Kontinente: Und sie bewegen sich doch

Wissenschaft: Vor exakt 100 Jahren stellte Alfred Wegener seine Theorie der Kontinentalverschiebung vor – und wurde zuerst verlacht.

Alles Schiebung ..., Fieberfantasien ..., Märchenerzähler ...“. „Einer gegen alle“, hieß es am 6. Jänner 1912 auf der Jahresversammlung der Geologischen Vereinigung in Frankfurt. Der eine (Alfred Wegener) hatte eben einen Vortrag „Neue Ideen über die Herausbildung der Großformen der Erdoberfläche auf geophysikalischer Grundlage“ vor seinen Wissenschaftler-Kollegen gehalten.

Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich nicht weniger als die Geburtsstunde der Kontinentalverschiebungstheorie: Die Kontinente seien nicht fest in der Erdkruste verankert, sondern bewegen sich, postulierte der junge deutsche Wissenschaftler vor exakt 100 Jahren.

Gut, neu war die Idee nicht: „Bereits im 16. Jahrhundert stellten holländische Kartografen beim Globen-Zeichnen fest, dass Südamerika und Afrika ganz gut zusammenpassen“, erzählt Bernhard Hubmann, vom Institut für Geologie und Paläontologie an der Universität Graz, wohin Wegener 1924 berufen wurde.

Urkontinent Pangea

Kontinente: Und sie bewegen sich doch

Auch Alexander von Humboldt und Benjamin Franklin machten sich ihre Gedanken über das Offensichtliche. Aber erst Wegener zog die richtigen Schlüsse und studierte Karten des Erdinneren, sagt Hubmann. „Und die passen noch besser zusammen. Vor vielen Millionen Jahren habe es auf der Erde eine zusammenhängende Landmasse gegeben – den Urkontinent Pangaea. Er ist auseinandergebrochen, seine Teile haben sich über den Globus bis zu ihrer aktuellen Lage verschoben. Die Kontinente würden seither als Bruchstücke auf einer plastischen Gesteinsschmelze schwimmen.

Die Kollegen nahmen Wegener nicht ernst, denn seine Theorie der Kontinentaldrift ist fernab der Geologie entstanden, mutmaßt Hubmann: „Da kommt ein Kerl daher, der eigentlich ein Meteorologe ist, und will etwas darüber erzählen, dass Kontinente nicht starr sein sollen.“

Aber gerade das scheint Wegeners Pluspunkt gewesen zu sein: Er beschäftigte sich mit dem Auseinanderreißen und Fusionieren von Wolken; auf seinen Grönland-Expeditionen beobachtete er das Brechen und Schwimmen von Eisbergen. Könnte dasselbe nicht auch mit Kontinenten passieren?, fragte sich der damals 31-jährige Meteorologe, Physiker und Polarforscher.

Kein Zweifel

In den folgenden Jahren suchte er intensiv nach Beweisen für seine Theorie – nach dem Motor hinter dem Phänomen, das wir heute live etwa im ostafrikanischen Graben beobachten können, wo der afrikanische Kontinent bricht. „Spott und Ablehnung kümmerten ihn wenig“, sagt der Wissenschaftshistoriker Reinhard Krause. Die Erkenntnisse der kommenden Jahrzehnte sollten ihm recht geben. Krause nennt Wegener daher den Kopernikus der Geowissenschaften: „Wegener hat das Bild der Erde revolutioniert. “

Übereinstimmungen der Flora und Fauna auf verschiedenen Kontinenten stützten Wegeners These der Kontinentaldrift. „Wenn ich in Südamerika und Afrika Schmetterlinge habe, die sich ähnlich sind, dann kann ich nicht davon ausgehen, dass diese über den Atlantik geflogen sind“, sagt Krause. Auch geologische Gleichartigkeit half: „Man wusste, ich finde Gesteine in Südamerika und ähnliche Schichtungen zum Beispiel in Afrika.“ An vielen Orten auf der Welt gibt es auch Ablagerungen, die nur in tropischen Gewässern entstanden sein konnten – ein klarer Hinweis auf die Wanderung der Kontinente.

Brüchige Lehrmeinung

Die damals vorherrschende Lehrmeinung erklärte sich diese Phänomene damit, dass es Landbrücken zwischen den fest verharrenden Kontinenten gegeben haben müsse, die irgendwann untergegangen seien.

Alfred Wegener hatte damals eigentlich gar keine Chance, seine Hypothese zu beweisen, weil man die Technologie noch nicht hatte“, sagt Wilfried Jokat, Geophysiker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). Heute lässt sich mit sehr genauen Messverfahren nachweisen, dass die Kontinente sich mit ihren Erdplatten um einige Millimeter im Jahr bewegen, angetrieben von Kräften unterhalb der festen Erdkruste. So wird zum Beispiel der Atlantik breiter, am mittelatlantischen Rücken bildet sich neuer Ozeanboden. Wo Kontinentalplatten aufeinandertreffen, entstehen Faltengebirge. Die Alpen sind ein Beispiel dafür.

An Kollisionsstellen wird Gestein auch in die Tiefe gedrückt. Dort gibt es regelmäßig Erdbeben und viele Vulkane, etwa am Feuergürtel rings um den Pazifik. Letztes dramatisches Beispiel: das Erdbeben in Fukushima. „Afrika schwimmt Richtung Norden, schiebt das Mittelmeer zu und türmt gleichzeitig ein Gebirge auf“, sagt Bernhard Hubmann. „Irgendwann wird es dann Pangaea ultima geben“, prophezeit der Geologe. Aber bis dahin werden noch mindestens 150 Millionen Jahre vergehen.

Zur Person: Alfred Wegener

Neues Weltbild 1880 in Berlin geboren, veränderte Alfred Wegeners „Theorie der Kontinentalverschiebung“ unser Weltbild vollständig: Die zuvor in ihrer Lage als fix angenommenen Ozeane und Landmassen wichen der Vorstellung von in Raum und Zeit sich ständig verändernden Zustandsbildern der Erde.

Lebensweg Wegener hatte Naturwissenschaften, insbesondere Astronomie und Meteorologie, studiert. 1906 brach er zu seiner ersten (von insgesamt vier) Grönland-Expedition auf. Von seiner letzten (1930) sollte er nicht mehr zurückkehren. In der Zwischenzeit lehrte er in Marburg, Hamburg und Graz.

Privat Alfred Wegener war verheiratet und hatte drei Töchter, die jüngste, Lotte, war mit dem österreichischen Alpinisten und Dalai-Lama-Freund Heinrich Harrer verheiratet.

Nachrede 1999 wählte das Nachrichtenmagazin Time Alfred Wegener unter die „100 The Century`s greatest Minds“ des 20. Jahrhunderts.

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