Israels Aufstand gegen die Verarmung

Israels Aufstand gegen die Verarmung
Die soziale Protestbewegung ruft für Samstag zu Demos in zwölf Städten auf. Die Mittelschicht fürchtet den finanziellen Absturz.

Auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv ist es nicht leicht, zwischen den üblichen Flanierern und den Angehörigen der Protestbewegung zu unterscheiden. Mit ihrer Zeltstadt machen sie seit Wochen auf die stark steigenden Wohn- und Lebenshaltungskosten und die soziale Ungerechtigkeit aufmerksam. Sie locken Schaulustige aus allen Teilen Israels an.
Tal Elal (35) sitzt auf einer der Bänke, auf der sich sonst die Boccia-Spieler ausruhen. Er wohnt ganz in der Nähe, zählt sich aber zu den Protestierenden. "Wie die meisten hier sollte ich eigentlich mein Auskommen haben. Aber es wird immer härter."

Tal ist Filmproduzent, wie auch seine Frau Avital und wie vier der zehn Protestler, die vor etwa einem Monat die ersten Zelte vor dem Nationaltheater Habima errichteten. Filmen - das heißt auch in Szene setzen, visuelle Eindrücke schaffen, Beschreibungen, die auf diese Zeltstadt zutreffen.

Ein Drittel mehr Miete

Tal und Avital leben in einer Drei-Zimmer-Wohnung in einer der noch nicht aufgemotzten Nebenstraßen. "Bis vor einem Jahr war die Miete noch tragbar. Wir arbeiten zu Hause und setzen einen Teil von der Steuer ab", erzählt Tal. Dann setzte der Vermieter den Preis hoch - um ein sattes Drittel. Ohne Renovierung oder andere Verbesserungen der Wohnqualität. "Und unsere Einnahmen sackten zugleich von 5000 Euro im Monat auf 2500 ab", sagt der Freiberufler, der keinen garantierten Lohn hat. Die Kabelsender, für die sie Geschichtsdokus herstellten, produzieren seit der Finanzkrise viel weniger.

Genau in dieser Flaute kommt es zu Preiserhöhungen in fast allen Bereichen. "Wir zahlen für den Kindergarten unserer Tochter fast 800 Euro." Und das ist noch billig, da der Hort inbegriffen ist. Es ist ein Privatkindergarten. In den preiswerteren öffentlichen Einrichtungen gibt es keinen Platz. "Auch hier hält Tel Aviv den Preisrekord. Je weiter weg von Tel Aviv, desto billiger die öffentlichen Einrichtungen."

Wer aber an der Peripherie lebt, hat andere Ausgaben. Da braucht der Hauptverdiener einen Wagen, weil er nach Tel Aviv fahren muss. Denn vor Ort sind gute Jobs rar. Und die Mutter braucht ein Auto, um die Kinder von der Schule zum Förderungskurs zu fahren, zum Sportplatz oder zu den Großeltern: "Die öffentlichen Verkehrsmittel sind in Israel eine Zumutung."

Höhere Steuern

Das allgemeine Preisniveau liegt ein Drittel höher als in den meisten Industriestaaten, dazu kommen noch die Steuern. "Die Regierung kündigt ständig Steuersenkungen an, aber die gibt es letztlich nur für die Superreichen", ärgert sich Tal, "im Vorjahr haben sie sogar noch eine Wassersteuer eingeführt." Offiziell wurden angeblich günstigere Abrechnungssysteme über neue Verwaltungsfirmen eingeführt. "Das Wasser ist wie früher, der Preis stieg um 40 Prozent", klagt Tal.

Auch Uria (35) und Shimrit (30) bleibt immer weniger vom Nettolohn übrig. Sie leben in einem Kibbuz außerhalb von Tel Aviv, nicht als Genossen der Kommune, sondern als Mieter. "Stimmt, die Mietpreise sind im Norden wirklich billig. Wir zahlen für unsere Drei-Zimmer-Wohnung, was in Tel Aviv ein Zimmer kosten würde." Dafür braucht die Beschäftigungstherapeutin aber ein eigenes Auto, da sie teilweise in Haifa arbeitet. Uria ist ein gefragter Fremdenführer für die Natur im Norden. Trotzdem verdient das Paar nur ein Drittel des Durchschnitts von Tel Aviv: "Die Regierung verweist immer auf die Möglichkeit, weiter entfernt von Tel Aviv zu wohnen. Das spart einiges. Aber die Ausgaben sind unter dem Strich auch nicht günstiger."

Deshalb fühlen sich Uria und Shimrit als Teil des Protestes und kamen am Freitag nach Tel Aviv. Noch am Abend ging es aber zurück, denn die Protestzüge finden heute in zwölf kleineren Städten "an der Peripherie" statt: "In London verbrennen sie alles", sagt Uria, "wir wollen mehr Aufbau. Die Regierung sollte uns dankbar sein."

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