Kirchenkrise auf dem Höhepunkt

Kirchenkrise auf dem Höhepunkt
Die katholische Kirche in Österreich verliert nicht nur immer mehr gläubige Anhänger. Ihr gehen auch die Priester aus. Kirchen-Organisationen drängen auf Reformen.

Der eine tritt zurück, weil er überfordert ist und mit dem Reformunwillen vonseiten des Vatikans nicht mehr kann. Der andere gesteht vor versammelter Kirchengemeinde seine Liebe zu einer Frau und legt damit ebenso sein Priesteramt nieder.

Die Priester Ronald Waibel (Dornbirn) und Andreas Geisler (Zams) bescheren der katholischen Kirche in Österreich den nächsten Aufreger. Erst im April dieses Jahres erlangte das beschauliche Örtchen Stützenhofen im Weinviertel Berühmtheit, weil der Pfarrer in seiner Gemeinde keine homosexuellen "Sünder" wollte und dessen ehemalige Geliebte sich dann beim KURIER meldete.

Kirchenkrise auf dem Höhepunkt

Das Bekanntwerden der beiden aktuellen Fälle in Vorarlberg und Tirol ist für Kirchen-Organisationen ein gefundenes Fressen, um in Sachen Reformierung Druck zu machen. "Es ist eine neue Stufe erreicht", sagt Peter Hurka, der Vorsitzende der Plattform Wir sind Kirche. "Die Kirchenkrise ist auf ihrem Höhepunkt."

Schuld daran sei das "Spannungsverhältnis", in dem die Priester heute leben müssen: "Tagtäglich müssen Priester ihre Kirchenordnung vertreten, die für die Menschen so nicht mehr passt", ärgert sich Hurka. Frauen dürften keine entscheidenden Aufgaben in der Kirche übernehmen, Geschiedene werden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, Liebesbeziehungen verboten. "Dann muss ich mich entscheiden: Entweder ich breche aus, weil ich den Gehorsam nicht mehr ertrage oder ich lerne, mit dem Leid zu leben", sagt Hurka

Hausgemachte Misere

Kirchenkrise auf dem Höhepunkt

2005 gab es in Österreich 2407 Priester. Fünf Jahre später waren es nur noch 2289 (siehe Grafik) .

Immer weniger junge Männer entscheiden sich für ein eheloses, von Rom diktiertes Leben. Heuer wurden nur noch 28 Priester geweiht, im Vorjahr waren es 39. "Natürlich gibt es einen Priestermangel", sagt der Theologe Paul Zulehner. Und der sei hausgemacht. "Wir haben wesentlich mehr Berufungen zum Amt als Zulassungen. Pastoralassistenten etwa, oder Diakone und Frauen", sagt Zulehner. Indem die Kirche aber nur unverheiratete Männer Priester werden lasse, schaffe sie einen Mangel.

Deshalb müssten Pfarrgemeinden oft zusammengelegt werden und deshalb seien die Pfarrer oft so überfordert. Die Rücktritte in Vorarlberg und Tirol passen genau in dieses Bild: "Rücktritte hat es schon immer gegeben. Neu ist, dass die Entscheidungen öffentlich gemacht werden. Und ich muss sagen: Ich finde das nicht schlecht."

So geht es auch Helmut Schüller, dem Vorsitzenden der Pfarrer-Initiative, deren Aufruf zum Ungehorsam bereits mehr als 400 Pfarrer gefolgt sind. "Natürlich ist es eine Bestätigung für unser Tun. Aber das ist kein Ungehorsam, das waren persön­liche Entscheidungen."

Mit dem Ruf nach einer Aufhebung des Pflichtzölibats trifft er auch in Vorarlberg auf Gleichgesinnte. "Den Zölibat vom Priesteramt zu entkoppeln, damit könnte ich gut leben", sagt der Pastoralamtsleiter von Feldkirch, Walter Schmolly. Auch mit weiblichen Priestern hätte er "kein Problem". Nur entscheiden kann er es nicht.

Der kürzlich verstorbene, frühere Kardinal Carlo Maria Martini, hat vor seinem Tod zu einer Modernisierung der Kirche aufgerufen. In seinem letzten Interview sagte er: "Die Kirche ist 200 Jahre hinter ihrer Zeit. Warum wachen wir nicht auf? Haben wir Angst?"

Kirchenkrise auf dem Höhepunkt

Auszeit und Neuorientierung für Ex-Seelsorger

Am Freitag holte Andreas Geisler nach dreieinhalb Jahren als Kooperator im Tiroler Zams sein Auto beim Pfarrhaus ab.

Aufgewühlt und nur mit dem Nötigsten war er abgereist, nachdem er sich bei den Gottesdiensten in Schönwies und Zams am letzten Wochenende zu einer Frau bekannt hatte.

Sein letzter Kurzbesuch blieb von vielen unbemerkt, nicht einmal Pfarrer Herbert Traxl sah ihn. "Es geht ihm jetzt etwas besser, aber man muss ihn noch schonen", sagt Traxl. "Emotional ist ja viel auf ihn zugekommen." Auch mit der "Welle an medialer Wahrnehmung", die auf Geisler zukam, habe dieser nie gerechnet.

Umso positiver waren die Reaktionen auf sein "Outing" in der Pfarre. Ab Mitte September will sich Geisler in einem Haus der Jesuiten in der Schweiz eine dreimonatige Auszeit nehmen.

Ronald Waibel, der ebenfalls am Sonntag sein Amt niedergelegt hatte, wurde nach 27 Jahren als Seelsorger von der Diözese Feldkirch dienstfrei gestellt. Er will sich weiter als Christ engagieren und deshalb auch nicht aus der Kirche austreten. Die Diözese unterstützt ihn während der beruflichen Neuorientierung. Waibel plant eine Ausbildung zum Alten- oder Krankenpfleger. – Gertraud Walch

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