Kampf um den Gemeindebau
Sein Berufsleben lang durfte sich Pierre Valée "nie politisch deklarieren". Der Verlagsangestellte fürchtete seinen "patriarchalischen Boss". Valée, inzwischen 76-jährig, will dieses Manko nachholen, um nicht "blöd zu sterben". Der Pensionist ist noch gut bei Fuß. Das ist auch nötig, um die sechsstöckigen Gemeindebauten im Pariser Vorort Massy flott hochzusteigen und für den SP-Präsidentschaftskandidaten François Hollande zu werben.
Die meisten Hausparteien, Familien aus Nord- und Schwarzafrika, aber auch junge, europäisch-stämmige Paare, nicken freundlich. Auch die, die kein Stimmrecht in Frankreich haben, wünschen "Bon Courage". Nur wenige, ältere Personen wirken abweisend.
Vallée und sein Begleiter, ein Gymnasialprofessor, haben eine Schulung absolviert, die auf der Kampagne der US-Demokraten für Barak Obama basiert. Ihr vordringliches Ziel: Die Mobilisierung jener zahlreichen Sympathisanten der Linksopposition in den volkstümlichen Vierteln, die nicht zu den Urnen gehen. In der Gegend verfügt die Linke über eine klare Mehrheit, aber die Rechtsaußen-Partei "Front National" kommt stellenweise auf 20 Prozent, obwohl sie hier keine Aktivisten hat. Die Wahlenthaltung steigt von Mal zu Mal.
Über die Le-Pen-Wähler sagt SP-Sektionssekretär Karim Ben Slimane: "Diese Leute kommen mit ihren kleinen Renten oder Gehältern kaum noch über die Runden. Und wenn sie obendrein lärmende Jugendliche ertragen müssen, sind sie für Hassparolen empfänglich." Vor der Siedlung drehen Halbwüchsige auf Motorrollern mit ohrenbetäubendem Lärm ihre Runden. "Sarkozy hat die Nahbereichspolizei abgeschafft", klagt Ben Slimane: "Den Vereinen, die die Halbwüchsigen außerschulisch betreuten, wurden die Zuschüsse abgedreht. Meine Frau ist Schuldirektorin und erzählt, dass der Lehrerabbau zu einer heillosen Überfüllung der Klassen geführt hat."
"Gottlos"
Ben Slimane, Sohn einer Deutschen und eines Tunesiers, bezeichnet sich als "säkular". Der Minen-Ingenieur musste sich aber als Brückenbauer zur muslimischen Gemeinde betätigen. Bei der vorhergehenden Wahl hatte die UMP, die Partei von Präsident Sarkozy, ein an die Muslime gerichtetes Flugblatt verteilen lassen, das die SP als "gottlose" Gegner der Errichtung einer Moschee bezeichnete. "Wir sind zwar gegen staatliche Finanzierung von Kultstätten, aber wir waren ihnen behilflich, für ihr Projekt einer ökologischen Moschee mit Solarenergie Gelder vom Energiesparfonds zu erhalten."
Sorgen bereiten ihm ein paar Fundamentalisten: "Die rufen dazu auf, Allah zu wählen, also Enthaltung. In gewissen Vierteln kann das ins Gewicht fallen." Gemeint sind Wohnblöcke, in denen bis zu 40 Prozent der Jugendlichen nur mehr Gelegenheitsjobs ergattern.
Endlose Wartelisten
"Es wird immer schwieriger, eine Familie zu gründen und an die Zukunft zu glauben", sagt die SP-Regionalratsabgeordnete Hella Romdhane, bei der ständig Wohnungs- und Jobsucher vorsprechen, denen sie aber kaum helfen kann. "Die Warteliste für Gemeindewohnungen ist endlos." So muss Romdhane auf die Versprechen von Hollande vertrösten, der den sozialen Wohnbau ankurbeln und die Zahl der gestützten Jugendjobs erhöhen möchte.
Die Frage nach der Finanzierbarkeit angesichts der Staatsverschuldung wird von manchen Anwesenden missverstanden. "Verschuldung?", wiederholt William Amouyac, ein altgedienter Sozialist: "Hier sind viele derartig verschuldet, dass sie die Pfändung oder Delogierung fürchten. Sarkozy will aus uns Bettler machen."
Mit welchen Versprechen Hollande und Sarkozy auf Wählerfang gehen, lesen Sie hier.
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