Kunstfehler: Rekordsumme für blinden Buben

Kunstfehler: Rekordsumme für blinden Buben
Die Kontrolle im Spital versagte, das Kind bleibt blind. Das Gericht sprach ihm 165.000 Euro Schmerzensgeld zu.

An diesem Tag, es war der 11. November 2005, sollte der vierte Geburtstag der Tochter gefeiert werden. Da erfuhr Familie A., dass der drei Monate zuvor geborene Sohn Lukas (Name von der Redaktion geändert, Anm.) blind ist und für immer blind bleiben wird.
"Unsere Welt ist zusammengebrochen", sagt Herr A. im Gespräch mit dem KURIER. "Wir waren überhaupt nicht darauf vorbereitet, was das bedeutet." Erst nach und nach wurde klar: Lukas kann nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden, er wird seine Eltern nie lachen sehen, jedes Geräusch löst Stress und Angst aus, weil er es nicht einordnen kann.

Lukas war eine Frühgeburt, kam in einem Vorarlberger Krankenhaus mit Kaiserschnitt auf die Welt und musste künstlich beatmet werden. Das geschieht mit Druck, dabei können kleine Adern platzen, und so etwas passierte in Lukas' Augen.

Der Oberarzt ordnete eine engmaschige Kontrolle an, dann ging er auf Urlaub. Die Kollegen nahmen es nicht so genau. Die Eltern drängten bei den Visiten darauf, dass die Augen untersucht werden, doch sie wurden immer wieder vertröstet. 21 Tage lang.

Inzwischen löste sich - wie man nun weiß - die Netzhaut in den Augen des Neugeborenen ab. "Von einem Tag auf den anderen wurde uns dann zwischen Tür und Angel mitgeteilt, dass eine Notoperation gemacht werden muss." Lukas wurde dafür nach Innsbruck gebracht, aber die Operation musste nach zweieinhalb Stunden wegen Erfolglosigkeit abgebrochen werden. "Da ist nichts mehr zu richten", sagten die Ärzte zu Herrn A.

Ein Gerichtsgutachten ergab, dass bei rechtzeitiger Kontrolle und Behandlung zumindest eine Sehschärfe von 20 bis 40 Prozent hätte erhalten werden können. "Bei 30 Prozent kann man sich mit Brillen frei bewegen und sieht zum Beispiel Stufen. Bei 50 Prozent kann man sogar den Führerschein machen", sagt der Vater. Er will keinen Arzt schlecht machen, aber das Kontrollsystem im Spital macht er verantwortlich.

Ein blindes Kind benötigt einen durchschnittlichen Pflegeaufwand von fünf Stunden täglich, und dieser Aufwand besteht lebenslang. Die Familie A. musste ihr Leben komplett umstellen und forderte vom Krankenhaus in Lukas' Namen 200.000 Euro Schmerzensgeld sowie Pflegekostenersatz. Das Krankenhaus wollte nur 50.000 Euro zahlen, mit dem Argument: Von Anfang an nicht zu sehen sei psychisch leichter zu ertragen als später zu erblinden. Es ist eher umgekehrt: Eine Psychologin erklärte im Prozess, dass die soziale und kognitive Entwicklung bei blinden Kindern gestört wird, weil Kinder über den Sehsinn lernen.

Lächeln

Der Anwalt Markus Hagen aus Feldkirch sagt: "Eine Mutter lächelt in den Kinderwagen und beruhigt ihr Kind. Das geht hier nicht." Hagen begleitete die Familie mit der für österreichische Verhältnisse hohen Forderung durch den jahrelangen Instanzenzug bis zum Obersten Gerichtshof - mit Erfolg.

Die höchste je zugesprochene Summe von 218.000 Euro bekam 2001 ein damals 21-jähriger vollkommen gelähmter Mann, der nach einem Unfall bis an sein Lebensende künstlich beatmet werden muss und nur die Finger der rechten Hand bewegen kann.
106.000 Euro wurden einer 17-Jährigen zuerkannt, die erblindet ist sowie Geruchs- und Geschmackssinn verloren hat.

Dem blinden Lukas sprach das Höchstgericht 165.000 Euro (plus Pflegekostenersatz) zu, das ist im Vergleich eine Rekordsumme. Und hat für Herrn A. gezeigt: "Es lohnt sich, zu kämpfen. Wir wollten für unseren Sohn das Beste herausholen. Und es soll ein Präzedenzfall für andere sein." Nun will die Familie den Buben "ganz normal aufwachsen sehen", so gut es eben geht.

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