"Lehrer sind zu oft Einzelkämpfer"

Wer aus einem bildungsfernen Elternhaus stammt, liest schlechter.
Schule der Zukunft: Bildungspsychologin Christiane Spiel spricht über Direktoren als Manager, Lehrerteams und fleißige Mädchen.
"Lehrer sind zu oft Einzelkämpfer"

Sie weiß, wie Kinder am besten lernen. Die Professorin für Bildungspsychologie Christiane Spiel hat zu diesem Thema viel geforscht. Und sie weiß, wie eine Schule aussehen muss, die die Kinder auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet.

KURIER: Die Pädagogischen Hochschulen (PH) waren im Sommer oft in den Schlagzeilen. Dabei ging es immer um die Besetzung der Rektorenposten. Kein Thema war, was angehende Lehrer lernen sollten. Was müssen Pädagogen in Zukunft können?

Christiane Spiel: Die Lehrerausbildung hält derzeit nicht Schritt mit dem, was die nächste Generation braucht. So werden Lehrer zum Beispiel oft noch immer als Einzelkämpfer betrachtet. Wie Studien zeigen, erzielen jedoch Lehrer, die im Team arbeiten, viel bessere Erfolge bei Schülern. Wie man erfolgreich im Team arbeitet, muss daher auch Teil der Ausbildung sein. Das heißt: Wie man den Unterricht und die Sicherung von Lernergebnissen gemeinsam gestaltet, wie man Kinder individuell fördert und unterstützt. Dabei sollte es zu einer Selbstverständlichkeit werden, dass Lehrer Kollegen um Rat fragen, wenn sie bei einem Schüler nicht weiter wissen.

Lehrer müssen aber nicht nur Stoff vermitteln, sie sind häufig auch Erzieher.

Ja, sicher, und sie sollen auch Werte und Grundhaltungen vermitteln. Auch hier ist es wichtig, dass Pädagogen als Team gemeinsam festlegen, wie sie sich verhalten bzw. auf das Verhalten von Schülern reagieren. So wissen wir aus Studien, dass unterschiedliche Reaktionen von Lehrkräften auf Gewalt bei Schülern die Gewalt verstärkt. Zusätzlich sind Lehrer auch immer Vorbilder. Die Art, wie sie im Team zusammenarbeiten, färbt auf die Kinder ab: Sind sie selbst pünktlich und zuverlässig? Wie gehen sie mit Rückmeldungen von Schülern oder Kollegen um? Zweifellos erfordert eine Teamarbeit von Lehrern auch ein gewisses Management.

Stichwort Management – da sind wir bei der Rolle des Direktors. Sollte er eine spezielle Ausbildung haben?

Momentan hat ein Direktor leider nicht das Pouvoir, das nötig wäre, um eine Schule so zu leiten, wie es eigentlich wünschenswert und effektiv wäre. Er kann sich sein Personal nicht aussuchen und hat zu wenig Ressourcen, um mit den Mitarbeitern regelmäßig Gespräche zu führen, wie es z. B. an den Universitäten längst etabliert ist. Schlimmer noch: Er kann die Kollegen nicht einmal zu diesem Gespräch verpflichten.

Auch organisatorisch kann ein Direktor wenig entscheiden: Bei der Erstellung des Budgets, bei der Zukunftsplanung etc. sind die Spielräume sehr eng. Wünschenswert wäre, dass jeder Direktor zuvor eine Ausbildung macht, etwa einen entsprechenden Master.

Kehren wir zurück zu den Schülern. Was müssen sie in der Schule lernen?

Die Berufswelt wird sich künftig immer schneller verändern. Deshalb müssen Schüler Strategien lernen, wie sie sich ihr Leben lang erfolgreich Neues aneignen können. Gleichzeitig sollte auch ihr Interesse am Neuen in der Schule gefördert werden. Neues lernen darf für sie keine Bedrohung, sondern sollte eine Herausforderung sein. Zeit- und Ressourcen-Management, die Fähigkeit, sich selbst richtig einzuschätzen – all das sollte ein Schüler können. Lerncoaching müsste deshalb ein integraler Bestandteil des Unterrichts sein.

