Nahost: In der Sprache des Feindes singen

Nahost: In der Sprache des Feindes singen
Rita Yahan-F­oruz bringt Israels Konzerthallen zum Kochen und ist dank Internet auch im Iran ein Star – denn sie singt auf Farsi.

Rita nimmt ihre Zuhörer im Sturm: Wenn sie singt, werden Hallen, Stadien und an diesem Samstagabend auch das alte römische Amphitheater in Caesarea plötzlich zu klein. Ihre Stimme hat alles zwischen Operndiva und Chanson-Hauch. Ihr Körper, der vor 50 Jahren das Licht der Welt erblickte, schreitet und rennt, springt und hüpft – gerade noch rechts, taucht sie auch schon wieder irgendwo links auf. Verharrt Rita ein ganzes leises Lied lang fast unbeweglich, ist es, als beanspruche sie Lufthoheit. Über dem Amphi reicht die bis über die Wolken.

Es ist die Art, wie sie singt. Es ist, was sie singt. Mitten in Israel in der Sprache des bedrohlichsten Feindes: Farsi. Persisch ist aber auch die Sprache ihrer Kindheit. Rita Yahan-F­oruz – so ihr voller Name, den kaum einer kennt – wurde 1962 in Teheran geboren und wanderte mit acht Jahren in Israel ein.

"Sogar meine besten Freunde schüttelten den Kopf, als ich 2009 ankündigte, persische Lieder singen zu wollen." Mit dem Feind singen? Fast so wie mit dem Feind schlafen. Wovon doch jeder heimlich träumt.

Album "My Joys"

Nahost: In der Sprache des Feindes singen

Als dann Ende 2011 ihr Album "My Joys" herauskam, wurde weltweit gerade immer heftiger über die Frage diskutiert: "Iran bombardieren oder nicht?" Es dauerte aber keine drei Monate, und Rita übertraf den von ihr selbst gesetzten israelischen Verkaufsrekord.

Wo Nerven blank liegen, trifft Rita einen Nerv. Und blank liegen sie nicht nur in Israel. In verblüffend kurzer Zeit wurde ihr Album auch unter Exil-Iranern in aller Welt bekannt. Mithilfe spezieller Programme zur Umgehung von Internet-Sperren fand es seinen Weg auch direkt in die Untergrundkultur des Iran. "Mir ist ganz egal, wo du herkommst, wichtig ist nur dein Herz", schreibt ein Anonymus auf Ritas Facebook-Seite, "und das singt wie kein anderes."

In Caesarea singen die meisten mit. Eigentlich tanzen alle mit. "Ich versteh" kein Wort, aber ich kann’s nachsingen", brüllt Ohad seiner Begleiterin zu. Er ist um die 40, ein Ingenieur aus Haifa in Jesus-Latschen. Andere Konzertbesucher tragen italienische Designer-Schuhe und sind zwischen 20 und 60. Rita mögen alle.

Israels erfolgreichste Sängerin seit der Staatsgründung. Erfolgreich auch, weil sie immer wieder neu ankommt. Sie wagt jeden neuen Trend und setzt ihn in Mainstream um. Auch wenn sie Farsi mit Akzent spricht, ihre Songs sind authentisch. Gerade auch, weil sie ihre Kindheitserinnerungen zeitgemäß einkleidet. Mit Israels besten Producern und Instrumentalisten. Mit einem Sound aus Weltmusik von Indien bis in den Balkan. Farsi, aber westlich.

Im Zentrum des achtköpfigen Orchesters und leicht vorgeschoben sitzt Mark Eliahu. Ohne zu erklären, was Saz, Kamanche und Rebab sind (Streich- und Zupfinstrumente, Anm.) – der "Wüstenjunge" mit dem Rasta-Schopf ist "vielsaitig". Er streicht nur eine halbe Sekunde eine seiner Saiten und schon halten vor allem die Zuhörerinnen den Atem an. Ein Klang, der swingt und schluchzt, aber auch wie mit Eisen einen Kontrapunkt halten kann. Von Manhattan bis Aserbaidschan.

