Israel: Touristen als Terroristenjäger

Israel: Touristen als Terroristenjäger
In einer Siedlung im Westjordanland unterrichten Veteranen das kleine Einmaleins der Extremistenbekämpfung – schießen inklusive.

Plötzlich fallen Schüsse. Lauren aus Miami kneift die Augen zusammen, bemüht sich um Haltung, aber ihr Pferdeschwanz zuckt bei jedem Knall. Die Schüsse fallen auf dem Schießstand nebenan. Lauren ist in ihren 50ern und ehrenamtliche Mitarbeiterin ihrer jüdischen Gemeinde in Miami. In Europa stehen vor solchen Einrichtungen Polizisten, in Florida privates Wachpersonal.

Vielleicht ist das der Grund, warum Lauren einige Stunden ihres Urlaubs in der Siedlung Efrat südlich von Jerusalem verbringt. Dort bietet die Sicherheitsfirma "Caliber 3" Touristen "Schnellübungen in Terrorbekämpfung" an. Üblicherweise bilden die Veteranen israelischer Spezialeinheiten privates Sicherheitspersonal aus.

Steve begrüßt uns mit breitem südafrikanischen Akzent und Grinsen: "Welcome to terror-combating." Der Willkommensgruß wird sofort abgeschwächt: "Glauben Sie ja nicht, Sie kommen als Terrorbekämpfungsexperte hier raus. Sie sollten danach aber mehr davon verstehen."

Laurens Mann Aaron nickt verständig: "Ich war bei den Marines. Schießen ist nicht einfach abdrücken. Das muss lange gelernt sein." In Florida geht er "ein, zwei Mal im Monat" auf einen Schießstand, um in Übung zu bleiben. In Efrat kommt noch Adrenalin hinzu. Der Ort liegt in den Palästinensergebieten, für die Außenminister aller Welt Reisewarnungen ausgeben.

Gebündelte Feuerkraft

Israel: Touristen als Terroristenjäger

Neben Steve steht ein Tisch mit Gewehren. Ein bunter Schnellfeuer-Cocktail mit verkürzten und unverkürzten M-16, die beim israelischen Militär und der US-Army Standard sind. Daneben präzisere Ruger 10/22 und eine Tavor, die "Hightech"-Waffe israelischer Elite-Einheiten. Dem jungen Holländer Ralf entfährt ein "Wow" angesichts dieser Feuerkraft.

Außerhalb des Blickfelds steht der Tisch mit der Munition. Wer laden will, muss zehn Schritte hin und zurück, ehe er das Magazin einführen kann. "Dummerchen-Anrichte" heißt das im israelischen Armee-Slang. "Für Rekruten, die noch nicht wissen, dass sie in der Armee sind."

Auch Steve hält viel auf Vorsicht: Seine Pistole steckt ohne Magazin im Holster. Rechts. Die Munition links im getrennten Holster. Ob Dummerchen oder Superschlauer – niemand kann diese Waffe einfach ziehen und losballern. Auch Steve nicht: "Ich habe keine drei Sekunden, um das Magazin zu wechseln. Die braucht auch der Terrorist, danach schießt und trifft er einen Zivilisten in der Sekunde. Jede verzögerte Sekunde entscheidet über Tod und Leben." Eins, zwei, drei und schon steckt das Magazin in der Waffe und die Pistole zielt nach vorn. Steve rennt drei Mal quer über den Schießstand, bremst im Laufen ab und feuert außer Atem.

Pappkamerad

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Jetzt wissen die Kursteilnehmer, wie schnell geladen, geschossen und getroffen werden kann. Und wie ein Terrorist aussieht. "Er" steht als Pappkamerad am Ende des Schießstandes, trägt ein Arafat-Kopftuch und zielt auf "uns". "Wir" leben, weil Steve getroffen hat. Jeder Schuss ein Treffer.

Wir sind noch überwältigt, da springt Steve plötzlich auf Aaron zu und brüllt ihn an. Dann sagt er plötzlich wieder entspannt: "Fein, Aaron, fein" und klopft dem Ex-Marine auf die Schultern: "Über 90 Prozent schrecken zurück, nur ganz wenige, wie Aaron, zieht es im Reflex nach vorn." Aaron ist verblüfft und gerührt zugleich: "Old soldiers never die", grinst er.

Steve erzählt aus "dem Alltag eines Terrorbekämpfers", in Ich-Form von Angriffen, die einige Jahre zurückliegen. Was nur wenige Monate zurückliegt, kennt er vom Hörensagen. Wie der Terrorist bei Eilat, der schon am Boden lag, und sein Messer einem Soldaten zwischen Schutzweste und Schulter stach, als der sich über ihn beugte. Der Soldat war tot. "Er hätte den Terroristen erst in Brustbein und Stirn treffen müssen, sonst besteht weiter Gefahr."

"Ich zielte einmal auf ein Fenster, hinter dem ein Terrorist in Deckung lag", berichtet Steve. "Dann sitzt plötzlich ein verängstigtes Kleinkind auf dem Fensterbrett, der Lauf der AK-47 lugt zwischen Arm und Bein hervor. Ich hab es im Visier ..." Nein, er hat nicht geschossen: "Wir tun so was nicht." Die Zuhörer atmen auf.

Dummerchen-Linie

Dann der Abschluss: Wir schießen selbst. "Jeder Schuss ein Treffer!" brüllt Steve, nachdem er penibel die Linie gezogen hat, die kein Dummerchen während der Schießübung überqueren darf. Ohrstöpsel gibt es auch. "Sind praktischer als Ohrhörer, die stören beim Anlegen." Geschossen wird auf quadratische Scheiben.

Lauren feuert als Erste, obwohl sie sich dieser "Männergaudi" eigentlich enthalten wollte: "Yeaah!" Sie springt vor Freude, traf sie doch besser als ihr Mann. Der ist ganz getroffen. "Richtig gezielt", tröstet ihn Steve, "aber zu hart am Abzug." So ergeht es auch Ralf. Nur der Schreiber dieser Zeilen durchbohrt das Quadrat mit zehn Kugeln und einem einzigen Loch. Man kann ja viel behaupten nach so einer Übung ...

Am Ende erhält jeder sein Abschlusszeugnis mit Steves Unterschrift. So schlimm war es nicht, nur um einiges teurer als ein Schießstand ohne Kampfmythos und Urkunde. "Was haben wir gelernt?", brüllt Steve: "Kommt ein Terrorist, werft ihr euch flach hin und verschränkt die Arme über den Kopf. Statt panisch rumzurennen und die Spezialeinheiten zu behindern."

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