Landau: "600 Kinder überfordern Bund"
Österreichs Asylpolitik steht weiter im Fokus der Kritik: 600 Minderjährige sitzen derzeit im überfüllten Erstaufnahmelager Traiskirchen fest, weil sich sieben Bundesländer bisher weigerten, die Asylquote zu erfüllen. Die Regierung lud am Dienstag zum großen Gipfel. Maßnahmen wurden geschnürt, "doch es sind nicht genug", klagt Landau.
KURIER: Ein minderjähriger Flüchtling wurde ohne Geld vor die Tür des Lagers Traiskirchen gestellt (siehe Artikel hier). Er lebte tagelang auf der Straße, bis er bei Ihnen in Wien Unterschlupf fand. Herr Landau, ein Einzelfall?
Michael Landau: Nein, das ist kein Einzelfall. Immer wieder werden Menschen unversorgt auf die Straße gestellt. Hier erhielt ein Minderjähriger, der weder schreiben noch lesen kann, nichts als einen Zettel, auf dem stand, er soll sich an die Caritas wenden. Das ist empörend und verantwortungslos. Der Bund hat die Pflicht, für Flüchtlinge eine Betreuung sicherzustellen. Stattdessen greift die Republik in die Taschen der Spender.
In Traiskirchen sind derzeit knapp 600 minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Ist das zu verantworten?
Nein. Kinder gehören nicht in Großlager. Beim Asylgipfel wurde verabsäumt, eine verbindliche Regelung für Minderjährige zu schaffen. Klar ist: Kinder und Jugendliche sind in Containern und Kasernen schlecht aufgehoben.
Außer Wien und Niederösterreich hat bisher kein Bundesland die Asylquote erfüllt. Was ist dazu zu sagen?
Ich erwarte mir, dass alle Länder gegebene Vereinbarungen einhalten. Es kann nicht sein, dass NÖ und Wien für alle die Aufgaben erledigen. Aber auch der Bund muss seinen Beitrag leisten.
Wo sehen Sie den Bund gefordert?
Seit 2004 sind die Tagsätze im Bereich der Grundversorgung nicht valorisiert worden. Zwar wurde eine Erhöhung zugesagt, doch der inflationsbedingte Verlust wird bei Weitem nicht wettgemacht – bei Kindern noch weniger als bei Erwachsenen. In keinem anderen Bereich wäre das denkbar.
Was muss passieren?
Der Gipfel war ein erster Schritt, weitere müssen folgen. Kinder und Jugendliche brauchen Zugang zur Bildung. Sie müssen raus aus Großlagern und Jugendliche sollten nach sechs Monaten arbeiten dürfen. Es kann nicht sein, dass 600 Kinder die Republik überfordern.
Was sagt das Schicksal des jungen Afghanen, der vor die Tür gesetzt wird, über das österreichische Asylwesen im Jahr 2012 aus?
Im Asyl- und Fremdenrechtsbereich wird Menschlichkeit nach wie vor sehr kleingeschrieben. An dieser Stelle muss aber klar gesagt werden: Flucht ist kein Verbrechen.
Minderjähriger vor Tür gesetzt
Er schlief sechs Tage im Freien. Irgendwo in Traiskirchen. Er übernachtete in Parks und auf Bahnhöfen. Irgendwo in Wien. Erst dann fand Yayha H. Unterschlupf bei der Caritas. Das Schicksal des 17-jährigen Afghanen, der zum Asylverfahren zugelassen ist, stellt den heimischen Behörden ein verheerendes Zeugnis aus. Nach einem Streit im überfüllten Flüchtlingslager Traiskirchen wurde H. von der Polizei vor drei Wochen vor die Tür gesetzt. Ohne Geld, mit nichts als einer kleinen Sporttasche und einem Zettel, auf dem auf Deutsch stand, H. möge sich bei der Caritas in Wien melden. Das Problem: H. kann weder lesen noch schreiben. "Hier geschah, was nie hätte geschehen dürfen", sagt Klaus Schwertner von der Caritas Wien. "Und es geschah nicht zum ersten Mal." Schon öfter seien Jugendliche auf die Straße gestellt worden. Schon öfter hätte die Caritas mit Spendengeldern einspringen müssen, wo eigentlich der Bund zuständig wäre. "Wir haben schon vor einem Jahr darauf hingewiesen, dass die Entlassung von Jugendlichen ohne Sicherung einer altersgerechten Unterbringung gesetzeswidrig ist. Dies widerspricht allen rechtlichen, aber auch allen menschlichen Mindestanforderungen." Sowohl das Ministerium als auch die Jugendwohlfahrt wurden in einem Brief zum Handeln aufgefordert.
Yayha, der in Afghanistan seinen Vater und zwei Brüder verlor, sagt: "Ich habe Angst, abgeschoben zu werden. Ich will nur ein normales Leben führen."
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