Sobotka: „Wir haben ein sehr eurozentristisches Bild der Lage“

Sobotka: „Wir haben ein sehr eurozentristisches Bild der Lage“
Der Nationalratspräsident über den Besuch in Indien, Chancen für die österreichische Wirtschaft und die Position der EU zum Krieg.

KURIER: Sie haben mit einer Parlamentsdelegation Indien bereist und dabei immer wieder den Krieg in der Ukraine angesprochen. Was nehmen Sie mit von dieser Reise?

Wolfgang Sobotka: Parlamentspräsident Om Birla hat uns im Rahmen der IPU-Weltkonferenz der Parlamentspräsidenten vergangenen September in Wien nach Indien eingeladen und gesagt: „Warum fahrt ihr immer nach China? Kommt doch zu uns.“ Dieser Einladung sind wir gerne nachgekommen und haben eine enorme Freundlichkeit und Gastfreundschaft erlebt. Bei den zahlreichen Gesprächen, die ich in Indien geführt habe, bin ich sehr deutlich für eine Verurteilung der russischen Aggression und für aktive Bemühungen, auch vonseiten Indiens, für einen Waffenstillstand eingetreten. Ich habe aber auch gemerkt, dass wir ein sehr eurozentristisches Bild der Lage haben. Das ist zwar notwendig und richtig, aber andere Regionen in der Welt sehen diesen Krieg in Europa ganz anders.

Indien verhält sich bisher neutral und ist sogar zurückhaltender als Österreich.

Ja, Indien verhält sich neutral, will aber auch nichts schönreden. Man verurteilt Gewalt, Annexion, Grenzverschiebungen – das hat der Außenminister im Gespräch mit uns ganz klar gemacht. Und er fordert einen sofortigen Waffenstillstand. Die Auswirkungen des Krieges sind auch auf Asien enorm. Er verändert nicht nur die Sicherheitsarchitektur Europas, sondern große Teile der Welt.

Warum verurteilt dann ein Land wie Indien das Vorgehen Russlands nicht stärker?

Das hat historische Gründe, darüber haben wir mit dem Außenminister ebenfalls gesprochen. Er hat daran erinnert, dass in den 1960er Jahren, als es große Probleme mit Pakistan oder mit China gab, niemand Indien geholfen hat. Man fühlte sich vor den Kopf gestoßen, das hinterlässt Spuren. Die USA haben Pakistan unterstützt, Russland hingegen unterstützte Indien durch Lieferung von Waffen und Infrastruktur. Seit dem Jahr 2000 hat sich das Verhältnis mit den USA allerdings gebessert.

Wenn Sie solche Positionen hören: Hat die EU bisher richtig reagiert?

Auf alle Fälle. Die ganze Welt muss erkennen, dass man Russlands Vorgehen nicht akzeptieren kann. Wir liegen noch dazu an der Konfrontationslinie, also waren die Maßnahmen entsprechend hart. Die Frage ist auch: Wie weit geht Putin? Polen, die Slowakei, die baltischen Länder fürchten, dass er seine Gewaltpolitik fortsetzen könnte und die alte UdSSR wieder errichten will. Da musste Europa scharf reagieren, Grenzverschiebungen sind tabu. Auch wenn ich in Indien immer wieder gehört habe: „Das ist euer Krieg, das müsst ihr selbst lösen.“

Wenn Russland nun von großen Teilen der Welt isoliert ist: Könnte ein Land wie Indien ein Hoffnungsmarkt für Europa im Allgemeinen und für Österreich im Speziellen werden?

Das ist es bereits. Indien ist die größte Demokratie der Welt. Und mit knapp 1,4 Milliarden Einwohnern ein riesiger Markt, der rasch wächst. Österreichische Firmen sind schon jetzt sehr aktiv in diesem Land, im Bereich Umweltmanagement, etwa mit Kläranlagen. Aber man braucht in Indien immer einen Partner. Das Land hat Angst, den Markt völlig zu öffnen, daher hat es auch einem Freihandelsabkommen bis dato nicht zugestimmt. Im Gegenzug kann Österreich ebenfalls sehr profitieren, zum Beispiel vom Technologietransfer. Wir haben mit der Eröffnung eines Honorarkonsulats in Hyderabad jedenfalls ein wichtiges Zeichen gesetzt.

Wenn Sie Umweltschutz ansprechen: Darum steht es in Indien gar nicht gut. Das Land ist für einen großen Anteil der weltweiten Treibhausgase verantwortlich.

Das ist sicher ein Problem. Aber da haben österreichische Firmen viel Know-how, das sie einbringen können.

Indien steht wie wenige andere Länder für Digitalisierung. Was kann sich Österreich davon abschauen?

Sehr viel. Wir wollen in diesem Bereich in Zukunft noch intensiver zusammenarbeiten. Für Indien ist die Digitalisierung die Chance, international noch stärker Anschluss zu gewinnen. Aber man hat dasselbe Problem wie andere Länder auch: Wie kann man Radikalisierung, Terrorismus oder Hass im Netz verhindern? Es gibt eine Initiative, dass, wie in Australien, Plattformen zur Verantwortung gezogen werden können, wenn rechtswidrige Inhalte hochgeladen werden. Jede Zeitung hat einen Chefredakteur, wieso soll es im Bereich von Social Media keine editoriale Verantwortung geben? Mir war das schon als Innenminister ein Anliegen. Und ich werde mich bei der nächsten Konferenz der interparlamentarischen Union und bei der Anti-Terror-Konferenz im September in Wien sehr stark dafür einsetzen, dass so ein Gesetz auch in Europa kommt.

Außerhalb Indiens gibt es immer wieder Kritik am Hindu-Nationalismus und am Populismus, der durch Premierminister Modi stark geworden ist. Wie sehen Sie das?

Modi hat sicher das Ziel, das Bewusstsein der Hindus zu stärken und dabei unter seiner Regierung Maßnahmen erlassen, die zu vielen Diskussionen führen. Wesentlich ist, dass in der Bevölkerung selbst, die Menschen unterschiedlicher Religionen aber zumeist gut miteinander umgehen. Was mich ärgert, ist diese Populismuskeule, die jeden Diskurs zerstört. Eine Gesellschaft ändert sich, es gibt immer Pendelbewegungen.

Ein Thema ist auch in der indischen Politik Korruption. Modi ist dagegen angetreten, dennoch wird er selbst dafür kritisiert.

Auch da stören mich zu schnelle Urteile. Ich habe von Wirtschaftstreibenden in Indien immer wieder gehört, dass die Politik viel stabiler und berechenbarer geworden ist.

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