"Sonst höre ich gerne Techno," schreibt ein anderer Anonymus, "aber du hast unsere alten Lieder so toll aufgemotzt. Wie neu." Gerade die westliche Interpretation Ritas macht das mit dem Feind Singen so geil. So geil, dass es den iranischen Ayatollahs zwischen Emotion und Zion zu eng wird. Sie wissen selbst: Jede Revolution hat ihre Melodie. Vor etwas über drei Jahren breitete sich die grüne Revolution gegen die islamistische Diktatur digital aus. Vor etwas über drei Jahrzehnten gab es noch kein www. Aber sie selbst sangen noch erfolgreich revolutionäre Lieder.

Heute verbieten sie Musik: "Rita ist nur ein weiterer tückischer Anschlag im weichen Krieg Israels gegen Iran." Genau. Sie zielt auf Köpfe und Herzen der Iraner. "So schöne und gefühlvolle Lieder in Zeiten von Krieg und Willkür zeigen eine berauschende Nähe zwischen Iran und Israel", schreibt ein nicht ganz so anonymer Ali F. aus Schiras, "Allah, groß und barmherzig, gebe Ihnen Glück und Gesundheit."

Jede Mail aus dem Iran wird von Rita selbst gelesen: "Ich freu" mich dann wie ein Kind." Sie liebt die iranische Kultur. "Ich bin doch mit ihr aufgewachsen, sie hat mich geprägt. Schade, dass in Israel und auch in Europa kaum bekannt ist, wie tonangebend die persische Kultur für den gesamten Nahen Osten war und ist."

So gut kennt sie diese Kultur, dass sie sich erst gar keine Mühe macht, als Perserin zu erscheinen: "Persisch habe ich in meiner DNA, zweifellos, aber ich bin Israelin." Grinsend legt sie ihre Hände ineinander, die Finger nach oben gerichtet. "Sehen Sie, dieses Schnipsen mit den Fingern. Für meine Mutter kein Problem. Ich schaff’ das einfach nicht."

Rita vermeidet jeden direkten politischen Bezug. Bombardieren oder nicht? Sie glaubt daran, etwas zu bewirken: "Alle sprechen immer von denen da oben und nicht von uns hier unten. Aber letztlich sind wir es hier unten, die entscheiden."

In Caesarea, wo sogar die Stufengänge besetzt sind, ist die Entscheidung an diesem Samstagabend längst gefallen. Auf einer der Stufen sitzt Fahed aus Jissr al-Sarka, der arabischen Stadt am Meer, deren Lichter vom Amphi aus zu sehen sind. Auch er – Disco-Alter, Disco-Look – zuckt im Rhythmus mit: "Was heißt hier iranische Bombe? Rita ist die iranische Bombe! Und längst eingeschlagen."

Musik kennt auch in Nahost keine Grenzen

Kriegsstimmung in Nahost? Sofort lauscht die ganze Welt. Herrscht aber einmal Stimmung, hört die Welt kaum zu. Auch wenn sie meist mit toller Musik gemacht wird. Rita ist nicht die Erste und nicht die Einzige.

Vor drei Jahren beim Unirock-Festival in Istanbul trieb es sogar harten Metallic-Rockern Tränen in die Augen. Tausende Türken, Libanesen, Ägypter und Iraner sangen mit, als die israelische "Orphaned Land" den Metallic-Fans aus ganz Nahost einheizte. Für 50 Fans aus Iran nahm sich die Band ein Time-out hinter der Bühne: Jeder erhielt sein eigenes Erinnerungsfoto. Viele schwenkten dabei die Fahne der Islamischen Republik.

Internet erleichtert den Kontakt. Aber schon lange vor der digitalen Revolution stand in den 1970er-Jahren Israel am Freitagnachmittag still. Lange vor der Sabbat-Ruhe. Kaum ein Haus, auch die mit Jiddisch als Umgangssprache, in dem nicht ein arabischer Schnulzenfilm im Fernsehen lief: Orientalen lieben unglückliche Lieben. Freitags lag Israel im Orient. Schnupftuch und persische Pistazien lagen auf dem Wohnzimmertisch. Umgekehrt liefen damals in Libanon israelische Songs im Radio, falls nichthebräische Versionen vorlagen.

Star der ägyptischen Filme war Umm-Kulthum, die Maria Callas vom Nil. Ihre Lieder sind Klassik und heute in einer Neuinterpretation berühmt – gesungen von Sahava Benn, einer israelischen Sängerin, die als Kind aus Marokko einwanderte.

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