Wolfgang Mückstein sieht "Lücken im Sozialsystem"
Er wünscht sich, dass sich das Verhältnis 80:20 ändert, sagt Wolfgang Mückstein. Er wolle nicht mehr zu "80 Prozent Gesundheits- und zu 20 Prozent Sozialminister" sein, sondern umgekehrt, da "wir drängende sozialpolitische Probleme haben". Grund: 1,5 Millionen Menschen sind in Österreich armutsgefährdet. Das enstpreche 17,5 Prozent der Bevölkerung, wie der grüne Gesundheits- und Sozialminister bei einer Pressekonferenz mit AK-Präsidentin Renate Anderl sagt.
Genau deshalb habe sich die Koalition im Regierungsprogramm der Bekämpfung - konkret der Halbierung - der Armut in Österreich verschrieben.
Trotz der Corona-Hilfen, die Mückstein taxativ anführt (5,5 Milliarden Euro für Kurzarbeit, 1,1 Milliarden Euro für Selbstständige, Künstlerinnen und Künstler, einer Erhöhung der Ausgleichszulage bei Pensionen oder 656 Millionen Euro als Einmalzahlung an Familien), gebe es gegenwärtig aber Handlungsbedarf.
"Ich sehe Lücken im Sozialhilfesystem", so der Minister, und spricht im Zuge dessen beispielsweise über Menschen, die nur humanitäres Bleiberecht haben und nicht mehr versichert sind, wenn sie aus der Sozialhilfe fallen.
Konkret spricht Mückstein das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz an, das 2019 von ÖVP und FPÖ - zur Vereinheitlichung der Hilfen - eingeführt wurde. Er werde er sich für die „Reparatur“ des Grundsatzgesetzes „weiter einsetzen“, so der Sozialminister. Die Soziallandesreferenten der neun Bundesländer würden an dem Gesetz Kritik üben, sich mehr Spielraum wünschen - und eben das will Mückstein nun unterstützen. Ob die Forderung der Soziallandesreferenten, die sich mittels Beschluss für mehr Spielraum auf Landesebene einsetzen, auch vom Koalitionspartner ÖVP unterstützt wird, sagt Mückstein: "Ich unterstütze das".
Auf KURIER-Nachfrage heißt es seitens des ÖVP-Klubchefs und Sozialsprechers August Wöginger: "Wir kommentieren das nicht."
Mücksteins Absage an Verschärfungen für Arbeitslose
Absage an degressives Arbeitslosengeld
Auch brauche es „mehr Geld“ für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, argumentierte Mückstein. Veränderten Zumutbarkeitsgrenzen und einem degressiven Arbeitslosengeld wie vom Koalitionspartner ÖVP in Erwägung gezogen, erteilte Mückstein mehr oder weniger eine Absage. Freilich könne man über verschiedene Modelle diskutieren, man habe aber das klare Ziel der Halbierung der Armut, und dabei sei weniger Arbeitslosengeld „nicht zielführend“, so Mückstein: „Und das wird es mit den Grünen auch nicht geben.“ „Wir brauchen Beschäftigung“, betonte der Sozialminister. Dafür müsse man die Arbeitsbedingungen verbessern, um die Leute in die Beschäftigung zu bringen. „Ich glaube nicht, dass man hier mit Druck etwas erreicht.“
Ähnlich sieht das freilich die AK-Präsidentin: Die hiesigen Zumutbarkeitsregeln seien „ohnehin die schärfsten“. De facto können Arbeitslose in ganz Österreich vermittelt werden, außer sie haben kleine Kinder. Eine weitere Verschärfung sei mit Sicherheit nicht zielführend. Stattdessen brauche es in vielen Bereichen attraktivere Arbeitsbedingungen.
Anderl konstatierte, dass während der Pandemie zwar einiges umgesetzt worden sei, fürchtet aber, dass die Bekämpfung der Armut in den Hintergrund gerät. Teilweise seien die Probleme in der Pandemie verstärkt worden. Aus der Gesundheitskrise sei eine Wirtschafts- und Beschäftigungskrise geworden, so Anderl: „Wir müssen jetzt aufpassen, dass sie nicht in einer Armutskrise endet.“ Jetzt müsse man aktiv werden und gegensteuern, denn der Arbeitsmarkt verschärfe sich weiter, Alleinerziehende seien besonders „stark betroffen“.
Das „wirksamste Mittel“ der Armutsbekämpfung sei ein Arbeitsplatz mit gerechter Entlohnung und fairen Arbeitsbedingungen. Zudem seien Sozial- und Notstandshilfe „einfach zu gering“, dies müsse behoben werden. Ebenso das Arbeitslosengeld, hier ist die Erhöhung auf 70 Prozent eine lange Forderung. Die Einmalzahlungen hätten zwar geholfen, seien aber eben nur einmal geflossen, so die AK-Präsidentin. Auch die Aktion „Sprungbrett“ für Langzeitarbeitslose unterstütze die AK. Die 300 Mio. müssten aber tatsächlich zusätzliches Geld sein und die Aktion müsse bis zum Ende der Legislaturperiode anhalten, so Anderl.
Ein weiteres dringendes Anliegen ist der AK die Bekämpfung der Kinderarmut. Familien bräuchten genug Geld zum Leben. Zudem sei Chancengerechtigkeit im Bildungssystem notwendig, sowie leicht erreichbare Beratungs- und Unterstützungsangebote.
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