Kein Schadenersatz für Unschuldigen

Kein Schadenersatz für Unschuldigen
704 Tage saß ein damals 18-Jähriger zu Unrecht in Haft. Jetzt kämpft sein Onkel gegen die Bürokratie an.

Es war vor sieben Jahren, als der damals 18-jährige Reinhard Schachner aus Donnersbach in der Steiermark von einer Freundin beschuldigt wurde, sie jahrelang missbraucht zu haben. Im Oktober 2006 wurde der junge Mann angezeigt. Als er von Experten aus Graz vernommen wird, legt er ein Geständnis ab.

"Er sagt immer Ja, wenn er unter Druck gesetzt wird", erklärt der Onkel des heute 26-Jährigen, Hermann Schachner aus Mödling. Seit seiner Kindheit leide der Neffe an einer Sprachhemmung. "Die örtlichen Polizisten hätten das gewusst, aber es mussten ja Experten aus Graz kommen und mit ihm sprechen", ärgert sich der Onkel heute.

Die Fragen der Polizisten habe der 18-Jährige nicht verstehen können. Ein Gerichtsgutachten bescheinigt dem Beschuldigten eine "unterdurchschnittliche intellektuelle Begabung", der junge Mann wirke "verlangsamt, wortkarg und reagiert auf Fragen verzögert".

Doch der damalige Pflichtverteidiger des jungen Angeklagten soll das Gericht nicht auf die Sprachhemmung seines Mandanten aufmerksam gemacht haben. "Seine Mutter und ich wurden auch aus dem Saal verwiesen, obwohl es möglich ist, dass Familienmitglieder auch bei nicht öffentlichen Verhandlungen dabei sind", erzählt Hermann Schachner. Und so sei alles schiefgegangen. Das Urteil lautete auf zwei Jahre Haft und Einweisung in die Haftanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher in Wien-Mittersteig.

Exakt 704 Tage war Reinhard Schachner inhaftiert, wurde von Mithäftlingen zusammengeschlagen und getreten. Ihm wurden Rippen und Jochbein gebrochen. Mithäftlinge haben auf den jungen Mann uriniert. Dem Onkel wurde das zu viel: "Ich habe mich dahintergeklemmt, ich wollte Licht in die Sache bringen", erzählt der Mödlinger. "Aber die Behörden haben gemauert, das Verfahren war bereits abgeschlossen."

Wiederaufnahme

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Schachner stellt dennoch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Bei der Verhandlung gibt das vermeintliche Missbrauchsopfer plötzlich an: "Ich kann mich nicht mehr erinnern. Es ist alles schon so lange her." Und weiter: "Dass ich nunmehr keine Angst mehr vor Reinhard habe und dass es aus meiner Sicht okay wäre, wenn er aus der Haft entlassen würde."

Reinhard Schachner kommt noch am selben Tag aus dem Gefängnis. Bei der zweiten Hauptverhandlung wird er von allen Vorwürfen freigesprochen. Für die unrechtmäßig abgesessenen Tage im Gefängnis könnte der Mann pro Tag zwischen 100 und 120 Euro Haftentschädigung, also insgesamt mehr als 70.000 Euro, geltend machen. Doch die Finanzprokuratur weigert sich, eine Entschädigung auszuzahlen. Auf Anfrage des KURIER hieß es, zu dem Fall könne man keine Stellungnahme abgeben.

Auch die Volksanwaltschaft hat geprüft. Laut Volksanwältin Gertrude Brinek hat die Finanzprokuratur aber richtig entschieden. "Es sind ohnehin schon so viele Kosten durch die ganze Misere entstanden", sagt Hermann Schachner. "Und jetzt kriegt er das Geld nicht? Mir lässt das bald keine Ruhe mehr. Wir leben doch in einem Rechtsstaat, oder nicht?"

Ersatzanspruch: Bis 50 Euro pro Tag

Gesetz Ansprüche auf Haftentschädigung sind im Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz von 2005 geregelt. Die Entschädigung für die "erlittene Beeinträchtigung" beläuft sich auf mindestens 20 Euro und höchstens 50 Euro pro Tag des Freiheitsentzugs. Wenn die Haft vor dem Jahr 2011 begonnen wurde, gilt allerdings die alte Regelung. Das Schmerzensgeld wird dann pro Haft-Tag mit 100 bis 120 Euro bemessen.

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