Die Frage, wie lange dieser Zustand aufrecht erhalten werden kann, ist freilich eine berechtigte. Mit 7416 Neu-Infektionen wurde am Donnerstag ein neuerlicher Rekordwert verzeichnet. Und entgegen den Erwartungen, oder besser: den Hoffnungen vom Sommer sind die Zahlen mittlerweile dazu angetan, das belastbare Gesundheitssystem Österreichs an seine Leistungsgrenze zu bringen. Wann? Sehr bald.
Am Donnerstag erklärten Experten der Med Uni Wien, der TU Wien sowie der Gesundheit Österreich (GÖG) in einem Hintergrundgespräch nicht nur, wie die unterschiedlichen Szenarien und Modelle funktionieren, mit denen die Bundesregierung versorgt und beraten wird. Sie sprachen ganz konkret auch davon, mit welchen Auslastungs- bzw. Belastungszahlen man derzeit rechnet. Und die sind alles andere als beruhigend.
"Bis 18. November rechnen wir bei der Kapazitätsvorschau mit einer Auslastung der Intensivbetten von 760 Betten", sagt Florian Bachner von der GÖG. 760 ist nur noch 40 Betten unter jenem Wert, den Politik und Experten als sinnvolles Maximum für die Zahl der Covid-19-Patienten auf heimischen Intensivstationen genannt haben.
Zur Erklärung: Von den österreichweit rund 2000 vorhandenen Intensivbetten sollten laut einhelliger Meinung der meisten Experten maximal 800 für Corona-Fälle verwendet bzw. reserviert werden. Andernfalls müssten weiterhin auftretende Akut-Fälle (Herzinfarkte, Unfälle, Schlaganfälle, etc.) möglicherweise triagiert werden, sprich: Es käme zu der bislang unvorstellbaren Entscheidung darüber, welche Patienten aufgrund ihrer Heilungschancen noch ein Intensivbett bekommen - und welche nicht.
Wie sich die Werte errechnen
Wie kommen die Experten nun auf die Kalkulation von 760 Fällen am 18. November? Der Wert errechnet sich vereinfacht gesagt daraus, dass man über Monate hinweg beobachten konnte, wie viele der positiv getesteten Personen wie lange wo (zu Hause, Spital, Intensivstation) behandelt werden, wie lange sie wo im Schnitt verweilen - und wer letztlich auf einer Intensivstation landet. Der statistische Wert liegt bei rund einem Prozent, das heißt: Von 100 positiv getesteten Menschen benötigt einer oder eine am Ende ein Intensivbett. Und aufgrund der gegenwärtigen Zahl der Neu-Infektionen ist es mit einer 68-prozentigen Wahrscheinlichkeit so, dass bis 18. November rund 38 Prozent aller Intensivbetten in Österreich für Covid-19-Patienten benötigt werden könnten.
Angesichts der Tatsache, dass Gesundheitsökonomen und -experten seit Monaten erklären, dass das Gesundheitssystem ein Problem bekommt, wenn derart viele Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt sind, wird in der Bundesregierung nicht erst in zwei Wochen, sondern wohl schon am Wochenende die Frage gestellt werden, ob der gegenwärtige Lockdown ausreicht, um die Zahl der Neu-Infektionen zu senken.
"Wir sind in einem systemkritischen Bereich. Wie schlimm es wird, können wir noch nicht sagen", sagt Peter Klimek, der als Forscher am Complexity Science Hub Wien mit an den Modellen arbeitet. Klimek hat sich besonders mit der Wirksamkeit von einzelnen Maßnahmen in der Bekämpfung der Epidemie auseinandergesetzt. Und er wider spricht der landläufigen Meinung, dass Schulschließungen gar keinen Effekt auf die Verbreitung der Pandemie hätten. "Das Gegenteil ist der Fall", sagt Klimek. "Schulschließungen haben signifikante Auswirkungen."
Wie passt das mit der Tatsache zusammen, dass laut offiziellen Angaben vergleichsweise wenige Cluster in Schulen aufgetreten sind?
Tatsächlich ist es so, dass 0 bis Fünfjährige wenig bis gar nichts zum direkten Infektionsgeschehen beitragen. "Den größten Beitrag leisten die 15- bis 30-Jährigen", sagt Klimek.
Davon unabhängig hat das flächendeckende Schließen der Schulen aber wesentliche, für die Ausbreitung von Covid-19 sehr wichtige Folge- und Nebeneffekten: Eltern, Familienmitglieder bzw. andere Betreuungspersonen sind nicht unterwegs, um die Kinder zur Schule zu bringen oder von dort abzuholen. Und sie sind überhaupt weniger mobil bzw. unterwegs, weil die Kinder ständig zu Hause betreut werden müssen. All das führt dazu, dass Schulschließungen den R-Faktor erheblich (im Schnitt um 0,2) drücken - und damit zur Eindämmung der Pandemie beitragen.
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