösterreicher Ernst Strasser zum Regierungskoordinator zu machen. Strassers einziger Auftrag lautete: Nichts, aber schon gar nichts durch den Ministerrat zu lassen, das Erwin Pröll bei der Wahl schaden könnte.

Als dann wenige Monate später Josef Pühringer in derselben Situation war, ließ Schüssel es zu, dass sein Finanzminister Grasser mitten im oberösterreichischen Wahlkampf den größten Arbeitgeber und Leitbetrieb des Landes, die VOEST, verkaufte. Strugl schaudert es noch heute: "Das war ein traumatisches Erlebnis. Die eigenen Leute haben uns vorgeworfen: Der Pröll hätte sich das nicht gefallen lassen." Nicht gerade Furcht, aber doch ein "massiver Respekt vor Erwin Pröll" habe den Unterschied ausgemacht. Jedenfalls habe die ÖVP-Oberösterreich daraus ihre Lehre gezogen. Strugl: "Es kann nicht sein, dass sich nur durchsetzt, wer mit der Faust auf den Tisch haut. Oberösterreich war um den einen Grad verbindlicher und konzilianter, aber nach diesem Erlebnis hat sich auch Josef Pühringer Respekt verschafft."

"Niederösterreich ist ihm zu klein"
Daniela Kittner

"Wenn Erwin Pröll etwas durchsetzen will, schleudert er Blitze mit viel Donner", erzählt der Steirer Lopatka aus seinen Erfahrungen in der Bundespartei. "Man fühlt sich dann auch wie vom Blitz getroffen und muss trachten, wieder auf die Beine zu kommen." Pröll sei "kein Softie", meint Lopatka euphemistisch. Seine Instrumente seien "nicht die Samthandschuhe, sondern der Säbel". Das mache es für die Bundespartei "schwierig, zu regieren".

Mit seiner harten niederösterreichischen Interessenspolitik hat sich Pröll nicht nur Freunde gemacht. Man erinnere sich an die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic , die sich 2004 weigerte, Prölls Bundespräsidentschaftskandidatur zu unterstützen, weil er der Steiermark den Semmering-Tunnel blockierte.

Umso bemerkenswerter ist das Lob, das Lopatka, einer der ehemals engsten Mitarbeiter Klasnics, Pröll heute spendet: "Er ist sehr belächelt worden wegen der Karl-May -Geschichte, dass er nur ein Buch gelesen habe. In Wirklichkeit macht er so viel für Kunst, Kultur und Wissenschaft wie kein anderer Landespolitiker. Da unterscheidet er sich eklatant von den anderen. Er ist sehr nahe dran an Künstlern, Wissenschaftern und Studenten. Und damit ist er nahe an der Zukunft. Das hält ihn jung."

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