Beim Medizinertest werden Frauen bevorzugt. Was ist da vorher schiefgelaufen? Warum erhalten Mädchen, die den Stoff nicht beherrschen, gute Schulnoten?

Gemäß dem Schulunterrichtsgesetz zählt für die Note nicht nur die Leistung. Auch die Mitarbeit und die Arbeitshaltung fließen in die Note mit ein. Es gibt keine klare Leitlinie, was wie gewichtet werden soll. Das führt dazu, dass in Österreich die Notengebung die Geschlechterstereotypen widerspiegelt. Das hat auch eine aktuelle Befragung von Lehramtsstudenten gezeigt. Die angehenden Lehrer meinten, Mädchen bekommen gute Noten, wenn sie fleißig sind, Buben hingehen, weil sie den Stoff beherrschen. Wenn der Lehrer Schülerinnen bereits so gegenübertritt und sie entsprechend verstärkt, wird seine Erwartung auch erfüllt werden im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Mädchen sind strebsam und erwarten dafür gute Noten. Leider wird in Österreich kein Diskurs darüber geführt, was genau und in welcher Form in eine Note einfließen soll.

Jetzt wurden Bildungsstandards eingeführt, die Leistungen vergleichbarer machen könnten.

Das ist sehr begrüßenswert. Doch es wäre besser gewesen, Minimalstandards festzulegen und abzuprüfen. Das wäre für den Arbeitsmarkt viel klarer.

Viele Lehrer sehen die Standards als Bedrohung an.

In Österreich ist in den Schulen keine systematische Bewertungskultur etabliert. Verständlicherweise sehen Lehrer daher die Bildungsstandards als Bedrohung, weil damit auch ihre Arbeit bewertet wird, auch wenn die individuellen Ergebnisse ja nicht weitergeleitet werden. Der Umgang mit standardisierten Tests und die Entwicklung einer evaluativen Grundhaltung sollten daher ebenfalls Elemente einer neuen Lehrerbildung sein. Auch wenn einzelne Lehrer und Schulen hier bereits Vorreiter sind, ist es leider nicht verpflichtend. Generell wird in den Schulen zu sehr auf Freiwilligkeit gesetzt. Da besteht auch die Gefahr der Beliebigkeit.

Das zeigt sich auch in Wien. An manchen Hauptschulen ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Lehrer keine Fünfer geben dürfen.

Ist das so? Das kann ich nicht bestätigen. Wenn dem so ist, ist das schlimm. Damit nimmt man den Schülern jede Motivation zu lernen. Es ist schlecht für den beruflichen Werdegang, wenn Kinder das Gefühl haben, nicht fair benotet zu werden. Fairness ist für Schüler nämlich ausgesprochen wichtig. Merken Schüler, dass Noten "geschenkt" werden, warum sollten sie sich dann anstrengen?

Zur Person: Christiane Spiel

Biografie: Ursprünglich war Spiel AHS-Professorin für die Fächer Mathematik und Geschichte. Nach der Geburt ihrer Kinder war sie Assistentin am Institut für Psychologie an der Uni Wien. Danach wechselte sie nach Berlin und Graz. Seit März 2000 ist sie Professorin an der Uni Wien und leitet den Fachbereich Bildungspsychologie.

Forschung: Spiel ist im Vorstand vieler nationaler und internationalen wissenschaftlichen Vereinigungen. Ihre Forschungsprojekte liegen in den Bereichen Optimierung der Schule als Bildungssystem, Bildungs- und Berufskarrieren. Ihr Credo: "Wir müssen alle Lehrkräfte befähigen, Kindern vermitteln zu können, wie man lernt."

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