„Mehr Geld für Brennpunktschulen“
Österreichs Bildungssystem muss besser werden. Doch wie? Diese Debatte wird meist ideologisch geführt, kritisiert der Wissenschaftler Stefan Hopmann.
KURIER: Die einen befürworten die Gesamtschule, die anderen verteidigen das Gymnasium. Wer hat nun recht?
Stefan Hopmann: Keiner. Die Gesamtschule führt nicht zu mehr Chancengerechtigkeit. Und das Gymnasium war auch historisch nie die Begabtenschule, sondern die Gesamtschule des Bürgertums. Hier wurde das kulturelle Kapital des Bürgertums vermittelt. Die Kinder lernen dort lesen, viel über Kunst, Gesprächskultur usw. Alles Dinge, die heute noch den AHS-Lehrplan bestimmen. Als die Sozialisten in den 1920er-Jahren "Bildung für die Massen" forderten, wollten sie kein anderes Schulsystem. Sie wollten Zugang zur bürgerlichen Bildung.
Ist das Gymnasium also noch heute die Schule des Bildungsbürgertums?
Ja. Für einen Akademiker kommt nur die AHS als Schule für sein Kind infrage. Das zeigt auch die Statistik: Mit jeder Schulstufe steigt dort der Anteil der Mittel- und Oberschichtkinder.
Könnte man das verhindern, indem man die Klassen von vorneherein stärker sozial durchmischt?
Nein. Eine Zwangsintegration hat noch in keinem demokratischen Land auf der Welt funktioniert. In Deutschland hat man z. B. versucht, die Schulsprengel neu zu organisieren, damit es zur sozialen Durchmischungen kommt. Was ist passiert? Die Eltern sind weggezogen. Oder: Wer in Finnland eine Wohnung sucht, der schaut zuerst, ob die Schule in der Gegend gut genug für sein Kind ist.
Warum reagieren Eltern so?
Das hat soziologische Gründe: Eltern wollen ihren Vorsprung durch Bildung reproduzieren. Wenn ihnen die Schule das verweigert, holen sie sich diesen Vorsprung anderswo. Sie geben ihre Kinder in eine Privat-, Montessori- oder internationale Schule. Machen alle Schüler Matura, geht ihr Kind auf die Uni. Gehen alle auf die Uni, geht ihr Kind nach Harvard. So wird Bildung einigermaßen vererbt.
Dennoch schaffen in anderen Ländern mehr junge Menschen den Aufstieg durch Bildung als in Österreich. Was machen die Länder besser?
Ganz einfach: Wer Chancengleichheit ermöglichen will, muss Schulen ungleich behandeln.
Was heißt das konkret?
Die finanziellen Mittel des Staates sind begrenzt. Die optimale Schule für jedes Kind ist nicht finanzierbar. Deshalb sollte er in die Kinder mehr investieren, die aus kognitiven, sprachlichen, kulturellen Gründen die Schule nicht schaffen. Und zwar während deren gesamter Schullaufbahn. Aus wissenschaftlicher Sicht heißt die Lösung: mehr Geld für Schulen in Brennpunktzonen.
Warum setzt sich keiner für die Umverteilung der Bildungsressourcen ein? Warum wird die Gesamtschule propagiert?
Nicht nur ÖVP, auch SPÖ und Grüne rekrutieren sich heutzutage im Wesentlichen aus dem Bürgertum und wollen diesem keine Einschnitte zugunsten anderer gesellschaftlicher Gruppen zumuten. Da die Gesamtschule die Ungleichverteilung der Bildungschancen nicht mehr so deutlich nach draußen verdeutlicht wie ein gegliedertes Schulsystem, erscheint sie dann oft als bessere Lösung.
Wer trägt die Konsequenzen dieser Politik?
Langfristig alle, auch bürgerliche Kinder. Denn Schulversager verursachen hohe Folgekosten für den Staat – im Sozialbudget, im Gesundheitswesen, in der Justiz.
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